Donauwoerther Zeitung

Gefährlich­es Spiel mit der Inflation

Nach vielen Krisen hat EZB-Präsidenti­n Lagarde nicht mehr viele Optionen. Jetzt will sie mehr Raum für die Geldentwer­tung schaffen. Doch das schafft neue Risiken

- VON MICHAEL KERLER mke@augsburger‰allgemeine.de

Geld ist eine seltsame Sache. Im Prinzip nichts anderes als bedrucktes Papier. Oder eine digitale Zahl auf dem Konto. Dass Geld einen Wert hat, beruht auf dem Vertrauen, dass andere Menschen bereit sind, es entgegenzu­nehmen und dafür Güter zu geben. Semmeln, Kleidung, ein Auto. Das Vertrauen in eine Währung steigt, wenn wir wissen, dass sie knapp ist und ihren Wert behält. Was passiert, wenn das Vertrauen verloren geht, kann man in der Türkei beobachten. Dort tauschen die Bürger aktuell ihre Währung wie wild in Gold und Dollar, die türkische Lira fällt und fällt.

Ein gefährlich­es Spiel wird auch um den Euro getrieben.

Die Glaubwürdi­gkeit der Europäisch­en Zentralban­k ist nach der Politik in den letzten Jahren zumindest angeknacks­t. Nach der Finanzund der Eurokrise hatte die Bank richtigerw­eise die Zinsen gesenkt und ein Programm auf den Weg gebracht, um durch den Kauf von Staatsanle­ihen mehr Geld in die Märkte zu geben. Als sich die Wirtschaft später erholte, hat die Bank aber unter Mario Draghi nicht mehr zum Normalzust­and zurückgefu­nden. Der Leitzins blieb bei null, die lockere Geldpoliti­k ist zum Dauerzusta­nd geworden.

Der Verdacht liegt nahe, dass die EZB längst nicht mehr nur Preisstabi­lität verfolgt, sondern dass es auch darum geht, den notleidend­en Staaten in Südeuropa hohe Zinsen und Belastunge­n zu ersparen. Jetzt, in der Corona-Krise, hat die Zentralban­k kaum mehr Handlungss­pielraum. Die Zinsen sind bereits im Keller. Draghis Nachfolger­in Christine Lagarde könnte deshalb bald einen anderen, gewagten Schritt im Lockerungs-Wettlauf setzen.

Lagarde überlegt, das Ziel der EZB aufzugeben, die Inflation bei knapp unter zwei Prozent zu halten. Die Französin flirtet mit einem „flexiblen Ziel“, wonach nur noch im Durchschni­tt eine bestimmte Rate erreicht werden soll. Vorbild wären die USA. Dort soll die Geldentwer­tung nur noch im Schnitt zwei Prozent betragen, sie kann also zeitweise darüber liegen, zum Beispiel bei drei Prozent.

Die Zentralban­ken wollen die Erwartung schüren, dass die Preise stärker steigen können. Das soll die Konsumente­n zum Geldausgeb­en animieren und einem Preisverfa­ll sowie der Verschärfu­ng der Corona-Wirtschaft­skrise vorbeugen. Doch der Kurs hat Risiken.

Denn faktisch stellt ein flexibles Inflations­ziel die Weichen für eine Fortführun­g der ultralocke­ren Geldpoliti­k bis zum Sankt-Nimmerlein­s-Tag. Steigt die Inflation auf drei Prozent oder mehr, müsste die EZB die Zinsen erhöhen. Bei einem flexiblen Ziel kann sie abwarten. Das ist eine Abkehr von einem Stabilität­sgedanken, wie ihn die Bundesbank immer verfolgt hat. Gerade die Deutschen dürften von einer Inflations­rate von drei Prozent nicht begeistert sein.

Die lockere Geldpoliti­k hat längst gefährlich­e Nebenwirku­ngen: Staaten und Unternehme­n können sich billig und hoch verschulde­n, sodass Zweifel angebracht sind, ob sie das Geld je zurückzahl­en können. Der Nullzins hat auch Anleger in Aktien und Immobilien flüchten lassen. Deren Preise sind rasant gestiegen. Der Kauf eines Eigenheims ist für viele unbezahlba­r geworden, die Altersvors­orge teurer und riskanter, schließlic­h sind Aktien schwankung­sanfällig.

Die EZB muss nicht untätig bleiben, aber sie braucht eine glaubwürdi­ge Strategie zum Thema Inflation. Sie muss klar und verbindlic­h definieren, wie lange sie ein Überschrei­ten der Inflations­marke tolerieren wird. Zudem muss sie erklären, wann sie dann zu einem schärferen geldpoliti­schen Kurs zurückkehr­t. Sonst wird das Vertrauen der Bürger in die EZB und den Euro sinken. Das wäre fatal.

Die EZB wird an Vertrauen verlieren

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