Senior auf Hygienedemo niedergebrüllt
Verzweiflung trieb einen 84-Jährigen auf eine Kundgebung gegen Corona-Regeln. Doch dort wurde der Rentner heftig angepöbelt. Der Grund: Er sprach mit Journalisten
Gera Alfons Blum ist immer noch aufgewühlt. Vor kurzem hat der 84-Jährige in Gera eine Demonstration gegen die Corona-Auflagen besucht. Seit Wochen darf er seine schwer an Demenz erkrankte Frau nicht im Pflegeheim besuchen, er leidet sehr darunter. Was er dann auf der Kundgebung erlebt, haben 3,5 Millionen Fernsehzuschauer jüngst in der Sendung gesehen: Wie er von einem anderen Mann niedergebrüllt wird, als er unter Tränen dem Kamerateam seine Lage schildert.
„Ich habe es mit der Angst bekommen, wurde von mehreren Leuten umringt“, erzählt der Rentner. Seitdem die Aufnahmen von dem Vorfall veröffentlicht und tausendfach im Internet geteilt wurden, steht bei Blum das Telefon nicht mehr still. Auch in den sozialen Medien bekommt er viel Zuspruch. „Die Reaktionen sind durchweg positiv und es ist sehr, sehr nett, wie die Leute reagieren“, erzählt er.
Vielfach wird das Verhalten der Demonstranten verurteilt, von denen einige applaudierten, als der Rentner so massiv angegangen wurde. Dabei wirft ihm ein Mann lautstark vor, sich „veralbern“zu lassen. „Wenn du und zuhörst, dann hast du praktisch die Kontrolle über dein Leben verloren“, raunzt er den Rentner an. Doch der widerspricht: „Nein, absolut nicht. Man muss auch vernünftig bleiben.“Dafür erntet er nun im Netz viel Respekt.
Ereignet hat sich der Vorfall auf dem Marktplatz in Gera. An dem Tag hatten bundesweit Tausende gegen die Corona-Beschränkungen demonstriert. Die Szene von Gera
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zeigt, wie breit das Spektrum der Teilnehmer ist. Auf Facebook berichten Menschen von ähnlichen Schicksalen wie dem des Ehepaares Blum, von alten, von behinderten Menschen, die seit Wochen keinen Besuch bekommen, vereinsamen und die Welt nicht mehr verstehen.
Wenn Blum über seine Situation spricht, kommt er immer wieder ins Schluchzen, seine Stimme wird brüchig. Seit Dezember sei seine Frau im Pflegeheim und er habe sie jeden Tag besucht, sagt er. Doch seit Mitte März ist das nun nicht mehr möglich. „Das ist seelische Folter und ich finde nachts trotz Schlafmittel keine Ruhe“, berichtet er. „Ich liebe meinen Engel wie am ersten Tag.“Telefonate seien wegen der Erkrankung seiner Frau quasi unmöglich.
Ihm bleibe derzeit nur ein „wunderschönes Bild“von ihr in seiner Schrankwand.
Wegen der Pandemie galt nicht nur in Thüringen seit Mitte März ein Besuchsverbot in Pflegeheimen und Kliniken. Das wurde inzwischen gelockert – laut Verordnung ist „grundsätzlich ein zu registrierender Besuch pro Patient oder Bewohner pro Tag für bis zu zwei Stunden zulässig“.
Das heißt aber nicht, dass die Betroffenen tatsächlich schon wieder besucht werden können. Denn die Heime müssen erst individuelle Konzepte erarbeiten und diese vom Gesundheitsamt bestätigen lassen, wie die Personalleiterin der Geraer Heimbetriebsgesellschaft, Nicole Neubert, erklärt. Das kommunale
Unternehmen betreibt das Heim, in dem Blums Ehefrau lebt. Für das Heim soll das Schutzkonzept voraussichtlich Ende dieser Woche an das Gesundheitsamt geschickt werden. „Ich hoffe, dass im Juni wieder Besuche möglich sind“, betont Neubert. Bis dahin müssten sich die Bewohner und ihre Angehörigen mit Telefonaten oder sogenannten Fensterkontakten begnügen. Für letztere bedarf es einer telefonischen Terminabsprache.
Bis zu einem Wiedersehen mit seiner Frau muss sich Blum also noch gedulden. Wird er noch einmal zu einer Demonstration gegen die Corona-Beschränkungen gehen? „Ich glaube nicht“, antwortet er. „Die Stimmung ist so aggressiv.“
Andreas Hummel, dpa