„Auch mich hat das geschmerzt“
Nationalelf Bundestrainer Joachim Löw spricht über das Aus für Müller, Hummels und Boateng. Die Debatte um die Stilfrage überrascht ihn. Was er zu einer möglichen Rückkehr des Trios sagt
Es gibt immer zwei Wahrheiten, die erste zum Ende der Nationalmannschaftskarriere des Münchner Trios haben wir aus München gehört, Sie haben nun die Chance, Ihre Version zu erzählen. Haben Sie mit Gegenwind gerechnet?
Joachim Löw: Dass es Reaktionen und Diskussionen geben wird, habe ich erwartet, denn Mats, Thomas und Jérôme sind drei verdiente, beliebte Nationalspieler, die Weltmeister geworden sind und eine lange Karriere in der Nationalmannschaft hatten. Sie sind ganz große Spieler, die für eine große Zeit der Nationalmannschaft stehen. Wir – und ich persönlich – verdanken ihnen sehr viel. Dass darüber sportlich diskutiert wird, ist doch klar, und da kann man immer unterschiedlicher Auffassung sein. Was ich in dieser Heftigkeit nicht erwartet habe, ist die Debatte um die Stilfrage. Wir sind doch genau deswegen nach München gefahren. Ich wollte der Erste sein, der ihnen diese Entscheidung persönlich mitteilt und begründet. So schwer uns das allen gefallen ist, auch mich hat das geschmerzt.
Irgendwie ist dann aber was schiefgelaufen …
Löw: Ich wollte vorher Spekulationen ausschließen. Das wäre in meinen Augen stil- und respektlos gewesen. Deswegen war es so kurzfristig angekündigt. Ich wollte das nicht telefonisch machen, das geht auch nicht privat, also gehe ich da hin, wo die Spieler sind, wo sie arbeiten, wo sie auf dem Platz stehen.
Würden Sie alles genau so wieder angehen?
Löw: In meinem Kopf und meinem Herzen bin ich davon überzeugt, dass es richtig war, es so zu machen. Das gilt vor allem für die sportliche Entscheidung an sich. Dass die Entscheidung und das Überbringen dann schmerzt – auch mich –, das wusste ich. Aber als Trainer muss ich solche Entscheidungen treffen.
Es gibt aus München auch ein paar Irritationen über die Konsequenzen dieser Ausmusterung. Ist die endgültig? Löw: Spieler fordern zu Recht immer Ehrlichkeit, und die ehrliche Antwort ist: Ich plane die Qualifikation und ich plane die Europameisterschaft. Und beides plane ich ohne diese Spieler. Das habe ich ihnen auch mitgeteilt. Ich möchte auch keine Hoffnungen vortäuschen.
Aus der Mannschaft von Rio bleiben nur noch Neuer und Kroos. Ist das auch Teil des Prozesses, dass diese beiden noch im Team bleiben?
Löw: Toni Kroos ist 29 und spielt seit Jahren international auf dem höchsten Niveau, auch wenn die ganze Mannschaft von Real jetzt mal eine schwächere Phase hat, und auch Manuel Neuer ist nach wie vor ein Weltklassetorhüter.
…um den es jetzt Diskussionen gibt. Die Sie selbst in Madrid angestoßen haben, als Sie Marc-André ter Stegen mehr Einsätze versprochen haben? Löw: Ich habe gesagt, dass ich glücklich bin, dass wir zwei Torhüter auf Top-Niveau haben. Marc-André ter Stegen wird in diesem Jahr auch seine Einsätze bekommen, aber aktuell ist Manuel Kapitän und die Nummer eins. Manuel ist der Erste, der sich dem Leistungsprinzip unterwirft, das braucht man bei ihm doch gar nicht zu betonen. Glauben Sie mir: Um die Torhüter-Position machen wir uns im Moment die wenigsten Gedanken.
Das heißt, Manuel Neuer wird gegen Serbien und gegen Holland spielen? Löw: Ob er gegen Serbien und Holland spielen wird, müssen wir sehen. Ich bleibe dabei, auch ter Stegen wird in der Qualifikation seine Möglichkeiten bekommen.
Deutschland steht auf Platz 16 der Weltrangliste. Sind wir wirklich so schlecht?
Löw: Die Weltrangliste ist nicht unbedingt mein Maßstab, aber aufgrund unserer Ergebnisse muss man das hinnehmen. Wir haben bei der Weltmeisterschaft eine Statistenrolle gespielt und sind aus der Nations League abgestiegen. Der Weltranglistenplatz ist die Quittung dafür. Ich sehe aber großes Potenzial bei uns, wieder nach oben zu kommen.
Wie gut sind wir denn? Löw: Wir sind im Umbruch. Im Neuaufbau. Diese Phasen gehören dazu. Die Spiele in Paris gegen Frankreich oder in Gelsenkirchen gegen die Niederlande haben schon gezeigt, dass wir fußballerisch konkurrenzfähig sind. Wenn man die Ergebnisse als Maßstab nimmt, haben wir da noch nicht das eingefahren, was unserem Anspruch entspricht.
Aber Platz 16 ist doch frustrierend? Löw: Das hat kein Frustpotenzial für mich. Frustriert haben mich die WM und die Ergebnisse in der Nations League. In Paris haben wir lange geführt und am Ende verloren und gegen die Niederlande haben wir 2:0 geführt und am Ende unentschieden gespielt. Die Resultate haben nicht unsere Leistungen auf dem Platz widergespiegelt.
Haben Sie nach der Weltmeisterschaft an Rücktritt gedacht?
Löw: Nach jedem Turnier habe ich Abstand gebraucht, um alles zu hinterfragen, natürlich auch mich selbst. Jedes Turnier ist eine Art Zäsur. Für den Verband, die Mannschaft, Spieler, den Trainer.
Und die Nations League wird ohnehin überbewertet?
Löw: Ich bin ein Befürworter der Nations League. Sie ist mir lieber als Testspiele. Aber sie hat nicht den Stellenwert einer WM oder EM.
Wie lange werden Sie brauchen, um die jungen Spieler zu entwickeln? Löw: Die jungen Spieler müssen sich jetzt entfalten, dafür brauchen sie auch die Räume, die wir ihnen geben wollen. Gleichzeitig müssen sie die Verantwortung auch übernehmen, wohl wissend, dass sie in diese hineinwachsen müssen. Dazu gehört auch, dass wir ihnen Fehler zugestehen und wiederum Räume geben, sich entfalten zu können.
Ist der Vereinstrainer Löw noch vorstellbar?
Löw: Es ist für mich die größte Freude, jeden Tag auf dem Platz zu sein und mit der Mannschaft zu arbeiten. Natürlich weiß ich es genauso zu schätzen, in meiner jetzigen Rolle unabhängig vom Tagesgeschäft den Fußball und Spiele beobachten und analysieren zu können. Mit einer jungen Mannschaft zu trainieren, wie beim Confed Cup, das war super, jeden Tag mit einer Mannschaft auf dem Trainingsplatz zu stehen – vorstellbar ist das für mich schon irgendwann mal, aber aktuell beschäftige ich mich nur mit der Nationalmannschaft und der EM-Qualifikation.