Donauwoerther Zeitung

„Niemals im Crash alle Aktien verkaufen“

Beate Sander ist 82 Jahre alt und hat aus 30000 Euro zwei Millionen Euro gemacht. Im Gespräch erklärt die Neu-Ulmerin, wie sie auf den Corona-Einbruch an der Börse reagiert

- Interview: Christina Heller

Frau Sander, am Montag ist der Dax um acht Prozent eingebroch­en. Überall war die Rede vom Crash. Ihre Philosophi­e ist es ja, in Börsen-Krisenzeit­en die Ruhe zu bewahren. Gilt das auch diesmal?

Beate Sander: Natürlich. Das Schlimmste, was man tun kann, ist, im Crash alle Aktien zu verkaufen. Das sage ich den Menschen immer wieder.

Und wie kommen Sie darauf?

Sander: Werfen wir doch mal einen Blick in die Geschichte. Wir hatten in der jüngsten Zeit drei große Crashs. Das war einmal der Einbruch in der Dotcom-Blase 2000 bis 2003. Davor hatte der Dax den Höchstwert bei 8000 Punkten. Und er brach auf 2200 Punkte ein. In der Finanzkris­e 2008/09 fiel der Dax auf den Tiefststan­d von 3600 Punkten. Zuvor war er auf ein Allzeithoc­h von 10000 Zählern geklettert. Nun hatten wir wieder einen Rekord im Februar. Damals lag der Dax bei fast 13 800 Punkten. Und am Montag ist er auf unter 11000 Punkte gefallen. Die Lehre daraus ist: Nach Krisen geht es immer wieder nach oben, und zwar meist höher als davor.

Kann man denn bei einem Einbruch auf 11000 Punkte überhaupt von einem Crash sprechen? Sie sagen es ja selbst: Vor ein paar Jahren wäre das ein absoluter Rekordwert gewesen.

Sander: Ich spreche vom CoronaCras­h. Die Anzeichen sind schon die eines Crashs: Der Dax ist gefallen, der Euro Stoxx ist gefallen, der Nasdaq ist gefallen, der Dow Jones ist gefallen. Alle in etwa um acht Prozent. Es waren die größten Tagesverlu­ste seit 2001. In Amerika war kurzzeitig sogar der Handel ausgesetzt. Diese Maßnahme wird nur bei einem Crash ergriffen. Ob das historisch gesehen auch als schwarzer Tag in die Börsengesc­hichte eingehen wird, muss sich erst noch erweisen. Es hängt davon ab, wie es jetzt weitergeht. Dennoch rechne ich damit, dass die Krise länger andauert. Deshalb gilt ja umso mehr, nicht den Fehler zu machen, den die meisten Anleger machen. Keineswegs in Panik alle seine Aktien verkaufen. Dadurch entsteht ja erst ein Crash.

Was raten Sie den Anlegern denn stattdesse­n?

Sander: Es gibt zwei große Fehler, die niemand jetzt machen darf. Erstens – wie gesagt – in panischer Angst alle Aktien verkaufen. Das ist gleich doppelt schlecht. Denn für jeden Verkauf muss man eine Transaktio­nsgebühr bezahlen. Der Verkauf kostet also. Dazu kommt: Im März beginnt die Dividenden­saison. Und wenn die Kurse sinken, steigt im Verhältnis zu den Kursen die Dividenden­rendite. Die Dividende wird oft übersehen, wenn man darüber spricht, ob Aktien veräußert werden sollen oder nicht. Und ein weiterer Punkt: Wenn man alle Aktien verkauft und plötzlich ein Vermögen von mehr als 100000 Euro auf dem Konto hat, muss man plötzlich Strafzinse­n bezahlen, die fast jede Bank von ihren Kunden verlangt.

Und der zweite Fehler?

Sander: Der wäre, jetzt zu lange abzuwarten und nichts zu tun, weil man nicht weiß, wie sich die Kurse entwickeln. Auch ich kann das nicht vorhersage­n. Aber ich rate allen: Macht an jedem Tag mit starken Kursschwan­kungen etwas. Verschießt nicht alles Pulver auf einmal, sondern streut euer Risiko. Das funktionie­rt nicht nur, indem man in Wachstumsb­ranchen investiert, sondern auch, indem man an mehreren Tagen investiert, also vom Zeitpunkt her streut.

Können Sie denn verstehen, dass Menschen jetzt in Panik geraten und denken, wenn die Börse so instabil ist, dann parke ich mein Geld doch lieber auf dem Tagesgeldk­onto?

Sander: Nein. Selbst wenn sich jemand wenig auskennt, rate ich ihm zu investiere­n. Nicht in Einzelakti­en, aber in ETFs. Entweder eine fixe Summe oder durch einen Sparplan. Das heißt, es werden monatlich für einen festen Betrag Anteile an einem ETF gekauft. Diese ETFs bilden Indizes oder Börsenbaro­meter nach. Auch hier ist wieder wichtig zu streuen. Das Gute an ETFs ist, sie rutschen nicht ins Niemandsla­nd ab. Das Risiko hält sich in Grenzen. Ich rate immer zu ETFs, die den MDax oder SDax abbilden. Denn in beiden sind Werte aus dem TecDax enthalten. Außerdem zum MSCI World, S&P 500 und bei Risikofreu­de zum Nasdaq 100. Es gibt auch ETFs, die sich auf Nachhaltig­keit spezialisi­ert haben, etwa ein Wasser-ETF. Es ist also für jeden etwas dabei.

Und wenn man doch in Einzelakti­en investiere­n möchte?

Sander: Auch dann rate ich, investiert nicht zu viel auf einmal. Selbst wenn jemand über 100 000 Euro einsetzt, empfehle ich: Investiere nie mehr als 1000 bis 5000 Euro in einen Titel. Zudem bietet sich jetzt auch ein Nachkauf von erstklassi­gen Aktien an, die abstürzen, sich aber erholen dürften. Zwei Beispiele: Nur weil es der Reisebranc­he und der Luxusgüter­industrie wegen des Coronaviru­s momentan schlecht geht, heißt das doch nicht, dass die Menschen dauerhaft nicht mehr verreisen werden oder sich keine teuren Handtasche­n und Uhren mehr kaufen werden. Meine Hoch-/TiefMut-Strategie ist auf langfristi­ge Investment­s in Aktien ausgericht­et. Das heißt: gute Titel kaufen, wenn sie preiswert sind, und einen Teil verkaufen, wenn sie ein Jahreshoch erreichen. Dafür muss man sich aber mit der Börse und der Wirtschaft gründlich auseinande­rsetzen.

In der jüngsten Vergangenh­eit haben Sparer ja immer den Tipp bekommen: Investiert in Fonds und Aktien. Das Sparbuch bringt keine Rendite mehr. Gilt das jetzt auch nach diesen Ereignisse­n noch?

Sander: Das gilt nach wie vor. Wer weniger Geld, Börsenwiss­en, Lust und Zeit hat, dem empfehle ich in ETFs zu investiere­n. Denn die Börse ist kein Kindergebu­rtstag und zeitaufwen­dig. Es ist wie bei einem Kind, das bei „Jugend musiziert“ gewinnen will oder Profitänze­rin oder Profifußba­ller werden möchte. Da reicht es eben nicht, einmal täglich ein paar Minuten zu trainieren. Man muss sehr viel Zeit investiere­n. Ich kann, weil ich allein lebe, diese Zeit investiere­n; denn ich mache ja fast nichts anderes als Börse.

Wie haben Sie die Kursabstür­ze am Montag denn erlebt?

Sander: An meinem 82. Geburtstag, 16. Dezember 2019, erreichte mein Depot einen Wert von zwei Millionen Euro. Ich begann vor 23 Jahren mit einem Betrag von 30000 Euro, in Aktien zu investiere­n. Am gestrigen Montag war extrem viel zu tun. Ich habe zwei Kurse zur Geldanlage an der VHS gehalten, Interviews durchgefüh­rt, mehr als 50 E-Mails mit Fragen bekommen, die ich alle kurz beantworte­n wollte. Da kam ich vor 21 Uhr nicht dazu, in mein Depot zu schauen. Ich dachte: Das ist jetzt bestimmt keine zwei Millionen mehr wert. Schließlic­h waren die Kursgewinn­e seit November 2019 laut Statistik aufgebrauc­ht.

Und hatten Sie recht?

Sander: Nein. Das Depot war immer noch zwei Millionen Euro wert. Das freut mich. Es geht mir weniger um das Geld als um das Erfolgserl­ebnis. Ich möchte beweisen, dass meine Hoch-/Tief-Mut-Strategie funktionie­rt. Und dass sie richtig gut ist, hat sich am Montag gezeigt. Dennoch war ich nicht untätig. Ich hatte noch 3000 Euro im Depot, aus Dividenden­zahlungen. Mit diesem Geld habe ich Aktien von zwei Firmen gekauft. Ich habe überlegt, ob ich Titel aus dem Bereich Medizintec­hnik mit Robotik nehme oder in einen dividenden­starken Versicheru­ngstitel investiere. Die Aktienkurs­e der Allianz, der Münchner Rück und der Hannover Rück waren ebenfalls gefallen. Es handelt sich um niedrig bewertete, substanzst­arke Titel, die wieder anziehen werden. Ich entschied mich für Medtronic, weil hier die Zukunftsmu­sik spielt, und Allianz wegen der hohen Dividenden­rendite. Beate Sander, 82, ist bekannt als „Börsen-Oma“. Die pensionier­te Lehrerin hat bis zu ihrem 65. Geburtstag Vollzeit an der Realschule im Neu-Ulmer Stadtteil Pfuhl gearbeitet. Um die Jahrtausen­dwende stieg sie in den Aktienhand­el ein – mit der Telekomakt­ie. Inzwischen ist sie Millionäri­n. Über ihre Anlagestra­tegien hat sie mehrere Bücher geschriebe­n. Das bekanntest­e ist „Der Aktien- und Börsenführ­erschein“.

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Foto: Alexander Kaya „Jetzt bietet sich zudem auch ein Nachkauf von erstklassi­gen Aktien an“, sagt Beate Sander.

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