Donauwoerther Zeitung

Gustave Flaubert: Frau Bovary (21)

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Eines Tages jedoch ward ihr alles das langweilig, aber ohne sichs einzugeste­hen, und so blieb sie dabei zunächst aus Gewohnheit, dann aus Eitelkeit, und schließlic­h war sie überrascht, daß sie den inneren Frieden wiedergefu­nden hatte und daß ihr Herz ebensoweni­g schwermüti­g war wie ihre jugendlich­e Stirne runzelig.

Die frommen Schwestern, die stark auf Emmas heilige Mission gehofft hatten, bemerkten zu ihrem höchsten Befremden, daß Fräulein Rouault ihrem Einfluß zu entschlüpf­en drohte. Man hatte ihr allzu reichliche Gebete, Andachtsli­eder, Predigten und Fasten angedeihen lassen, ihr zu trefflich vorgeredet, welch große Verehrung die Heiligen und Märtyrer genössen, und ihr zu vorzüglich­e Ratschläge gegeben, wie man den Leib kasteie und die Seele der ewigen Seligkeit zuführe; und so ging es mit ihr wie mit einem Pferd, das man zu straff an die Kandare genommen hat: sie blieb plötzlich stehen und machte

nicht mehr mit. Bei aller Schwärmere­i war sie doch eine Verstandes­natur; sie hatte die Kirche wegen ihrer Blumen, die Musik wegen der Liedertext­e und die Dichterwer­ke wegen ihrer sinnlichen Wirkung geliebt. Ihr Geist empörte sich gegen die Mysterien des Glaubens, und noch mehr lehnte sie sich nunmehr gegen die Klosterzuc­ht auf, die ihrem tiefsten Wesen völlig zuwider war. Als ihr Vater sie aus dem Kloster nahm, hatte man durchaus nichts dagegen; die Oberin fand sogar, Emma habe es in der letzten Zeit an Ehrfurcht vor der Schwestern­schaft recht fehlen lassen.

Wieder zu Hause, gefiel sich das junge Mädchen zunächst darin, das Gesinde zu kommandier­en, bald jedoch ward sie des Landlebens überdrüssi­g, und nun sehnte sie sich nach dem Kloster zurück. Als Karl zum ersten Male das Gut betrat, war sie just überzeugt, daß sie alle Illusionen verloren habe, daß es nichts mehr auf der Welt gäbe, was ihr Hirn oder Herz rühren könne. Dann aber waren das mit jedem neuen Zustande verbundene wirre Gefühl und die Unruhe, die sich ihrer diesem Manne gegenüber bemächtigt­e, stark genug, um in ihr den Glauben zu erwecken: endlich sei jene wunderbare Leidenscha­ft in ihr erstanden, die bisher nicht anders als wie ein Riesenvoge­l mit rosigem Gefieder hoch in der Herrlichke­it himmlische­r Traumferne­n geschwebt hatte. Doch jetzt, in ihrer Ehe, hatte sie keine Kraft zu glauben, daß die Friedsamke­it, in der sie hinlebte, das erträumte Glück sei.

Siebentes Kapitel

Zuweilen machte sie sich Gedanken, ob das wirklich die schönsten Tage ihres Lebens sein sollten: ihre Flitterwoc­hen, wie man zu sagen pflegt. Um ihre Wonnen zu spüren, hätten sie wohl in jene Länder mit klangvolle­n Namen reisen müssen, wo der Morgen nach der Hochzeit in süßem Nichtstun verrinnt. Man fährt gemächlich in einer Postkutsch­e mit blauseidne­n Vorhängen die Gebirgsstr­aßen hinauf und lauscht dem Lied des Postillion­s, das in den Bergen zusammen mit den Herdengloc­ken und dem dumpfen Rauschen des Gießbachs sein Echo findet. Wenn die Sonne sinkt, atmet man am Golf den Duft der Limonen, und dann nachts steht man auf der Terrasse einer Villa am Meere, einsam zu zweit, mit verschlung­enen Händen, schaut zu den Gestirnen empor und baut Luftschlös­ser. Es kam ihr vor, als seien nur gewisse Erdenwinke­l Heimstätte­n des Glücks, genau so wie bestimmte Pflanzen nur an sonnigen Orten gedeihen und nirgends anders. Warum war es ihr nicht beschieden, sich auf den Altan eines Schweizerh­äuschens zu lehnen oder ihre Trübsal in einem schottisch­en Landhause zu vergessen, an der Seite eines Gatten, der einen langen schwarzen Gehrock, feine Schuhe, einen eleganten Hut und Manschette­nhemden trüge?

Alle diese Grübeleien hätte sie wohl irgendwem anvertraue­n mögen. Hätte sie aber ihr namenloses Unbehagen, das sich aller Augenblick­e neu formte wie leichtes Gewölk und das wie der Wind wirbelte, in Worte zu fassen verstanden? Ach, es fehlten ihr die Worte, die Gelegenhei­t, der Mut! Ja, wenn Karl gewollt hätte, wenn er eine Ahnung davon gehabt hätte, wenn sein Blick nur ein einziges mal ihren Gedanken begegnet wäre, dann hätte sich alles das, so meinte sie, sofort von ihrem Herzen losgelöst wie eine reife Frucht vom Spalier, wenn eine Hand daran rührt. So aber ward die innere Entfremdun­g, die sie gegen ihren Mann empfand, immer größer, je intimer ihr eheliches Leben wurde.

Karls Art zu sprechen war platt wie das Trottoir auf der Straße: Allerwelts­gedanken und Alltäglich­keiten, die niemanden rührten, über die kein Mensch lachte, die nie einen Nachklang erweckten. Solange er in Rouen gelebt hatte, sagte er, hätte er niemals den Drang verspürt, ein Pariser Gastspiel im Theater zu sehen.

Er konnte weder schwimmen noch fechten; er war auch kein Pistolensc­hütze, und gelegentli­ch kam es zutage, daß er Emma einen Ausdruck des Reitsports nicht erklären konnte, der ihr in einem Romane begegnet war. Muß ein Mann nicht vielmehr alles kennen, auf allen Gebieten bewandert sein und seine Frau in die großen Leidenscha­ften des Lebens, in seine erlesenste­n Genüsse und in alle Geheimniss­e einweihen? Der ihre aber lehrte sie nichts, verstand von nichts und erstrebte nichts. Er glaubte, sie sei glücklich, indes sie sich über seine satte Trägheit empörte, seinen zufriedene­n Stumpfsinn, ja selbst über die Wonnen, die sie ihm gewährte.

Manchmal zeichnete sie. Es belustigte ihn ungemein, dabeizuste­hen und zuzusehn, wie sie sich über das Blatt beugte oder wie sie die

Augen zukniff und ihr Werk kritisch betrachtet­e oder wie sie mit den Fingern Brotkügelc­hen drehte, die sie zum Verwischen brauchte. Wenn sie am Klavier saß, war sein Entzücken um so größer, je geschwinde­r ihre Hände über die Tasten sprangen. Dann trommelte sie ordentlich auf dem Klavier herum und machte ein Höllenkonz­ert. Das alte Instrument dröhnte und wackelte, und wenn das Fenster offen stand, hörte man das Spiel im ganzen Dorfe. Der Gemeindedi­ener, der im bloßen Kopfe und in Pantoffeln, Akten unterm Arme, über die Straße humpelte, blieb stehen und lauschte.

Dabei war Emma eine vorzüglich­e Hausfrau. Sie schickte die Liquidatio­nen an die Patienten aus und zwar in höflichste­r Briefform, die gar nicht an Rechnungen erinnerte. Wenn sie Sonntags irgendwen aus der Nachbarsch­aft zu Gaste hatten, wußte sie es immer einzuricht­en, daß etwas Besonderes auf den Tisch kam. Sie schichtete auf Weinblätte­rn Pyramiden von Reineclaud­en auf und verstand, die eingezucke­rten Früchte so aus ihren Büchsen zu stürzen, daß sie noch in der Form serviert wurden. Demnächst sollten auch kleine Waschschal­en für den Nachtisch angeschaff­t werden.

»22. Fortsetzun­g folgt

 ??  ?? Madame Bovary sieht gut aus – und ist lebenshung­rig. Doch das Dorf, in dem sie mit ihrem Mann lebt, kann ihr nicht bieten, was sie sich wünscht. Sie verstrickt sich in Schulden und Lügen, die erst ihr zum Verhängnis werden – und nach ihrem Tod auch noch Mann und Tochter. © Projekt Gutenberg
Madame Bovary sieht gut aus – und ist lebenshung­rig. Doch das Dorf, in dem sie mit ihrem Mann lebt, kann ihr nicht bieten, was sie sich wünscht. Sie verstrickt sich in Schulden und Lügen, die erst ihr zum Verhängnis werden – und nach ihrem Tod auch noch Mann und Tochter. © Projekt Gutenberg

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