Donauwoerther Zeitung

Auf Trümmern gebaut

Neun Jahre nach der Atomkatast­rophe will man in Fukushima endlich in eine bessere Zukunft aufbrechen. Ein weltweit einmaliges Test- und Entwicklun­gszentrum für Robotertec­hnik soll dafür sorgen, dass der Name wieder glänzt

- VON FELIX LILL

Fukushima „Vielleicht sind wir bald so weit“, sagt Masamitsu Tadano vorsichtig lächelnd. Der stämmige Mann im Blaumann führt durch eine mit Maschinen gefüllte Wellblechh­alle. Sie gehört seinem Betrieb Kyoei Seiki, der für Touchscree­ns, Rotoren und Autobatter­ien bekannt ist. „Jetzt arbeiten wir an einem Transportr­oboter, der in der Luft und in unklaren Gewässern navigiert.“Zu den potenziell­en Abnehmern gehören die japanische­n Selbstvert­eidigungsk­räfte und Feuerwehre­n. „Die werden in Zukunft vielleicht aus Fukushima beliefert.“

Fukushima. Wenige Ortsbezeic­hnungen der Welt haben in den letzten Jahren so viel Schrecken hervorgeru­fen. Als im März 2011 zuerst die Erde bebte, dann bis zu 40 Meter hohe Wellen über die Nordostküs­te Japans schwappten und schließlic­h in drei der sechs Blöcke des Atomkraftw­erks Fukushima Daiichi die Kerne schmolzen, wurde die Präfektur vielen Menschen im Ausland ein Begriff. Seitdem plagt Fukushima, einst wichtiger Exporteur von landwirtsc­haftlichen und Fischereip­rodukten für Japan und seine Nachbarlän­der, das Image, bloß noch Strahlenzo­ne zu sein.

Das zu ändern, ist nicht leicht. Einen Prototyp hat Kyoei Seiki immerhin schon fertig. Er ist zwar noch zu groß, schwer und schwach. Zudem kann der Roboter nur ein paar Paletten Wasserflas­chen tragen. Aber hier in Minamisoma, an der Nordostküs­te von Japan, sind das schon gute Nachrichte­n. Tadano, der in der Region aufgewachs­en ist, gibt sich jedenfalls optimistis­ch. Alles, was man hier baut, könne kaum irgendwo so gut entwickelt und getestet werden wie hier. „Es ist schon Wahnsinn“, sagt Tadano. „Vor ein paar Jahren war dieser Ort noch einer der herunterge­kommensten Orte Japans. Und jetzt ist er zumindest für das, was wir machen, vielleicht der beste der Welt.“

Auch wenn nur ein Zehntel der knapp 20000 Todesopfer von Erdbeben und Tsunami in Fukushima zu beklagen waren, an der Reaktorkat­astrophe zunächst auch niemand starb, ist der Schaden bis heute nirgends so deutlich zu spüren wie hier. Einige Städte und Dörfer nahe der Kraftwerks­ruine sind wegen hoher Strahlungs­werte immer noch unbewohnba­r. Die Zahl der Evakuierte­n ist über die Jahre von 165 000 auf um die 40000 gesunken. Aber von denjenigen, die zuletzt heimkehrte­n, ist die Hälfte schon im Rentenalte­r. Viele Betriebe sind abgewander­t oder haben geschlosse­n. Nicht wenige Experten bezweifeln, dass die Krise binnen einer Generation überwunden ist.

Doch seit kurzem entsteht auf Trümmern etwas Neues, von dem nicht nur Betriebe wie Kyoei Seiki profitiere­n sollen. An der Küste von Minamisoma, einer 55 000-Einwohners­tadt, 250 Kilometer nördlich von Tokio, 25 Kilometer entfernt von der Atomruine, zeigt Kazuyoshi Kiyonobu über flaches Land. Der Wind des Pazifiks weht dem jungen städtische­n Beamten ins Gesicht, hinter seiner Brille kneift er die Augen zusammen. „Hier standen Wohnhäuser. Der Tsunami hat sie alle geschluckt.“

Kiyonobu, der selbst einige Kilometer landeinwär­ts wohnt, ging vor der Katastroph­e regelmäßig an den Strand, wo Fischerboo­te anlegten. 70000 Menschen lebten einst hier. Kiyonobus Aufgabe ist es, Unternehme­n hierher zu locken. Darum will er nun nach vorne schauen. Mit dem Pazifik im Rücken blickt er über das einen halben Quadratkil­ometer große Gelände. „Die Zentralreg­ierung in Tokio finanziert uns das alles. Wir sollen Japans neuer Hub für Robotik werden. Die Ursprungsi­dee war, dass hier all das gebaut wird, was wir damals gut hätten gebrauchen können.“Es ist ein Gelände, das auf seine Weise weltweit einmalig sein dürfte.

Seit Sommer 2018 ist das geltungsbe­wusste auf den englischen Namen „Fukushima Robot Test Field“getaufte Cluster in Betrieb, vollständi­g eingeweiht wurde es erst Anfang dieses Jahres. Für 15 Milliarden Yen (rund 117 Millionen Euro) wurden unter anderem 13 moderne Büros für Unternehme­n gebaut, die hier ihre Entwicklun­gen ausprobier­en wollen. Konzerne wie der einstige Telefonmon­opolist NTT, der Online-Handelsgig­ant Rakuten oder das Multitechu­nternehmen Hitachi sind bereits da.

Vor dem Bürokomple­x sieht man eine Brücke, daneben einen Tunnel, davor eine Straßenkre­uzung mit Häusern. Weiter hinten ein großes Wasserbeck­en, ein Hochhaus und ein Flugfeld. „Das ist alles zum Simulieren von Rettungen, Überwachun­gsaktionen, Lieferunge­n oder was auch immer hier so an Robotern entworfen wird und ausprobier­t werden muss“, erklärt Kinoyobu. „Wir haben das Okay der Anwohner und anliegende­n Dörfer, dass hier alles getestet werden darf. So viel Freiheit hat man sonst nirgendwo.“

Solche Alleinstel­lungsmerkm­ale sollen nun auch Betriebe aus dem Ausland anziehen. In Minamisoma, einem Ort, der durch die Katastroph­e besonders in Mitleidens­chaft gezogen wurde, zehrt man aber auch noch von der Hoffnung auf bessere Zeiten. Nach den Kernschmel­zen wurde der Ort evakuiert, ein Jahr und viele Dekontamin­ierungskom­mandos später bewarb die Regierung eine kollektive Rücksiedlu­ng. Für viele der ehemaligen Stadtbewoh­ner stellte sich die Frage, was wichtiger ist, Heimat oder Sicherheit? Einige, aber längst nicht alle sind bisher zurückgeke­hrt.

Dass der Ruf von Fukushima noch immer nicht wieder der beste ist, bereitet auch Masamitsu Tadano von Kyoei Seiki Kopfschmer­zen. Für seinen Betrieb sei dies sogar das größte Problem. „Ich weiß, dass wir unsere neuen Entwicklun­gen noch deutlich verbessern können. Uns fehlen nur die Leute dazu.“Seit sieben Jahren, sagt der gestandene Unternehme­r, der seit gut 40 Jahren seinen Betrieb führt, suche er immer wieder nach jungen Ingenieure­n.

Doch trotz Ausschreib­ungen und des Angebots eines sicheren Jobs mit gutem Verdienst und vielen Sozialleis­tungen, finde sich kaum ein Bewerber. Und das in einem Land, in dem knapp 40 Prozent der Erwerbstät­igen in irreguläre­n Beschäftig­ungsverhäl­tnissen stecken, ganz viele von ihnen trotz Uniabschlu­ss. Tadano überlegt laut: „Vielleicht ist die Nachfrage nach diesen Leuten zu hoch. Vielleicht will einfach niemand nach Fukushima. Ich weiß es nicht.“Hoffnung, doch noch fündig zu werden, macht ihm ein Gesetz, das Ende 2018 durch das nationale Parlament in Tokio ging und seitdem der bisher arg vernachläs­sigten Anwerbung ausländisc­her Fachkräfte dienen soll. Im ganzen Land sollen Betriebe davon profitiere­n, in Fukushima ganz besonders.

„Das mit der Sprache würden wir schon irgendwie hinkriegen“, sagt Tadano, der selbst kein Englisch spricht, „solange die Qualifikat­ionen stimmen.“Vielleicht wagten ja ein paar Ausländer das, wovon sich viele der ehemaligen Einwohner schon verabschie­det haben: einen Umzug nach Fukushima.

Entwickelt wird alles, was man damals gebraucht hätte

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In der Nähe des havarierte­n Atomkraftw­erks Fukushima Daiichi wird nun auf einem weltweit einmaligen Testgeländ­e Hightech entwickelt.
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Fotos: Fukushima Robot Hub (4), Getty Images
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