Ökonomen fordern mehr Krisenhilfe der Regierung
Führende Wirtschaftsexperten halten die beschlossenen Maßnahmen für unzureichend und schon wieder veraltet. Sie warnen vor drohendem Abschwung und unterbreiten weitere Vorschläge
Berlin Erst am Wochenende hat die Große Koalition im Kampf gegen das Coronavirus Maßnahmen zur Stützung der Wirtschaft beschlossen – und doch sind diese nach Einschätzung führender Ökonomen schon wieder veraltet. Sieben renommierte Wirtschaftsprofessoren forderten in Berlin von der Regierung, schnell eine Schippe draufzulegen, um einen tiefen Abschwung abzuwenden. Zentrales Anliegen: Die Firmen müssten flüssig bleiben, um nicht in die Insolvenz zu stürzen.
Daher schlägt die Gruppe der sieben Ökonomen ein Bündel von Maßnahmen vor, um die Unternehmen rasch zu entlasten. Die Einkommenund die Körperschaftsteuer könnten zeitweise gesenkt werden, wie es laut Gesetz in Notlagen möglich ist. Die Finanzämter sollen alle fälligen Steuernach- oder -vorauszahlungen zinslos stunden, bis die Virusinfektion abgeklungen ist. Sinnvoll ist nach Einschätzung der Fachleute auch, dass die Bundesregierung einen staatlichen Notfalltopf
ins Auge fasst, der gezielt einzelne Firmen vor der Pleite durch Geldspritzen bewahren kann. Viele dieser Maßnahmen seien „für den Staat relativ billig oder kostenneutral“, sagte der Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung, Sebastian Dullien. Es gehe nicht darum, den Unternehmen Geld zu schenken, sondern Steuern später einzutreiben. „Wenn wir jetzt beherzt eingreifen, wird es billiger, weil wir später weniger Steuerausfälle haben“, ergänzte er. Übereinstimmung herrschte bei den Ökonomen, dass Deutschland genügend Spielraum in der Staatskasse hat, um sich kraftvoll gegen eine konjunkturelle Talfahrt zu stemmen. Sollte die Regierung mehr Mittel benötigen, sei die Aufnahme von Krediten angezeigt. „Die schwarze Null ist in der Krise erst recht kein Ratgeber“, sagte der Chef des arbeitgebernahen Instituts der Deutschen Wirtschaft,
Michael Hüther. Doch selbst wenn die Koalition nachlegt und die Vorschläge aus der Wissenschaft befolgt, kann der Abschwung wohl nicht mehr verhindert werden. Im ersten halben Jahr wird die Wirtschaftsleistung schrumpfen, im Gesamtjahr könnte maximal eine Stagnation erreicht werden. Die Fachleute rechnen aber nicht damit, dass es so schlimm kommt wie bei der großen Finanzkrise vor gut zehn Jahren, als die Wirtschaft um mehr als fünf Prozent einbrach.
Zuversichtlich bleiben sie auch, dass die Arbeitslosigkeit nicht sprunghaft steigen wird. „Wir gehen nicht davon aus, dass es einen Einbruch gibt wie 2009, und deshalb kann man die Effekte auf den Arbeitsmarkt sehr gut abfedern“, meinte der Würzburger Ökonom Peter Bofinger. Er und seine Kollegen lobten ausdrücklich den Beschluss, die Hürden für den Bezug von Kurzarbeitergeld zu senken.
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) kündigte für Freitag eine Bekanntmachung von Finanzminister Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftsminister
Peter Altmaier (CDU) an, „wo der ganze Bereich der Liquiditätshilfen noch mal aufgerufen wird“. Außerdem wird sich die Regierung am Abend desselben Tages mit den Wirtschaftsverbänden zusammensetzen, um über praxistaugliche Hilfen zu beraten. „Wir werden einen Instrumentenkasten am Freitag haben, der erst mal auf das Vorhersehbare eine Reaktion ist“, sagte die Kanzlerin und betonte: „Wir können die wirtschaftlichen Folgen noch nicht absehen.“Das Kabinett werde deshalb schauen, „wie sich die Dinge entwickeln“.
Aus den Unternehmen kam Zustimmung zu den Ideen der Siebener-Gruppe. „Aktuell zählt jeder Cent, der in den Unternehmen bleiben kann. Das gilt für Kleinbetriebe genauso wie für mittelständische Familienunternehmen und Großkonzerne“, mahnte der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Eric Schweitzer. Eine Umfrage des Verbandes hatte ergeben, dass hierzulande jede zweite Firma mit Umsatzeinbußen durch die Epidemie rechnet.