Gähnende Leere in den Wartezimmern
In Arztpraxen gelten jetzt besondere Regeln. Vieles wird telefonisch abgefragt. Direkte Kontakte werden weitgehend vermieden. Aber es bleiben auch viele Patienten von sich aus fern. Dennoch: Die Mediziner sind für die Kranken da
Landkreis Dicht gedrängte Wartezimmer, Patienten auf Tuchfühlung, geduldiges Ausharren zwischen Niesen und Husten ... Das war einmal ein gängiges Szenario. Noch vor wenigen Tagen hat es in vielen Arztpraxen zum Alltag gehört. Doch Corona hat alles verändert. In Zeiten, da die ganze Welt auf Abstand gehen soll, um Ansteckung zu vermeiden, müssen gerade auch bei niedergelassenen Medizinern andere Regeln gelten – dort, wo Keime geballt zusammengetragen werden –, um Patienten, aber auch das Praxispersonal zu schützen.
Wie kann das gelingen? Bekommen Patienten mit „herkömmlichen“Beschwerden noch Untersuchungstermine? Und haben Hausund Fachärzte überhaupt noch geöffnet? Oder meiden die Menschen im Gegenteil Arztbesuche und schieben Behandlungen auf die lange Bank?
Ja: Es gibt Einschränkungen! Nein: Patienten werden nicht alleine gelassen! Und ja: Mitunter lassen Patienten generell Arztbesuche sausen, die sie früher auf jeden Fall wahrgenommen hätten.
„Bitte, kommen Sie bei leichten grippalen Symptomen nicht einfach spontan in unsere Praxis! Unangemeldete Patienten werden momentan sofort wieder nach Hause geschickt und um telefonische Rücksprache gebeten.“– Mit solchen Hinweisen sehen sich Kranke in diesen Tagen häufig konfrontiert, wenn sie einen Arzt brauchen. Direkte Kontakte sollen so weit wie möglich vermieden werden.
„Wir haben unser System komplett umgestellt“, beschreibt beispielsweise Dr. Michael Mertin aus Donauwörth. Er ist Ansprechpartner der Kassenärztlichen Vereinigung und weiß auch, mit welchen Vorsorge-Maßnahmen andere Kollegen auf Corona reagieren. Die meisten von ihnen halten es ähnlich wie er selbst. „Bei uns sollen überhaupt keine Corona-Patienten auflaufen“, sagt Mertin klipp und klar. „Unsere Patienten sollen vor jedem Arztbesuch erst bei uns anrufen, damit wir auf telefonischem Weg die Symptome klären.“
Auf diese Weise werden CoronaVerdächtige von Anfang an ferngehalten. Sie werden gebeten, sich an den ärztlichen Bereitschaftsdienst unter der Nummer 116 117 zu wenden. Allerdings sind die Leitungen oft überlastet, und wer in der Warteschleife hängt, muss viel Geduld mitbringen. Corona-Tests sollen in aller Regel auch nicht beim Hausarzt stattfinden, sondern ausschließlich bei Landrats/Gesundheitsamt und ab sofort auch im Testzentrum in Monheim auf dem Gelände des Kreisbauhofs (dienstags, donnerstags, samstags, 16 bis 18 Uhr, nach vorheriger
Absprache mit dem Hausarzt und Terminvereinbarung). Außerdem hat Mertin in seiner Praxis Atriumdocs eine Infektionssprechstunde eingerichtet, die zu späteren Zeiten stattfindet als die sogenannte Akutsprechstunde für alle anderen Arten von Erkrankungen von Rückenschmerzen bis zur Migräne. Auf diese Weise gelingt es, das Wartezimmer weitgehend leer zu halten, um gefährliche Nähe zu vermeiden.
„Wir haben tatsächlich deutlich weniger Patientenzulauf als früher“, schildert Mertin den Praxisalltag. „Viele verkneifen sich auch den Arztbesuch, den sie unter normalen Umständen wahrgenommen hätten. Allerdings bedeutet das nicht weniger Arbeit für unser Personal. Es gibt weitaus mehr Telefonate, mehr E-Mail-Bearbeitung, mehr Hausbesuche, und dann haben wir auch eine Videosprechstunde eingeführt.“Zudem schützt auch bei den Atriumdocs – wie so oft inzwischen an vielen Orten – eine Plexiglasscheibe am Empfang vor Tröpfcheninfektionen.
Wer Beschwerden hat, egal welcher Art, muss auch in Corona-Zeiten keine Bedenken haben, ob er medizinische Behandlung bekommt. „Die primäre Aufgabe von uns niedergelassenen Medizinern ist es ja gerade, die ,normalen‘ Krankheiten weiter zu behandeln“, sagt Mertin. Dr. Susanne Höger von der Ärztegemeinschaft Rain hält das mit ihrem Team genauso. Auch dort werden Kranke mit grippeähnlichen Symptomen in die Abendsprechstunde verschoben. Auch dort wird vieles telefonisch oder per E-Mail erledigt. Darüber hinaus ist das Personal in zwei Schichten eingeteilt, um vorsorglichen für den Infektionsfall gerüstet zu sein.
Rüsten würde sich Susanne Höger außerdem gerne durch entsprechende Ausstattung – doch die ist absolute Mangelware. Selbst Maler-Overalls
als Provisorien, die sich die Ärztin privat übers Internet besorgen wollte, sind vergriffen, wie sie schildert.
„Am Telefon könnten wir uns gerade zu Tode arbeiten“, erzählt sie vom Alltag in Corona-Zeiten, „aber darüber hinaus ist fast nichts in der Praxis los, sodass wir gerade Überstunden abbauen.“Wenn Susanne Höger an das stets überfüllte Wartezimmer denkt, das noch vor Kurzem gang und gäbe war, dann stimmt sie das bedenklich: „Man zweifelt, ob die Patienten nicht früher viel zu oft zum Arzt gegangen sind. Oder verkneifen sie sich jetzt ihre Beschwerden? Es kann doch nicht sein, dass sie plötzlich gar keine Blasenentzündungen, Schmerzen in der Brust oder anderes mehr haben.“
Mit besonderen Gegebenheiten müssen Patienten dieser Tage auch bei Fachärzten rechnen. „Aufgrund der aktuellen Lage sind unsere Praxen nur eingeschränkt geöffnet“, heißt es beispielsweise auf der Homepage der gynäkologischen Gemeinschaftspraxis Schaich, Hübner und Bischoff in Nördlingen. Dort wird eine Notfallversorgung aufrechterhalten, Vorsorgeuntersuchungen werden generell auf später verschoben. Die Filiale in Oettingen bleibt bis Ende April geschlossen. Auch andere Fachärzte schließen teilweise oder reduzieren sowohl Öffnungszeiten als auch Behandlungen auf das notwendige Maß.
Für Zahnärzte gilt, wie für sämtliche Mediziner auch: „Wir sind für unsere Patienten da.“Das versichert der zahnärztliche Landkreis-Obmann Dr. Uwe Kaspar. „Wir nehmen unsere Aufgabe gerade auch in diesen schwierigen Zeiten verantwortlich wahr und tun alles Erdenkliche, um die Versorgung der Menschen sicherzustellen.“Schließungen von Zahnarzt-Praxen gibt es nach seiner Information im Donau-RiesKreis derzeit keine. Allerdings werden ausschließlich Notfälle und Schmerzpatienten behandelt. „Wir sagen alle Routineuntersuchungen im gesamten April ab“, so Kaspar.
Dass die Situation für Zahnärzte nicht einfach ist, erklärt sich aus den Rahmenbedingungen, die ebenfalls vor allem von mangelhafter Ausstattung bestimmt sind. „Die von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn vollmundig versprochenen Schutzmasken, die der zahnärztliche Berufsstand dringend wegen der Nähe zum Patienten braucht, sind bei uns nicht angekommen“, sagt Uwe Kaspar. Er und seine Kollegen versuchen, durch möglichst wenige, notwendige Behandlungen Masken und Handschuhe zu sparen und zu bevorraten. Dabei helfe man sich auch im Kollegenkreis aus.
Der Schutz der Patienten ist der eine wichtige Aspekt. Doch geht es auch um den Schutz des Praxis-Personals. „Dabei sind wir auch auf die Mithilfe der Patienten angewiesen“, appelliert Uwe Kaspar. „Wer Symptome einer akuten Atemwegserkrankung aufweist, sollte sich, soweit kein Notfall vorliegt, erst nach deren Abklingen um eine Behandlung bemühen.“
Erst einmal per Telefon die Symptome klären
Vorsorgeuntersuchungen werden verschoben