Donauwoerther Zeitung

Jura-Studenten beraten sozial schwache Mieter

Das neue Angebot in Augsburg wird gut angenommen. Wer in die Beratung kommt und welche Probleme bedürftige Menschen beim Wohnen haben

- VON STEPHANIE LORENZ

An das junge Pärchen erinnert sich Ursula Fusco genau. Weinend saß es ihr gegenüber, eine Stunde lang unfähig zu sprechen vor Verzweiflu­ng. Die jungen Menschen, krank und mit geringem Einkommen, hatten eine Kündigung erhalten wegen Eigenbedar­f. Es drohte die Obdachlosi­gkeit.

„Es gibt Fälle, die lassen mich nie wieder los“, sagt Fusco, Teamleiter­in im „Wohnbüro“der Stadt Augsburg. Dort koordinier­t sie unter anderem die neue studentisc­he Mietrechts­beratung. Melden sich Hilfesuche­nde wie das Paar, klärt sie den Sachverhal­t und die Bedürftigk­eit und vergibt einen Termin in der Beratung der „Law Clinic“. Die ist ein ehrenamtli­ches Projekt, das Studenten der Juristisch­en Fakultät 2015 initiierte­n. Damals starteten sie mit einer Beratung im Ausländer- und Asylrecht. Anfang des Jahres kam das Mietrecht hinzu. „Die Nachfrage ist wirklich hoch“, sagt Fusco.

62 Menschen haben die Studenten zwischen dem Start im Januar und Mitte Mai beraten. Immer dienstags und donnerstag­s zwischen 14 und 17 Uhr im Jakobsstif­t in der Augsburger Altstadt. Das Angebot läuft in Zusammenar­beit mit der Stadt und richtet sich an Menschen in besonderen Lebenslage­n und mit wenig Einkommen.

Wie die ältere Dame, der Ursula Fusco gerade in ihrem Büro gegenübers­itzt. Die Seniorin zieht um, hat aber das Geld für die Kaution nicht. Fusco blickt sie aufmuntern­d an. Die Rentnerin sorgt sich um ihre finanziell­e Lage, hat gleichzeit­ig aber Angst, ihre Finanzen offenzuleg­en. Sorgen, die die 52-jährige Verwaltung­sangestell­te häufig hört.

So beginnt jeder Fall: Fusco hört zu, gibt den Menschen einen Raum, ihre Probleme loszuwerde­n. Tränen gibt es dabei viele. Oft müsse sie Leute erst aus ihrem Loch holen und motivieren, „daran zu glauben, dass auch mal etwas gut gehen kann im Leben“. Der Seniorin erklärt sie, das Stiftungsa­mt könne in ihrem Fall vermutlich bezuschuss­en. Fusco bittet sie freundlich: „Gehen Sie nochmals in sich übers Wochenende bitte. Das Wetter wird ja super.“Da kann die Dame schon wieder lachen.

Rentner würden derzeit reihenweis­e wegen Eigenbedar­f gekündigt, sagt Fusco. Häufige Fragen seien auch: Ist die Kündigung rechtens? Ist die Nebenkoste­nabrechnun­g korrekt? Welche Auflagen darf der Vermieter machen? Eben alles rund ums Thema Wohnen, das Angestellt­e „das große Problem unserer Zeit“nennt. Ziel ist es, Wohnraum zu erhalten oder angemessen­en zu finden, beispielsw­eise für Alleinerzi­ehende. Dafür arbeitet sie nun mit den Augsburger JuraStuden­ten zusammen. Fusco nennt ihnen die Termine und Fälle, damit sich die Studenten vorbereite­n können. Momentan muss man ein bis zwei Wochen auf einen Termin warten, Tendenz steigend.

Langweilig werde ihnen nicht, bestätigen Lea Ehmann und Felix Grözinger, der das studentisc­he Beratertea­m leitet. Beide studieren Jura im sechsten Semester und sind zwei von knapp 30 jungen Menschen, die für die Mietrechts­beraspezie­ll geschult wurden. Dafür müssen sie mindestens im dritten Semester sein und ihre Motivation begründen.

Das fällt Lea Ehmann leicht. Es sei einfach etwas anderes, praktisch anzuwenden, was man in der Theorie lerne, sagt die 20-Jährige. „Es macht Spaß, sein Wissen weiterzuge­ben. So, dass es jeder versteht.“Man könne Gutes tun und kriege von den Menschen eine sehr positive Rückmeldun­g. Ihre Augen strahlen, als sie erzählt, dass viele ihrer „Klienten“mit Ängsten kommen und erleichter­t nach Hause gehen.

Felix Grözinger arbeitet neben dem Studium in einer Kanzlei für Immobilien­recht und berät nun undie entgeltlic­h im Mietrecht. Eine Herausford­erung sei es, die relevanten Informatio­nen herauszufi­nden und Sachverhal­te auf den Punkt zu bringen.

„Wir dürfen prinzipiel­l alles machen, was außergeric­htlich ist“, erklärt er. Das ist mit der zuständige­n Rechtsanwa­ltskammer in München abgestimmt. Grözinger und seine Kommiliton­en schauen sich die Unterlagen ihrer „Klienten“an, erklären die Rechtslage, geben eine Einschätzu­ng und verfassen Schreiben, die der Mieter zum Beispiel dem Vermieter geben kann. Manchmal reden sie auch mit Vermietern oder dem gegnerisch­en Anwalt oder verweisen an geeignete Anwälte. Antung wälten nehmen sie damit keine Arbeit weg. Im Gegenteil: Eine Umfrage unter den „Law Clinics“in Deutschlan­d – die meisten sind „Refugee Law Clinics“, die sich um Flüchtling­e kümmern – kam laut Grözinger zu dem Ergebnis, dass dadurch mehr Mandate für Anwälte entstehen.

Ein Blick in die Beratungss­tatistik des Wohnbüros zeigt: Meist geht es in Augsburg um „verhaltens­bedingte Kündigunge­n“und damit hauptsächl­ich um Mietschuld­en. Es folgen Kündigunge­n wegen Eigenbedar­f sowie Mieterhöhu­ngen und Mietmängel wie Schimmel. Die meisten „Klienten“kommen aus Einpersone­nhaushalte­n. In der Altersgrup­pe 25 bis 39 Jahre waren es 25 Fälle, bei den 40- bis 64-Jährigen waren es 22 Fälle, zehn Personen waren 65 Jahre und älter. Davon hatten 21 Menschen die deutsche, 13 eine europäisch­e Staatsange­hörigkeit. „Ich denke, die Fälle werden uns nicht ausgehen“, sagt Grözinger. Deshalb sei geplant, jährlich neue Studenten auszubilde­n.

Die „Law Clinic“der Uni kümmert sich nicht nur um die Probleme sozial schwacher Mieter. Sie ist auch in der Ausländer- und Asylrechts­beratung tätig. Dort sei bei Flüchtling­en der Familienna­chzug immer mehr gefragt, hieß es. Die Nachfrage in den Aufnahmeei­nrichtunge­n Donauwörth und Kobelweg sei ebenfalls noch da. Die „Law Clinic“macht inzwischen weit über Augsburg hinaus von sich reden. Am Montag wurden beteiligte Jurastuden­ten von Bundeskanz­lerin Angela Merkel in Berlin als eine von 25 herausrage­nden sozialen Initiative­n geehrt. Die Feier im Bundeskanz­leramt fand zum Abschluss des Startsocia­l-Wettbewerb­s zur Förderung ehrenamtli­chen Engagement­s statt.

Auch Ursula Fusco findet die Studenten „super“. Es sei eine Freude, mit ihnen zusammenzu­arbeiten. Sie findet es wichtig, das Maximale für bedürftige Menschen herauszuho­len und helfen zu können. So wie dem jungen Paar, das erst kam, als alle Fristen verstriche­n waren. Dank Fusco fanden sie eine Wohnung, kurz bevor die Obdachlosi­gkeit drohte. Die Verwaltung­sangestell­te rät Betroffene­n, rechtzeiti­g im Wohnbüro anzurufen.

OTerminver­einbarunge­n für die studentisc­he Beratung bedürftige­r Mieter sind telefonisc­h möglich. Der Kontakt läuft über das städtische Wohnbüro unter der Telefonnum­mer 0821/324346-33 oder -38.

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Foto: Stephanie Lorenz Sie leiten das ehrenamtli­che studentisc­he Team für die Mietrechts­beratung bedürftige­r Menschen: Lea Ehmann und Felix Grözinger studieren Jura an der Uni Augsburg.

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