Woody Allens Memoiren stoppen?
Debatte Nach Protesten wegen Missbrauchsvorwürfen hat der US-Verlag das Buch aus dem Programm gekippt. Auch die deutsche Übersetzung gibt es Widerstand. Zurecht? Pro und Contra
Dass Woody Allen als Regisseur, Schauspieler und Drehbuchautor bemerkenswerte Filmwerke geschaffen hat, ist unumstritten. Er als Privatperson ist dagegen weit weniger unangreifbar: Seit Jahrzehnten wird ihm sexueller Missbrauch an seiner Stieftochter vorgeworfen. In den vergangenen Jahren haben diese Anschuldigungen innerhalb der #MeTooDebatte zusätzliche Aufmerksamkeit bekommen.
Die Entscheidung des amerikanischen HachetteVerlages, die Veröffentlichung von Woody Allens Autobiografie zu stoppen, ist daher richtig. Und ein wichtiges Signal: Der Verlag stellt sich auf die Seite aller Opfer, die in der Öffentlichkeit meist keine Stimme haben und kaum gehört werden – und nicht auf die Seite eines einflussreichen Filmregisseurs, dem es nicht an Möglichkeiten mangelt, sich der Gesellschaft mitzuteilen.
Dieser Entscheidung sollte sich auch der deutsche Rowohlt-Verlag anschließen – wie es eine Gruppe Autoren in einem offenen Brief fordert – und die Veröffentlichung stoppen. Die Schriftsteller haben recht, wenn sie das Vorgehen des Verlages als Mangel an Interesse für die Belange der Opfer sexueller Übergriffe bezeichnen. Eine Veröffentlichung muss sich für viele, die in ihrem Leben schon einmal unangemessen angemacht, belästigt, bedrängt oder sogar missbraucht worden sind, anfühlen wie: Nach den #MeToo-Diskussionen der vergangenen Jahre ist es jetzt an der Zeit, das Thema sozusagen abzuhaken und alte Stars wieder zu feiern.
Der deutsche Rowohlt-Verlag sollte darauf verzichten, einer umstrittenen Person wie Woody Allen eine zusätzliche Plattform in der Öffentlichkeit zu bieten – zumal es nicht mal das erste Buch des Amerikaners ist. Allen braucht nicht noch eine Bühne, auf der er subjektiv über sein Leben und sein Arbeiten berichten kann – wenn zeitgleich die Vorwürfe im Raum stehen, sich an der eigenen Stieftochter vergangen zu haben. Maria Heinrich
Sexueller Missbrauch ist kein Kavaliersdelikt. Es ist eine Straftat. Ob jemand eine solche Straftat begangen hat, darüber zu urteilen ist allein Aufgabe von Gerichten – und nicht des Volkes, auch nicht aufgebrachter Autoren. Solange eine Richterin oder ein Richter kein Urteil gefällt hat, gilt in den USA wie auch in Deutschland die Unschuldsvermutung. Das ist ein wichtiger rechtlicher Grundsatz, durch den Menschen nicht vorschnell verurteilt oder an den Pranger gestellt werden sollen. Es ist erstaunlich, dass dieser Grundsatz für Woody Allen anscheinend nicht gilt. Und es ist beängstigend zu sehen, wie im Internet aus Meinungen Tatsachen werden und Verurteilungen in 280 Zeichen Länge getwittert werden.
Ich erlaube mir kein Urteil über den Fall, und es tut hier, ganz nebenbei, auch nichts zur Sache, ob ich Allen oder seiner Adoptivtochter Dylan glaube. Aber ich habe eine Meinung zum Rückzieher des Hachette-Verlages: Es ist falsch, Allens Autobiografie nun doch nicht zu veröffentlichen. Im Gegensatz zu anderen Verlagen hatte Hachette keine Bedenken gehabt, das Buchprojekt mit Allen anzugehen. Dabei muss den Verlagsexperten bei all den Dollarzeichen in den Augen doch bei Vertragsabschluss schon klar gewesen sein, dass durch die Veröffentlichung der Memoiren die fast 30 Jahre alten Missbrauchsvorwürfe wieder hochkochen werden, erst recht in Zeiten von Social Media. Dass der Verlag nun angesichts der Proteste einknickt, ist so unsouverän wie unprofessionell. Hoffentlich bleibt Rowohlt in Deutschland standhaft. Es ist bizarr: In Zeiten, in denen Hinz und Kunz sich online äußern, setzen sich Autoren und Verlagsleute dafür ein, dass ein (nicht verurteilter) Autor mundtot gemacht wird. Das ist umso erstaunlicher, weil sie als Profiteure der Meinungsfreiheit tausenden anderen nicht die Freiheit ermöglichen wollen, sich eine eigene Meinung zu bilden und gar der Protestmöglichkeit berauben, das Buch einfach nicht zu kaufen.