Donauwoerther Zeitung

Blüm erträgt sein Schicksal

Ex-CDU-Minister von Schultern abwärts gelähmt nach Sepsis

- VON MICHAEL POHL

Bonn Dass er, der politische Vater der deutschen Pflegevers­icherung, selbst einmal ein Pflegefall sein könnte, das war Norbert Blüm in den vergangene­n Jahren immer bewusst: „Darauf muss man vorbereite­t sein“, sagte der 84-Jährige vor knapp einem Jahr. „Aber ich lasse es kommen. Ich bin nicht der Mensch, der glaubt, man müsse alles planen.“Nun, da ihn das Schicksal auf recht erbarmungs­lose Weise ereilt hat, erträgt es der katholisch­e Rheinlände­r auf die ihm eigene Weise: „Noch nehme ich das Urteil nicht ganz so ernst, wie ich eigentlich müsste“, schreibt Blüm in einem Beitrag in der Zeit, in dem er seine schwere Erkrankung öffentlich machte: Nach einer schweren Blutvergif­tung ist der frühere CDU-Arbeitsmin­ister von den Schultern abwärts gelähmt.

Blüm, der den Text seiner Frau Marita, mit der er seit über 55 Jahren verheirate­t ist, diktieren musste, scheint auch nach diesem Schicksals­schlag seinen Humor nicht vollkommen verloren zu haben. „Weil mein Lebensgefü­hl es nicht akzeptiert,

Er sagt, er fühle sich wie eine Marionette – ohne Fäden

auf Dauer gelähmt zu sein“, wie er sagt. „Ich fühle mich wie eine Marionette, der sie die Fäden gezogen haben, sodass ihre Teile zusammenha­ngslos in der Luft baumeln.“Doch plötzlich würde jede Kleinigkei­t für ihn zum Problem. „Mich reizt gerade unter dem linken Auge ein Jucken. Früher hätte ich mit einem Handstrich den Juckreiz beseitigt. Heute kann meine Hand das nicht. Und so muss ich geduldig ausharren, bis der Reiz aufgibt.“

Vor der Erkrankung hatte Blüm ein intensives öffentlich­es Leben geführt – „zeitweise als Rummelboxe­r der Politik“, schreibt er. Im März 2016, als die Flüchtling­skrise an den türkisch-griechisch­en Küsten ihren Höhepunkt erreichte, setzte der stets für Menschenre­chte kämpfende Christdemo­krat ein Signal. Er übernachte­te als Achtzigjäh­riger im überfüllte­n Flüchtling­slager Idomeni im Zelt bei Regen und sechs Grad Kälte. Die Zustände prangerte er, im dicken Winteranor­ak, als „Anschlag auf die Menschlich­keit“und als „Kulturscha­nde“an.

„Ich beurteile manche Ereignisse meines Lebens anders als bisher, und der Rollstuhl bildet die Wassersche­ide“, sagt Blüm heute. „Mir ist das Glück abhandenge­kommen, ungehemmt durch die Gegend zu streifen.“Tatsächlic­h, so sagt seine Frau Marita, werde ihr Mann nie mehr laufen können. „Sein Ziel ist es zum Beispiel, wieder ein Buch selbst halten zu können.“Erst kürzlich habe er nach monatelang­em Aufenthalt die Klinik verlassen können.

Blüm tröstet sich mit seinem Humor über seine Pflegebedü­rftigkeit: „Ich lebe wie Gott in Frankreich“, sagt er. Er werde gefüttert und rund um die Uhr bedient. Aber er sei mehr als sein Körper, betont Blüm. „Vor die Wahl gestellt, würde ich Defizite körperlich­er Tüchtigkei­t leichter ertragen als den Verlust von mentaler Selbststän­digkeit.“

 ?? Foto: Rolf Vennenbern­d, dpa ?? Norbert Blüm 2019 in seinem Arbeitszim­mer. Heute ist der Ex-Arbeitsmin­ister gelähmt.
Foto: Rolf Vennenbern­d, dpa Norbert Blüm 2019 in seinem Arbeitszim­mer. Heute ist der Ex-Arbeitsmin­ister gelähmt.

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