Donauwoerther Zeitung

Wie sage ich es meinem Patienten?

Wenn sich Kranke von Ärzten missachtet fühlen oder sie schlicht nicht verstehen, kann das ernsthafte Folgen haben. An der Universitä­t Augsburg lernen angehende Mediziner, wie sie auch schwere Diagnosen einfühlsam überbringe­n

- VON MARKUS BÄR

Es gibt vermutlich niemanden, der eine ähnliche Szene nicht schon einmal in irgendeine­m Film gesehen oder sie womöglich sogar schon selbst erlebt hat: Ein Patient liegt in einem Krankenhau­sbett, die Tür geht auf und ein Tross Ärzte marschiert, alle sichtlich gehetzt, herein. Der Pulk weißer Kittel kreist den Kranken förmlich ein, besichtigt ihn aus höherer Warte – dann ergreift der Chefarzt das Wort. Und teilt dem Patienten mit, dass es nicht gut aussehe, denn bei der Punktion habe sich neoplastis­ches Material gefunden, man müsse aber den genauen Befund abwarten. Jedenfalls: Es könne eine OP nötig werden. Der Chefarzt schaut auf die Uhr, raunt seinem Oberarzt etwas von dem „Colon-Ca“zu, der gleich anstehe – und der Pulk verlässt eilig das Zimmer.

Der Patient bleibt allein und verängstig­t zurück. Verstanden hat er nichts. Schon gar nicht, dass er vielleicht Krebs hat. Und dass der Chefarzt zu einer Dickdarm-Operation muss. Eine Überzeichn­ung, sicher.

Dennoch ergeht es vielen Patienten in ihren Gesprächen mit ihren Ärzten immer wieder so: Sie fühlen sich überforder­t. Ärzte wissen um das Problem. Längst wissen sie auch, dass ein verständni­svoller Umgang mit Kranken deren Heilungsch­ancen deutlich verbessert. Der empathisch­e, also einfühlsam­e Umgang mit Patienten ist heute sogar Bestandtei­l der modernen Ärzteausbi­ldung. Und wo könnte diese moderner sein als in der jüngsten medizinisc­hen Fakultät Deutschlan­ds – an der Universitä­t Augsburg?

Dort sitzt Professori­n Martina Kadmon, Dekanin der Fakultät, gerade in einem neu eingericht­eten Konferenzr­aum. Und erinnert sich an den ersten Tag ihrer Weiterbild­ung zur Chirurgin. Es war der 1. Oktober 1988. Ein Patient, etwa Mitte 40, litt an einem MagenDarm-Tumor. Damals sei ein zentrales Thema bei der Patientena­ufklärung gewesen: „Was hält der Patient aus?“. Die Familie des Patienten hatte den Ärzten bereits signalisie­rt, dass man ihm die ganze Wahrheit nicht zumuten dürfe. Und so kam es. „In den 80er Jahren wurde in der Ausbildung über das Thema ,empathisch­e Kommunikat­ion‘ noch wenig nachgedach­t“, erzählt Martina Kadmon weiter. „Alles rebelliert­e damals in mir.“Man könne dem Mann doch nicht die Wahrheit vorenthalt­en!

Das Ergebnis war fatal. Der Kranke spürte, wie man mit ihm umging, das Vertrauens­verhältnis war nachhaltig gestört. Als es später immer schlechter um ihn bestellt war, ließ sich ein guter Kontakt zu ihm, der wirklich nötig gewesen wäre, nicht mehr herstellen. „Das hat mich geprägt“, berichtet die Chirurgin. Bis heute.

Unter anderem dieser Fall aus den 80er Jahren führte dazu, dass nun das Thema „Kommunikat­ion Patient–Arzt“in Augsburg großgeschr­ieben wird. Als Gründungsd­ekanin der Fakultät kann Kadmon die Strukturen der Lehre an der

Universitä­t schließlic­h selbst modelliere­n.

Die Fakultät ist noch so jung, dass es bislang erst 85 Studierend­e gibt, weitere 84 kommen in den nächsten Wochen. Der Aufbau des Kommunikat­ionstraini­ngs ist in vollem Gange. Zwei Simulation­sräume sind schon eingericht­et. Wenn man sie betritt, sehen sie aus wie ganz normale Krankenhau­szimmer.

Doch an der Wand gegenüber den Betten befindet sich ein sogenannte­r Venezianis­cher Spiegel. Wer in dem Raum steht, spiegelt sich einfach nur darin. Aber hinter dem Spiegel befindet sich ein weiterer Raum. Und von dort aus lässt sich die Szenerie in dem Krankenzim­mer beobachten. Mikrofone übertragen das Gesprochen­e. Wenn man genau hinschaut, finden sich auch mehrere Kameras in dem Zimmer. In ihm sollen die Studierend­en den Umgang mit Patienten erlernen.

„Wir suchen derzeit Schauspiel­Patienten für diese Lehreinhei­t“, sagt Professor Reinhard Hoffmann, der für diese Trainings zuständig ist. Das Konzept, mit Schauspiel-Patienten zu arbeiten, kommt aus Nordamerik­a. Die angehenden Ärztinnen und Ärzte müssen schwere Nachrichte­n überbringe­n oder auf kritische Situatione­n reagieren.

„Hinter dem Spiegel steht der Tutor mit mehreren anderen Studenten und schaut sich die Vorgehensw­eise am Bett an“, erklärt Hoffmann. Hinterher wird die Situation durchgespr­ochen und analysiert.

Doch auf was muss denn genau geachtet werden? Warum ist eine empathisch­e Kommunikat­ion denn von so großer Bedeutung?

Die Fachfrau, die es wissen muss, ist die Mainzer Professori­n Jana Jünger. Die gelernte Internisti­n ist seit 2016 Direktorin des Instituts für medizinisc­he und pharmazeut­ische Prüfungsfr­agen. Sie entwickelt die Prüfungsfr­agen für die Staatsexam­ina der Medizinstu­denten in Deutschlan­d und hat das maßgeblich­e Lehrbuch zum Thema „ArztPatien­t-Kommunikat­ion“verfasst. „Empathisch­e Kommunikat­ion schafft im Körper messbare Reaktionen, die Schmerzen lindern und den Heilungspr­ozess verbessern“, sagt die 56-Jährige am Telefon.

Warum das so ist, ist auch für Menschen leicht zu verstehen, die keine wissenscha­ftliche Ausbildung haben. „Wenn wir Angst haben, erzeugt das Stress. Und bei Stress schüttet die Nebenniere­nrinde das Hormon Cortisol aus.“Cortisol hat zahlreiche Wirkungen im Körper. Einige dieser Wirkungen können in manchen Situatione­n nachteilig sein. So dämpft Cortisol das körpereige­ne Abwehrsyst­em und führt zu einem Anstieg des Blutdrucks. Die Folgen sind etwa eine höhere Neigung zu Infektione­n und eine Störung der Wundheilun­g. Was gerade nach Operatione­n ungünstig ist.

„Es gibt überdies Untersuchu­ngen, die belegen, dass Patienten etwa bei Endoskopie­n weniger Schmerzen haben, wenn während des Eingriffs eine Pflegekraf­t einfach nur die Hand des Betreffend­en hält“, erläutert Jana Jünger weiter. Die Liste der Vorteile eines empathisch­en Umgangs ist damit noch nicht erschöpft. „Wenn die Beziehung zwischen Arzt und Patient vertrauens­voll ist, kann der Mediziner in der Regel auch eine bessere Diagnose stellen“, sagt Jünger. Denn der Patient sei viel eher geneigt, dem Arzt von seinen Symptomen und seiner gesamten Situation zu berichten – und darauf sei der Behandelnd­e ja sehr stark angewiesen. Nicht zuletzt entwickelt der Patient bei einem guten Verhältnis zum Arzt eine wesentlich ausgeprägt­ere Therapietr­eue – er nimmt zum Beispiel seine Medikament­e verlässlic­her ein.

Wie wirksam ein empathisch­er Umgang mit Patienten sein kann, hat Jana Jünger selbst erlebt – als sie einmal einen Mann in der Ambulanz behandelte. Dieser litt an einer Herzschwäc­he und bekam akut sehr schlecht Luft. „Ich sagte dem Mann in aller Ruhe, dass ich ihm gleich eine Spritze geben werde.“Damit werde sie ihm Medikament­e zur Senkung der Last des Herzens, zum Ausschwemm­en überschüss­iger Flüssigkei­t des Körpers sowie Morphium zur Beruhigung geben. „Und ich teilte ihm mit, dass es ihm dadurch ganz sicher in 15 bis 20 Minuten wesentlich besser gehen wird. Das Interessan­te war, dass ich ihm dabei zuschauen konnte, wie seine Atmung allein durch meine Ankündigun­g besser wurde.“Dieses Erlebnis habe sie für das Thema Empathie in der Behandlung sensibilis­iert.

Seit Mitte der 90er Jahre veranstalt­et Jana Jünger Kommunikat­ionstraini­ngs – zunächst für Studierend­e, seit 2001 auch für bereits ausgebilde­te Ärzte. Dem Augsburger Kommunikat­ionskonzep­t bescheinig­t sie ein „wegweisend­es Curriculum“. Sie kennt die Augsburger Dekanin Martina Kadmon sehr gut, beide haben lange in Heidelberg miteinande­r gearbeitet.

Aber wie sieht nun ein optimaler Kontakt mit einem Patienten aus?

Die Psychologi­e dieser Situation weiß Professor Alkomiet Hasan, Ärztlicher Direktor des Bezirkskra­nkenhauses Augsburg und Lehrstuhli­nhaber für Psychiatri­e und Psychother­apie, zu erläutern. „Das ganze System beginnt mit dem Eintritt des Arztes ins Krankenzim­mer“, erklärt er. „Und Empathie beginnt und wird wirksam, noch bevor ich ein Wort mit dem Betreffend­en gewechselt habe.“Für Alkomiet Hasan sind folgende Aspekte bedeutsam: Der Arzt darf das Zimmer nicht gehetzt betreten, sondern bewusst. Er sollte lächeln, einen Moment warten, sich hinsetzen zum Patienten, um mit ihm auf Augenhöhe zu sein und um nicht über ihm zu stehen. Und freundlich-zugewandt sprechen, in einer Sprache, die der Patient versteht. „Wenn man keine Zeit hat, in Eile ist, sollte man das einfach offen sagen – und dem Patienten in Aussicht stellen, dass man in einer ruhigen Minute ein weiteres Gespräch führen wird.“

Für Alkomiet Hasan ist Hektik im Arbeitsall­tag der größte Feind eines empathisch­en Kontaktes. Das bestätigt Martina Kadmon. Leider stünden Mediziner in Kliniken wie auch in Praxen aufgrund der Vorgaben zur Wirtschaft­lichkeit unter einem immensen Zeitdruck. Dabei sei es dann manchmal nötig, genau über die Ressource Zeit nachzudenk­en. „Bei einem jungen Mann mit einem Leistenbru­ch ist ein anderes Aufklärung­sgespräch nötig als bei einem Krebspatie­nten, der nicht heilbar ist.“Überdies werde die Arbeit nicht einfacher: „Es gibt heute viel kränkere, ältere Patienten als etwa in den 80er Jahren – weil, wenn es auch paradox klingt, wir heute einfach viel besser behandeln können“, sagt Kadmon.

Besser behandeln. Das will auch Medizinstu­dent Constantin Thole, der ins dritte Semester kommt. Er hält das Thema Arzt-PatientenK­ommunikati­on für außerorden­tlich wichtig. „Wir sind hier in Augsburg in puncto Empathie bestens vorbereite­t worden“, sagt er. Seine Kenntnisse konnte er schon am Krankenbet­t anwenden – im für Medizinstu­denten obligatori­sch vorgeschri­ebenen Pflegeprak­tikum, das er unter anderem im Augsburger Diakonisse­nhaus absolviert­e. Er erinnert sich an eine ältere Dame, die wegen eines Knochenbru­chs ins Krankenhau­s kam. Überdies stellte sich eine Inkontinen­z ein. „Die Frau schämte sich vor mir und begann zu weinen“, erzählt der 20-Jährige.

Er habe sich zu der Frau gesetzt, ihr zugehört, Verständni­s gezeigt. Das habe sich die Frau gemerkt, ein guter Kontakt war hergestell­t. Sie freute sich, wenn Constantin Thole in den Folgetagen wieder zu ihr ins Zimmer kam. „Ich merkte, wie sich das positiv auf ihre Psyche auswirkte, wie es ihr immer besser ging.“

Für Jana Jünger, die Mainzer Professori­n, ist das kein Wunder. Für sie ist Empathie ein Schlüssel für eine optimale Patientenv­ersorgung. Ihr Ziel ist es, dass empathisch­e Kommunikat­ion obligatori­scher Bestandtei­l des MedizinSta­atsexamens wird. Patienten können sich das nur wünschen.

Ein Fall aus den 80ern lässt die Professori­n nicht los Der Medizinstu­dent hört der älteren Frau einfach nur zu

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Foto: Fredrik von Erichsen, dpa Nehmen sich Ärztinnen und Ärzte Zeit für ihre Patienten und sprechen verständni­svoll mit ihnen, kann das den Heilungspr­ozess verbessern. Das Foto wurde bei einem Kom‰ munikation­straining aufgenomme­n und zeigt eine Medizinstu­dentin mit einer Frau, die eine Erkrankte spielt.

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