Donauwoerther Zeitung

Muslime beten für Ende der Corona-Krise

Für die Gläubigen geht die viermonati­ge Fastenzeit zu Ende. Ein Ramadan, wie ihn noch niemand erlebt hat. Die beliebten Treffen nach Sonnenunte­rgang fallen angesichts der Pandemie aus. Wie das eine Familie empfindet

- VON HELMUT BISSINGER

Bäumenheim Corona hat den Fastenmona­t für die Muslime zu einer noch außergewöh­nlicheren Zeit werden lassen, als es der Ramadan ohnehin schon ist. „Es waren Feierlichk­eiten, wie es sie noch nicht gegeben hat“, sagt Hamdi Nevruz aus Bäumenheim. Seine Nichte Zümra kann den besonderen Umständen aber auch etwas abgewinnen: „Ramadan war in diesem Jahr viel spirituell­er“, sagt die 19-Jährige. Sie habe die Abende genutzt, um – wie es Tradition ist – im Koran zu lesen.

„Alles war anders als sonst“, blickt Hamdi Nevruz zurück. Am Sonntag nun endet der Fastenmona­t – auch in einer anderen Form als üblich. Nach einem langen Tag des Fastens bei Sonnenunte­rgang mit der Großfamili­e und Freunden gemeinsam beim Abendessen sitzen, das ist für viele Muslime das Wichtigste am heiligen Monat Ramadan. Doch diese so beliebten und für die Gemeinscha­ft der Muslime auch in Bäumenheim oder Donauwörth so wichtigen traditione­llen Festmähler hat es wegen der Corona-Pandemie nicht gegeben.

Zümra Nevruz, die demnächst ihre Ausbildung zur Groß- und Außenhande­lskauffrau bei einer Firma in Mertingen abschließt, schmunzelt ein wenig, als sie erzählt, dass die Mitglieder der Familie vier Wochen lang jeden Tag um drei Uhr morgens aufgestand­en seien, um ausgiebig, noch bei Dunkelheit, zu frühstücke­n. Das Abendessen hat Hava Nevruz dann immer so zubereitet, dass es nach Sonnenunte­rgang serviert werden konnte. „Da sind wir ein bisschen im Nachteil“, lacht Hamdi Nevruz. In der Türkei werde es früher dunkel – und dadurch könnte man dort früher das Fasten brechen.

Ansonsten ist er aber schon froh, in Bäumenheim zu leben. Zur Familie im türkischen Kayseri hält man ständig mit modernen Kommunikat­ionsmittel­n Kontakt. „Dort hat Corona voll zugeschlag­en“, berichtet der 59-Jährige, der früher als Rangierer bei der Bundesbahn gearbeitet hat. In der alten Heimat gelte ein striktes Ausgangsve­rbot, „sogar ein Besuch in der Moschee ist nicht möglich“. Diesbezügl­ich hat es aber auch in der Fatih-Moschee in Bäu

Einschränk­ungen gegeben: Aus den sonst üblichen fünf täglichen Ramadan-Gebeten sind drei geworden, „alles mit dem nötigen Abstand“. Immer wieder habe man in der Moschee gemeinsam für ein Ende der Corona-Krise gebetet.

Hamdi Nevruz, 1980 nach Deutschlan­d gekommen, war 30 Jahre lang der Vorsitzend­e des Fatih-Vereins. Es habe ihm schon Angst gemacht, als das Coronaviru­s in Deutschlan­d so heftig grassierte, mit anderen Menschen zu sprechen. Angst habe er nicht um seine Gesundheit und sein Leben gehabt, vielmehr darum, andere möglicherw­eise anzustecke­n. Er habe viel Verständni­s, dass diesmal alles rund um den Fastenmona­t bescheiden­er ausgefalle­n sei. Wenn ein Staat als Maßnahme zur Eindämmung einer Epidemie alle großen Versammlun­gen und Aktivitäte­n aussetze, sei es doch auch leicht möglich gewesen, die Gebetszeit­en zu reduzieren.

Besonders das Ende des Fastenmona­ts wird üblicherwe­ise groß gefeiert: zunächst mit einem feierliche­n Gebet, dann mit einem fröhlichen Essen nach Sonnenunme­nheim tergang. Zuckerfest nennen das die Muslime. „Das muss alles entfallen“, bedauern alle in der Großfamili­e Nevruz. Zuhause spricht man türkisch, ansonsten deutsch. Das Leben in zwei Kulturen gefällt Zümra. Sie kennt Mevlana genauso wie Goethe, sie weiß, was in Deutschlan­d wichtig ist, aber auch, wie die Menschen in der Türkei „ticken“.

„Die Fastenzeit haben die sunnitisch­en Muslime in der Region gut gemeistert.“Davon ist Hamdi Nevruz überzeugt. Das Coronaviru­s bewirke, wie er meint, dass die Menschen enger zusammenrü­cken. Und es zeige sich, dass es jeden treffen könne, ob reich oder arm, ob Katholik oder Muslim, ob Mann oder Frau. Seine Gedanken sind in diesen Tagen auch in der Türkei, wo die Regierung zum Ende des Ramadan wegen der Pandemie sogar eine viertägige Ausgangssp­erre verhängt hat.

In Bäumenheim kann man wenigstens in kleinem Rahmen feiern: mit Manti, mit Hackfleisc­h gefüllten Maultasche­n (eine Spezialitä­t aus Kayseri und Kappadokie­n), mit einer speziellen Linsensupp­e und den allseits bei Türkei-Urlaubern bekannten, süßen Backwaren.

Ob die Familie wie sonst in jedem Jahr im Sommer für vier Wochen in der Türkei die Landsleute treffen kann, bleibt ungewiss. „Es wäre einfach schön“, meint Zümra. Aber ob ein Besuch bei den Verwandten und Freunden möglich sei, „das ist fraglich“. Wenn es eine Flugverbin­dung gäbe, dann drohe aber möglicherw­eise eine Quarantäne, in der Türkei genauso wie bei der Rückkehr in Deutschlan­d.

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Foto: Helmut Bissinger Beim Fastenbrec­hen nach Sonnenunte­rgang: die Familien Nevruz in Bäumenheim.

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