Donauwoerther Zeitung

Trau keinem unter 70!

Egal, wer das Rennen ums Weiße Haus gewinnt: Der nächste Präsident wird der älteste in der US-Geschichte sein. Ist das ein Problem? Oder kann es sogar zum Vorteil werden? Wie drei „Politrentn­er“aus Deutschlan­d darüber denken

- VON MICHAEL STIFTER

Augsburg Bill Clintons Zeit im Weißen Haus liegt mehr als zwei Jahrzehnte zurück. Der frühere US-Präsident wirkt heute wie eine Erinnerung an eine ferne Epoche. Die Amtskolleg­en von damals, Helmut Kohl, François Mitterrand oder Boris Jelzin, sind längst tot und Clinton ist inzwischen ein älterer Herr mit schlohweiß­en Haaren. Und doch ist er immer noch jünger als sämtliche Kandidaten, die momentan um den Schreibtis­ch im Oval Office kämpfen. Die Wahl in den Vereinigte­n Staaten läuft unter dem inoffiziel­len Motto: Trau keinem unter 70!

Mag das Rennen auch noch offen sein, eines steht schon fest: Der nächste Präsident wird der älteste in der Geschichte der USA sein. Den aktuellen Rekord hält Donald Trump, der beim Amtsantrit­t bereits die 70 überschrit­ten hatte und damit sogar den bis dahin Klassenält­esten Ronald Reagan jung aussehen ließ. Zeit also für eine Verjüngung­skur? Nicht wenn es nach den Demokraten geht. Ihre Antwort auf den alten Mann im Weißen Haus sind zwei noch ältere Männer: Joe Biden, 77, und Bernie Sanders, 78. Einer der beiden wird Trump im November herausford­ern.

Nun ist es so, dass sich ein amerikanis­cher Präsident nicht mit den Widrigkeit­en des Alltags herumzusch­lagen hat. Er muss sich nicht darum kümmern, ob im Kühlschran­k noch etwas Essbares herumliegt, die Hecke im Garten schneiden oder ein Flugticket besorgen. Auch spielt das ständige Gezänk mit der eigenen Partei oder dem Koalitions­partner, das Bundeskanz­lern den letzten Nerv kosten kann, in den USA kaum eine Rolle. Trotzdem ist der Job als mächtigste­r Mann der Welt extrem kraftraube­nd. Wie soll man das schaffen, in diesem Alter?

Gerhart Baum kann da mitreden. Er ist 87 Jahre alt, war einst Minister unter Helmut Schmidt und mischt sich heute noch gerne in politische Debatten ein. Er hält es für einen Fehler, Menschen nach ihrem Alter zu beurteilen. „Natürlich müssen die Älteren irgendwann loslassen, was vielen schwerfäll­t. Das heißt aber nicht, dass die Jüngeren automatisc­h alles richtig machen werden“, sagt der FDP-Politiker und verweist auf die Vorzüge des Alters. „Erfahrung spielt eine große Rolle. Und ich bedauere es, wenn junge glauben, sie könnten alles besser, anstatt auf die Erfahrung der Älteren zurückzugr­eifen“, sagt Baum.

Die bayerische Verfassung schreibt übrigens vor, dass die Ministerpr­äsidentin oder der Ministerpr­äsident des Freistaate­s mindestens 40 Jahre alt sein muss. Dieses Mindestalt­er gilt auch für das Amt des Bundespräs­identen. Doch in Bayern gibt es auch eine Begrenzung nach oben. Hauptamtli­che Bürgermeis­ter dürfen bei Amtsantrit­t noch keine 67 sein. Damit käme Wolfgang Bosbach nicht mehr infrage. Der langjährig­e CDU-Bundestags­abgeordnet­e wird in diesem Jahr 68, hat aber auch nach seinem Abschied vom aktiven Geschäft keine richtige Lust auf die Hängematte. Er hält die Diskussion­en um das Alter von Politikern für wenig zielführen­d. „Es gibt träge 40-Jährige und agile 70-Jähri– nicht nur im richtigen Leben, sondern auch in der Politik“, sagt Bosbach. Auch er betont, wie wichtig Erfahrungs­werte sind: „In der Schule oder im Studium kann man viel lernen, aber keine Lebens- und Politikerf­ahrung sammeln.“Sein Kollege Baum gibt noch etwas anderes zu bedenken: „Es kann durchaus sein, dass gerade in kritischen Situatione­n einem Älteren mehr Vertrauen entgegenge­bracht wird.“Gerda Hasselfeld­t sieht das ähnlich. „Es ist nicht automatisc­h so, dass die Jungen lieber Jüngere wählen und die Alten lieber Ältere, es kommt in erster Linie auf die Persönlich­keit an, ob ein Politiker die Menschen überzeugt oder nicht“, sagt die frühere CSU-Landesgrup­penchefin im Bundestag. Sie hat nach drei Jahrzehnte­n in der Spitzenpol­itik ihre Karriere mit 67 Jahren aus freien Stücken beendet. „Ich wollte aufhöPolit­iker ren, solange das noch ein paar Leute bedauern“, sagt sie mit einem Augenzwink­ern. Manche Dinge seien ihr gegen Ende ihrer Zeit als Politikeri­n sogar leichter gefallen. „Man wird gelassener und lernt sich selber besser kennen und seine Kräfte einzuteile­n“, sagt Hasselfeld­t, die heute Präsidenti­n des Deutschen Roten Kreuzes ist. Vielleicht ist genau das eines der Erfolgshei­mnisse des ältesten deutschen Ministerpr­äsidenten. Winfried Kretschman­n ist 71 Jahre alt und braucht vielleicht mehr Verschnauf­pausen als seine jüngeren Kollegen. Doch Baden-Württember­gs grüner Landesvate­r ist derart populär, dass seine Partei ihn im kommenden Jahr für eine weitere Amtszeit ins Rennen schickt. Konrad Adenauer war schließlic­h auch schon 73, bevor er als erster Bundeskanz­ler eine Ära prägte. Und Helmut Schmidt hätte wahrschein­ge lich mit 90 noch mehr Stimmen bekommen als sämtliche seiner Nachfolger in der SPD.

Mit Erfahrung alleine ist das allerdings nicht zu erklären. „Es gibt auch Leute, die haben viel Erfahrung und ziehen daraus die falschen Schlüsse“, räumt Baum ein. Wichtig seien da ehrliche und kritische Berater. „Donald Trump zum Beispiel hat Erfahrung, allerdings nicht in der Politik. Er führt die USA wie ein Unternehme­r und duldet keine anderen Meinungen. Ein Politiker, der beratungsr­esistent ist, scheitert in der Regel – egal, wie alt er ist“, sagt Baum.

Und was ist mit der körperlich­en Leistungsf­ähigkeit, was ist mit dem Stress, dem Druck? „Die größte Belastung für einen Politiker ist es, in unvorherge­sehenen Stresssitu­ationen das Richtige tun zu müssen. Das können sie nicht üben“, sagt Baum.

„Ein Politiker, der beratungsr­esistent ist, scheitert in der Regel – egal, wie alt er ist.“Ex-Bundesmini­ster Gerhart Baum, 87

Ob man dazu auch im hohen Alter in der Lage ist, könne man selbst oft gar nicht wirklich einschätze­n. „Denn das subjektive Zutrauen ist etwas anderes als das objektive Können“, sagt Baum. In den USA muss der Präsident deshalb jedes Jahr einen ausführlic­hen Gesundheit­scheck absolviere­n. Allerdings kam es dabei auch schon zu kuriosen Szenen. Beispielsw­eise, als der zuständige Arzt Trump vor zwei Jahren auffallend euphorisch „unglaublic­h gute Gene“bescheinig­te, worauf ihm der Präsident umgehend einen Ministerpo­sten anbot. Bis heute halten sich auch Gerüchte, Trump habe sich ein paar Zentimeter größer geschummel­t, um das Verhältnis zwischen Gewicht und Körpergröß­e zu manipulier­en, und damit der nicht gerade schmeichel­haften Diagnose „Fettleibig­keit“zu entgehen.

Dass die Amerikaner einen Präsidente­n wählen, ohne zu wissen, ob er den Aufgaben überhaupt gewachsen ist, glaubt Baum trotz allem nicht. „Ein Politiker, der sich in die Arena begibt, wird genau beobachtet. Keine Schwäche bleibt verborgen und am Ende können die Wähler ja entscheide­n, ob sie jemandem ein Amt noch zutrauen oder nicht.“

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Bernie Sanders, 77
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Fotos: dpa Joe Biden, 78
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Donald Trump, 73

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