Blüm erträgt sein Schicksal
Ex-CDU-Minister von Schultern abwärts gelähmt nach Sepsis
Bonn Dass er, der politische Vater der deutschen Pflegeversicherung, selbst einmal ein Pflegefall sein könnte, das war Norbert Blüm in den vergangenen Jahren immer bewusst: „Darauf muss man vorbereitet sein“, sagte der 84-Jährige vor knapp einem Jahr. „Aber ich lasse es kommen. Ich bin nicht der Mensch, der glaubt, man müsse alles planen.“Nun, da ihn das Schicksal auf recht erbarmungslose Weise ereilt hat, erträgt es der katholische Rheinländer auf die ihm eigene Weise: „Noch nehme ich das Urteil nicht ganz so ernst, wie ich eigentlich müsste“, schreibt Blüm in einem Beitrag in der Zeit, in dem er seine schwere Erkrankung öffentlich machte: Nach einer schweren Blutvergiftung ist der frühere CDU-Arbeitsminister von den Schultern abwärts gelähmt.
Blüm, der den Text seiner Frau Marita, mit der er seit über 55 Jahren verheiratet ist, diktieren musste, scheint auch nach diesem Schicksalsschlag seinen Humor nicht vollkommen verloren zu haben. „Weil mein Lebensgefühl es nicht akzeptiert,
Er sagt, er fühle sich wie eine Marionette – ohne Fäden
auf Dauer gelähmt zu sein“, wie er sagt. „Ich fühle mich wie eine Marionette, der sie die Fäden gezogen haben, sodass ihre Teile zusammenhangslos in der Luft baumeln.“Doch plötzlich würde jede Kleinigkeit für ihn zum Problem. „Mich reizt gerade unter dem linken Auge ein Jucken. Früher hätte ich mit einem Handstrich den Juckreiz beseitigt. Heute kann meine Hand das nicht. Und so muss ich geduldig ausharren, bis der Reiz aufgibt.“
Vor der Erkrankung hatte Blüm ein intensives öffentliches Leben geführt – „zeitweise als Rummelboxer der Politik“, schreibt er. Im März 2016, als die Flüchtlingskrise an den türkisch-griechischen Küsten ihren Höhepunkt erreichte, setzte der stets für Menschenrechte kämpfende Christdemokrat ein Signal. Er übernachtete als Achtzigjähriger im überfüllten Flüchtlingslager Idomeni im Zelt bei Regen und sechs Grad Kälte. Die Zustände prangerte er, im dicken Winteranorak, als „Anschlag auf die Menschlichkeit“und als „Kulturschande“an.
„Ich beurteile manche Ereignisse meines Lebens anders als bisher, und der Rollstuhl bildet die Wasserscheide“, sagt Blüm heute. „Mir ist das Glück abhandengekommen, ungehemmt durch die Gegend zu streifen.“Tatsächlich, so sagt seine Frau Marita, werde ihr Mann nie mehr laufen können. „Sein Ziel ist es zum Beispiel, wieder ein Buch selbst halten zu können.“Erst kürzlich habe er nach monatelangem Aufenthalt die Klinik verlassen können.
Blüm tröstet sich mit seinem Humor über seine Pflegebedürftigkeit: „Ich lebe wie Gott in Frankreich“, sagt er. Er werde gefüttert und rund um die Uhr bedient. Aber er sei mehr als sein Körper, betont Blüm. „Vor die Wahl gestellt, würde ich Defizite körperlicher Tüchtigkeit leichter ertragen als den Verlust von mentaler Selbstständigkeit.“