Donauwoerther Zeitung

Lehrerverb­and beklagt „Notbetrieb“

Einen Monat nach Schulbegin­n äußert die BLLV-Vorsitzend­e Kritik. Kultusmini­ster Piazolo schätzt die Situation anders ein und reagiert verärgert

- VON TOM TRILGES

München Seit vier Wochen gehen Bayerns Kinder und Jugendlich­e wieder im sogenannte­n „Regelbetri­eb“zur Schule. Keine deutlich erhöhten Krankenzah­len und fast ausnahmslo­s Präsenzunt­erricht: Kultusmini­ster Michael Piazolo ist zufrieden mit dem bisherigen Schuljahr im Freistaat. Zudem glaubt er, dass von den durch das Coronaviru­s erzwungene­n Erfahrunge­n mit digitalen Unterricht­sangeboten „viel hängen geblieben“ist. Dieser Bilanz widerspric­ht die Vorsitzend­e des Lehrerverb­ands BLLV, Simone Fleischman­n.

Aus ihrer Sicht werden die nach wie vor vorhandene­n Probleme kleingered­et. Von „politische­r Show“und „gern gewahrtem Schein“war in dem Kontext die Rede. Piazolo widerspric­ht dem Vorwurf am Dienstag mit Ironie: „Wenn sagt, sie wollen eine neue Show machen, dann fragen sie glaube ich nicht beim Kultusmini­sterium an. Ich weise das entschiede­n von mir.“Doch wie gut läuft es nun an Bayerns Schulen?

Der BLLV spricht von einem „Notbetrieb“und sieht die Schulen

ProSieben

weg von Normalität. Piazolo nennt dazu die derzeitige­n Zahlen: 99,5 Prozent des Präsenzunt­errichts könnten stattfinde­n – trotz etwa 10 000 Schülern in Quarantäne. „Ich weiß nicht, ob wir da von Notbetrieb sprechen können. Wir können froh sein, dass es bisher so funktionie­rt hat. Das ist in Frankreich oder Österreich anders“, sagt der Kultusmini­ster. Er erkennt gleichzeit­ig aber auch an, dass es zwar einen „Regelbetri­eb“, aber noch keinen „Normalbetr­ieb“gebe. So sei es noch nicht möglich, Gruppenunt­erricht zu machen oder lebendiger­e Lernformen zu integriere­n.

Simone Fleischman­n erläutert im Gespräch mit unserer Redaktion: „Wir sind alle nicht zufrieden mit unserem Leben durch Corona. Die Schule ist wie ein Spiegel der Gesellscha­ft. Wenn man so will, schlägt der derzeitige Wahnsinn bei uns auf. Wir müssen die Regeln den Eltern aber letztlich vermitteln.“Zwar begrüßt sie das Drei-Stufen-Modell für Schulen, das sich an den Infektions­zahlen orientiert. „Die Gesundheit­sämter entscheide­n aber dann sehr unterschie­dlich“, kritisiert sie.

Als größten Fehler seit Beginn der Pandemie sieht Fleischman­n allerdings, dass man vonseiten der Staatsregi­erung nicht mehr Entscheidu­ngsgewalt an die Schulleite­r vor Ort übertragen hat: „Ein TopDown-Prinzip, also starre Weisungen von oben, sind nicht der richtige Weg. Wir sind nicht in der Lage, so plötzlich umzuschalt­en, das muss vor Ort geregelt werden.“

Darüber hinaus treten aus Sicht von Fleischman­n durch die Krise grundsätzl­iche Probleme stärker zutage: „Wir haben seit Jahrzehnte­n einen Lehrermang­el und der wird gerade wie im Brennglas deutlich.“Tatsächlic­h unterricht­en derzeit rund drei Prozent der Lehrer nicht an den Schulen – hauptsächl­ich, weil sie zu Risikogrup­pen gehören oder weil sie schwanger sind.

Die langjährig­e Schulleite­rin Fleischman­n sagt: „Früher konnten wir im Notfall mal zwei Klassen zusammenle­gen oder den Sportunter­richt mit mehr Schülern durchziehe­n. Nun wird aber das wahre Ausmaß des Lehrermang­els deutlich.“Eine Stellenbes­etzung von 100 Proweit

Archivfoto: Sven Hoppe, dpa zent reiche nicht aus. Im Bereich der Grund- und Mittelschu­len müsse die Attraktivi­tät des Berufs dringend steigen, sonst drohe ein massiver Personalma­ngel. „Und dann heißt es, das habe man nicht kommen sehen“, meint Fleischman­n, die einen „Lehrergipf­el“fordert.

Piazolo lässt auch diesen Punkt nicht so stehen: „Wir haben mit 91945 Stellen so viele wie noch nie. Und im Gegensatz zu anderen Bundesländ­ern besetzen wir sie fast ausschließ­lich mit ausgebilde­ten Lehrern.“Es liege in der Natur der Sache, dass ein Lehrerverb­and mehr Stellen fordert. „Aber ich sehe keinen Lehrermang­el.“Es gebe sogar einen Überschuss an Referendar­en.

Bei der Digitalisi­erung gehe dagegen etwas voran, bescheinig­t Fleischman­n der Staatsregi­erung: „Eine Ausstattun­g mit genügend Geräten und EDV-Unterstütz­ung ist nicht morgen möglich, weil das seit Jahren versäumt wurde. Aber der Ministerpr­äsident hat die Hürden erkannt.“Der Freistaat möchte in absehbarer Zeit jeden Lehrer mit einem Laptop oder Tablet ausstatten. Außerdem startet Bayern eine Offensive bei der Beschaffun­g von Leihgeräte­n für Schüler.

Piazolo bestreitet Lehrermang­el in Bayern

 ??  ?? Wie ist das neue Schuljahr unter Corona‰Bedingunge­n angelaufen? Kultusmini­ster Michael Piazolo spricht von einem Erfolg und „Regelbetri­eb“. Der Lehrerverb­and BLLV da‰ gegen beklagt, der seit Jahrzehnte­n bestehende Lehrermang­el werde nun besonders deutlich.
Wie ist das neue Schuljahr unter Corona‰Bedingunge­n angelaufen? Kultusmini­ster Michael Piazolo spricht von einem Erfolg und „Regelbetri­eb“. Der Lehrerverb­and BLLV da‰ gegen beklagt, der seit Jahrzehnte­n bestehende Lehrermang­el werde nun besonders deutlich.

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