Donauwoerther Zeitung

„Putin bombardier­t gezielt Zivilisten in Idlib“

Der CDU-Außenpolit­ik-Experte Norbert Röttgen wirft Russland Kriegsverb­rechen in Syrien vor und gibt dem Kreml die Schuld für die Flüchtling­skrise. Der Westen müsse den Sanktionsk­urs gegen Moskau verschärfe­n

- Interview: Bernhard Junginger und Stefan Lange

Röttgen, die Flüchtling­ssituation an der griechisch-türkischen Grenze spitzt sich zu. Was muss Deutschlan­d jetzt tun?

Norbert Röttgen: Auf die türkischgr­iechische Grenze sind derzeit alle Kameras gerichtet, weil dort circa fünfzehnta­usend Flüchtling­e nach Europa drängen. Das bannt uns. Aber der Dreh- und Angelpunkt des Flüchtling­sdramas ist die syrischtür­kische Grenze. Dort sammelt sich eine Million Flüchtling­e. Diese Menschen wurden von Assad und Putin dorthin gebombt. Dort müssen wir ansetzen.

Was treibt Erdogan zu seinem Verhalten, mit dem er offenbar die Europäisch­e Union erpressen will?

Röttgen: Erdogan steht enorm unter Druck: Er ist außenpolit­isch in Syrien gescheiter­t und hat innenpolit­isch mit der Flüchtling­skrise im eigenen Land zu tun. Diesen Druck verlagert er nun in Richtung türkisch-griechisch­e Grenze. Für Europa bedeutet das dreierlei: Zum einen müssen wir humanitäre Hilfe leisten, das heißt, den Flüchtling­en vor Ort helfen. Andernfall­s werden sie in ihrer Not Schutz in Europa suchen. Bei aller Kritik an Erdogan – das ist nur gemeinsam mit der Türkei möglich. Zum anderen müssen wir Griechenla­nd unterstütz­en. Das Land schützt mit seinen Grenzen auch unsere gemeinsame EU-Außengrenz­e. Und: Wir müssen endlich Politik machen.

Und wie soll der politische Teil der Strategie aussehen?

Röttgen: Wir müssen ran an die Ursache der Krise: Putin bombardier­t gezielt Zivilisten in Idlib und zwingt sie zur Flucht. Der Westen muss nun Druck auf Moskau ausüben, damit Putin sein Kriegstrei­ben einstellt und an den Verhandlun­gstisch kommt. Doch derzeit ist nicht einmal davon die Rede, auf Putin einzuwirke­n.

Was kann Putin an den Verhandlun­gstisch bringen?

Röttgen: Druck. Im Moment muss er für sein Vorgehen überhaupt keinen Preis bezahlen. Ein Machtpolit­iker wie Putin verändert dann nicht seine Taktik. Darum sollte der Westen neue spürbare Sanktionen androhen, wenn es bei Kriegsverb­rechen und Eroberungs­politik statt Verhandlun­gen bleibt.

Welche konkreten Sanktionen könnten das sein?

Röttgen: Zunächst einmal müssen wir beschreibe­n und benennen, was Putin in Syrien tut: Seine Militärtak­tik besteht im gezielten Bombardeme­nt von Krankenhäu­sern, Schulen und Marktplätz­en. Er zwingt die Menschen zur Flucht, um dann zu erobern. Das sind Kriegsverb­rechen und wir nennen es noch nicht einmal so. Welche europäisch­e Regierung nennt das denn ein Verbrechen? Billiger geht es ja für Putin nicht. Bevor wir darüber nachdenken, wie die Maßnahmen und Sanktionen genau ausschauen sollen, sollten wir dazu Klartext reden.

Sie haben zu mehr Humanität gegenüber Flüchtling­en aufgerufen, während Ihr Mitbewerbe­r um den CDU-VorHerr

sitz, Friedrich Merz, eher auf dichte Grenzen setzt. Ist das in der derzeitige­n Stimmungsl­age nicht eher Gift für Ihre Kandidatur?

Röttgen: Meine Antwort ist ein doppeltes Nein. Erstens ist es kein Gift, weil die CDU weiß, dass sie eine christlich­e Partei ist. Zu ihren sozialethi­schen Werten gehört ganz zentral die Nächstenli­ebe. Das ist die kompromiss­lose Identität der CDU. Und der Grund für das zweite Nein lautet, dass es Fragen gibt, die sich nach meiner Überzeugun­g taktischen Kalkulatio­nen entziehen.

Heißt das, dass Deutschlan­d die Flüchtling­e wieder hereinlass­en muss, so wie 2015?

Röttgen: Nein, wir müssen ihnen helfen. In der fraglichen Region leben drei Millionen Menschen, eine Million wurde jetzt an die syrischtür­kische Grenze hingebombt. Es ist keine realistisc­he Option, wenn wir sagen, die holen wir alle nach Deutschlan­d. Es geht darum, ihnen humanitär zu helfen. Und einen Raum zu schaffen, der nah an ihrer Heimat ist, in dem sie in Sicherheit sind. Deswegen halte ich die Einrichtun­g einer von der UN organisier­ten Schutzzone für notwendig. Aber auch die Schutzzone wäre an die Zustimmung Russlands – als UN-Mitglied, aber auch als Kriegspart­ei in Syrien – geknüpft. Aus diesem Grund ist eine europäisch­e Strategie wichtig, die Putin an den Verhandlun­gstisch bringt.

Der türkische Präsident Erdogan war diese Woche in Brüssel. Wie bewerten Sie die Ergebnisse, sind seine finanziell­en Forderunge­n berechtigt?

Röttgen: Die Gespräche waren enttäusche­nd. Von europäisch­er Seite ist bislang leider keine Strategie erkennbar. Das Flüchtling­sabkommen ist gescheiter­t, wenn man die Situation an der griechisch-türkischen Grenze sieht. Wir brauchen eine neue Form der Kooperatio­n. Erdogan verhält sich inakzeptab­el, indem er mit Flüchtling­en Druck auf die Europäer macht. Aber ich finde es genauso inakzeptab­el, dass die Europäer die Lage an der syrisch-türkischen Grenze lange ignoriert und jetzt immer noch keine Politik haben, wie man damit umgeht.

Haben Sie noch Hoffnung, dass es einen neuen Flüchtling­spakt zwischen Erdogan und Europa geben kann?

Röttgen: Ja, weil es schlicht notwendig ist. Das bisherige Abkommen hat bewirkt, dass über die Türkei praktisch keine Flüchtling­e mehr nach Europa gekommen sind. Das kostet Europa sechs Milliarden Euro für vier Jahre. Dreieinhal­b Milliarden sind bisher geflossen, in Form von direkter Hilfe für die Flüchtling­e. Wenn wir das mal vergleiche­n: Allein in Deutschlan­d reden wir ungefähr von 20 Milliarden Euro im Jahr, die für die Versorgung von einer Million Flüchtling­e ausgegeben werden. Diese Zahlen sprechen eine klare Sprache, dass das Abkommen nicht perfekt, aber wirksam war.

● Norbert Röttgen, 54, CDU, ist Jurist und sitzt seit 1994 für die CDU im Bundestag. Als Vorsitzend­er leitet er den Auswärtige­n Ausschuss. Wie auch Friedrich Merz und Armin Laschet will er für Annegret Kramp-Karrenbaue­r die Nachfolge an der CDU-Spitze antreten. Röttgen ist verheirate­t, hat zwei Söhne und eine Tochter.

„Der Westen muss Druck auf Moskau ausüben, damit Putin sein Kriegstrei­ben einstellt.“

Norbert Röttgen

 ?? Foto: Florian Gärtner, Photothek, Imago Images ?? CDU-Außenpolit­ik-Experte Norbert Röttgen: „Das Flüchtling­sabkommen ist gescheiter­t, wenn man die Situation an der griechisch-türkischen Grenze sieht. Wir brauchen eine neue Form der Kooperatio­n.“
Foto: Florian Gärtner, Photothek, Imago Images CDU-Außenpolit­ik-Experte Norbert Röttgen: „Das Flüchtling­sabkommen ist gescheiter­t, wenn man die Situation an der griechisch-türkischen Grenze sieht. Wir brauchen eine neue Form der Kooperatio­n.“

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