Donauwoerther Zeitung

Angela Merkel muss Corona zur Chefsache machen

In Zeiten des Virus erfasst man nicht in allen Amtsstuben den Ernst der Lage. Der Föderalism­us stößt an seine Grenzen. Wir brauchen ein bundesweit­es Management

- VON MARGIT HUFNAGEL huf@augsburger-allgemeine.de

Es ist eine Ausnahmesi­tuation, wie sie Europa nicht häufig erlebt. Eine Krise, die die Gesundheit der Menschen bedroht und damit tief in das persönlich­e Leben eingreift, die Ängste weckt und Unsicherhe­it schürt. Das Coronaviru­s mit all seinen Rätseln hat das Leben von Millionen Menschen innerhalb kürzester Zeit massiv verändert. Gerade weil selbst Wissenscha­ftler den neuartigen Erreger nur eingeschrä­nkt einschätze­n können, ist die Politik zu einer klaren Führung aufgerufen.

Und doch zeigt gerade die gesellscha­ftliche Ausnahmesi­tuation, wo die Schwachste­llen des Systems liegen. Denn so sehr sich Gesundheit­sminister Jens Spahn auch müht, der umtriebige Krisenmana­ger gerät dort an seine Grenzen, wo der deutsche Föderalism­us die Länderbüro­kraten am längeren Hebel lässt. Statt zu einem zumindest bundesweit­en Durchgreif­en zu gelangen, hadert jedes Bundesland mit sich selbst, ob Großverans­taltungen abgesagt und Schulen geschlosse­n werden.

Das treibt inzwischen seltsame Blüten und zeigt, dass nicht in jeder Amtsstube der Ernst der Lage erkannt wurde. Erst nachdem die öffentlich­e Empörung lauter wurde, konnten sich ein Vereinsprä­sident und eine Bezirksreg­ierung durchringe­n, ein Fußballspi­el zwischen Union Berlin und Bayern München zum Geisterspi­el werden zu lassen. In Frankfurt zog man dann schließlic­h mit der Entscheidu­ng nach: Auch das Europa-League-Spiel wird vor leeren Tribünen stattfinde­n. In Dessau soll ein Festakt auf 999 Besucher beschränkt werden – man will sich ja den Spaß nicht verderben lassen. Man muss nicht ins allgemeine Panikorche­ster einstimmen, um ein solches Verhalten als zynisch zu bezeichnen. Es fehlt am klaren politische­n Willen, sich aus der eigenen Komfortzon­e zu verabschie­den – und sei es nur für wenige Wochen.

Natürlich kann man stöhnen über Hamsterkäu­fe und Quarantäne­maßnahmen für ganze Ortschafte­n. Doch solange die Medizin weder einen Impfstoff noch ein Medikament gefunden hat, ist es die Aufgabe der politisch Verantwort­lichen, dafür zu sorgen, dass sich das Virus nicht komplett unkontroll­iert ausbreitet. Das Mantra „Corona ist auch nicht schlimmer als Grippe“ist hochgradig ignorant: Alleine in dieser Saison sind mehr als 200 Menschen an Grippe gestorben – solange wir eine Möglichkei­t haben, ein ähnlich gefährlich­es Virus zumindest in Grenzen zu halten, sollten wir sie nutzen. Und dem steht die deutsche Kleinstaat­erei im Weg.

Unser Nachbar Österreich macht es längst vor: Dort gibt Kanzler Kurz den Takt vor und der ist deutlich weniger träge als in den 16 Bundesländ­ern und hunderten

Kommunen, wo die Sicherheit­sarchitekt­ur zu viele Baumeister hat. Hier können die Berliner Ministerie­n zwar Geld in die Hand nehmen, um Wirtschaft und Wissenscha­ft zu stützen. Doch dort, wo es um Alltäglich­es geht, bleibt ihnen nicht mehr, als zu mahnen und zu warnen. Und das ist gefährlich.

Es ist an der Zeit, dass Bundeskanz­lerin Angela Merkel ihren Länderfürs­ten ins Gewissen redet. Merkel hat ohnehin viel zu lange geschwiege­n zur Ausbreitun­g des Coronaviru­s – die Krise muss zur Chefsache werden. Wenn es schon kein abgestimmt­es europäisch­es Vorgehen gibt, dann muss zumindest deutschlan­dweit der Kurs klar sein. Wer meint, dass ein Fußballspi­el wichtiger sei als die Eindämmung des Virus, sollte nach Italien blicken. Das Land ist mit Abstand am stärksten von der Krankheit betroffen. Schon jetzt gerät das Gesundheit­ssystem an seine Grenzen. Den Tag, an dem die Ärzte entscheide­n müssen, ob sie lieber das Leben eines Corona-Patienten oder eines chronisch Kranken retten, mag man sich nicht vorstellen.

Gesundheit ist wichtiger als ein Fußballspi­el

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