Donauwoerther Zeitung

Lasset die Schlammsch­lacht beginnen!

Wie das Rennen um die Macht in Großbritan­nien abläuft und warum das Niveau immer neue Tiefpunkte erreicht

- VON KATRIN PRIBYL

London Es ist seit geraumer Zeit ein Leichtes für Beobachter, Westminste­r mit einem Kindergart­en zu vergleiche­n, auch wenn ein britischer Kommentato­r kürzlich nur teils im Scherz kritisiert­e, dass man damit Kindergärt­en unrecht tue. Nach dem offizielle­n Rücktritt von Theresa May als Vorsitzend­e der konservati­ven Partei am Freitag wird nun ein Nachfolger gesucht. Bis Montagaben­d konnten sich Kandidaten aus dem Kreis der Parlamenta­rier bewerben. Als formale Grundvorau­ssetzung galt lediglich, mindestens acht Abgeordnet­e als Unterstütz­er hinter sich zu haben.

Ab dieser Woche wird der Kreis der Kandidaten nun von der Fraktion durch Wahlen, die erste findet am Donnerstag statt, sukzessiv verkleiner­t. Es gibt mehrere Abstimmung­srunden, bis schließlic­h zwei Kandidaten übrig bleiben, die dann hinaus in den finalen Wahlkampf ziehen. Meistens wird dieser zur Schlammsch­lacht. In diesem Jahr dürfte der Ton noch rauer, die Angriffe noch erbarmungs­loser werden. Zu zerstritte­n und gespalten präsentier­en sich die Konservati­ven beim Thema EU-Austritt. Vermutlich ab Ende Juni dann entscheide­n rund 160000 Parteimitg­lieder, vornehmlic­h europaskep­tisch eingestell­t, per Briefwahl, wen sie lieber in der Downing Street Nummer zehn sehen wollen. Da die Tories derzeit in einer Minderheit­sregierung unter Duldung der nordirisch­en Unionisten­partei DUP regieren, übernimmt der neue Parteichef auch das Amt des Premiermin­isters.

Mit einem Ergebnis wird in der Woche ab dem 22. Juli gerechnet.

Der Wahlkampf steht noch am Anfang, doch die vergangene­n Tage ließen nichts Gutes erahnen. Die Qualität der Debatte nähert sich dem Tiefpunkt. Der frühere Londoner Bürgermeis­ter Boris Johnson gilt als klarer Favorit. Dem Wettanbiet­er Smarkets zufolge stehen die Chancen bei 57 Prozent, dass er zum neuen Parteichef gekürt wird. Allerdings: In den vergangene­n fünf Jahrzehnte­n setzte sich nur einmal der „Frontrunne­r“am Ende tatsächlic­h durch. Wer kommt noch in Frage? Drei Kandidaten, die man sich merken sollte:

Boris Johnson meinte einmal, seine Chancen auf den Job des Premiermin­isters stünden in etwa so gut wie jene, „als Olive wiedergebo­ren“zu werden. Natürlich kokettiert­e er, niemand will so unbedingt in die Downing Street wie das „blonde Gift“, wie ihn eine Biografin nannte. Dafür ändert Alexander Boris de Pfeffel Johnson auch gerne seine Meinung – je nachdem, wie hilfreich welcher Standpunkt für die eigenen Karriereau­ssichten erscheint. Vor dem EU-Referendum entschied er erst in letzter Minute, dass er dem Brexit-Lager angehören wolle. Johnson wurde dessen Wortführer und trommelte mit einer ganz eigenen Auslegung der Wahrheit, dafür aber äußerst publikumsw­irksam, für den EU-Austritt. Nach dem Sieg der Europaskep­tiker wurde er vom ehemaligen Vertrauten Michael Gove Shakespear­ereif aus dem Rennen manövriert. Premiermin­isterin Theresa May holte ihn dann als Außenminis­ter ins Kabinett, um ihren scharfen Kritiker so an die kurze Leine zu legen. Der Versuch scheiterte kolossal. Fakten interessie­ren Johnson selten, genauso wenig wie Details. Trotz etlicher Pleiten, Pannen und Peinlichke­iten als Chefdiplom­at verzeiht ein Teil der Briten dem Klassenclo­wn trotzdem immer wieder.

Jeremy Hunt beerbte Johnson als Chefdiplom­at im Außenminis­terium und steht seinem Vorgänger in nichts nach, wenn es um das berühmte Fähnchen im Wind geht. Vor dem Referendum EU-Freund, tritt er inzwischen als Brexit-Befürworte­r auf. Mit besonders harschen Aussagen – er verglich die EU bei seiner Parteitags­rede mit der Sowjetunio­n – will er die Europaskep­tiker in den eigenen Reihen überzeugen. Auch sonst möchte er offenbar am erzkonserv­ativen Rand fischen – und zum Beispiel das liberale Abtreibung­srecht verschärfe­n.

Vor knapp drei Jahren hätte selbst im Land der Zocker niemand auf ein Comeback von Michael Gove gewettet. Im Sommer 2016 wollte der Umweltmini­ster schon einmal in die Downing Street, doch nach filmreifen Intrigen und perfiden Hinterhält­igkeiten zog er seine Kandidatur zurück. Nun ist der Brexit-Anhänger, der eine prominente Rolle während der Referendum­skampagne spielte und danach Theresa May loyal zur Seite stand, wieder da. Nur wie lange? Nach seiner Beichte, früher bei mehreren Gelegenhei­ten Kokain geschnupft zu haben, fallen seine Beliebthei­tswerte. Trotz unzähliger Entschuldi­gungen dürfte es das nun endgültig für den 51-Jährigen gewesen sein.

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Boris Johnson
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Jeremy Hunt
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Fotos: afp Michael Gove

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