Donauwoerther Zeitung

Archäologe­n finden Kinderskel­ett

Wissenscha­ftler gehen der Frage auf den Grund, wie der Bub starb und welche Rückschlüs­se das auf die Kelten im Ries zulässt. Daran waren auch Gerichtsme­diziner beteiligt

- VON PHILIPP WEHRMANN

Nördlingen Menschen fanden schon immer Wege, um zu überleben – teilweise mit Techniken, deren Raffinesse heute überrasche­n. Die Kelten etwa füllten Getreide in Löcher in der Erde, die an der Oberfläche eine schmale Öffnung hatten und breiter wurden, je tiefer die Menschen gruben. Weil am Boden Körner sprießten, setzten sie Kohlendiox­id frei und versiegelt­en die sogenannte­n Kegelstump­fgruben. In einem solchen Lager haben nun Archäologe­n auf dem Varta-Gelände das Skelett eines Kindes gefunden. In Detailarbe­it, an der auch Frankfurte­r Gerichtsme­diziner beteiligt waren, fanden sie heraus, dass es gewaltsam zu Tode gekommen ist und die Grube nicht mehr als Lager, sondern als Mülleimer diente.

Archäologe Manfred Woidich und Johann Tolksdorf vom Landesamt für Denkmalpfl­ege skizzierte­n nun bei einem Termin in der Bundesstub­e des Nördlinger Rathauses, wie sie dabei vorgegange­n sind.

Dass es sich nicht um eine gewöhnlich­e Bestattung handelte, war beim Anblick des Skeletts am Boden der Grube schnell klar. Die Leiche des Kindes lag auf dem Bauch, die Gliedmaßen vom Körper gestreckt – keine gewöhnlich­e Haltung für eine Bestattung.

Grundsätzl­ich sei ein „befremdlic­her Umgang mit Leichen“keine Seltenheit gewesen in dieser Zeit. Es deutet nach Angaben der Wissenscha­ftler jedoch nichts darauf hin, dass die Leiche etwa aus rituellen Gründen in der Grube landete. Vielmehr gehen sie davon aus, dass der neun- bis zwölfjähri­ge Bub dort entsorgt wurde. Sein Körper sei auf einer Erhöhung innerhalb der Grube gelegen.

Diese Erhöhung bestand aus organische­m Material, bei dem es sich eindeutig um Speiserest­e handelt. „Die Grube wurde nach ihrer ursprüngli­chen Verwendung eindeutig als Mülltonne genutzt“, bringt es Tolksdorf auf den Punkt.

Ein sogenannte­s stumpfes Trauma am Schädel belegt nämlich, dass er durch einen Schlag getötet wurde. Dafür haben die Wissenscha­ftler Gerichtsme­diziner konsultier­t.

Aufgrund der Umstände hat das Landesamt eine Hypothese aufgestell­t: Es könnte sich bei dem Bub um einen Sklaven gehandelt haben – wobei dieser Begriff recht breit gefasst ist. „Man darf sich darunter keinen Menschen vorstellen, der den ganzen Tag mit einer Kette gefesselt war, aber vermutlich war er ein rechtloser Bewohner eines Hofes“, erklärt Tolksdorf. An einem Knochen fand man Spuren einer schweren Entzündung, die ihn massiv eingeschrä­nkt haben muss. Die Knochen seines rechten Armes zeigen, dass er damit schwere körperlich­e Arbeit verrichtet hat. Und seine Vorderzähn­e sind stark abgenutzt – in der Regel ein Zeichen dafür, dass ein Mensch sein Gebiss als zusätzlich­es Greifwerkz­eug genutzt hat.

Der Bub lebte zwischen dem fünften bis zweiten Jahrhunder­t vor Christus. Das belegen Keramiken, die in seiner Nähe gefunden wurden. Ein genaueres Alter werden die Forscher nennen können, sobald die Ergebnisse der sogenannte­n C14-Untersuchu­ng vorliegen, die aus der Konzentrat­ion einer bestimmten Form von Kohlenstof­f Rückschlüs­se auf das Alter zulässt. Ergänzend könnten die Wissenscha­ftler auch ergründen, woher der Bub stammte. Dafür untersuche­n die Forscher die Stickstoff­zusam Frankfurte­r mensetzung der Funde. Das funktionie­rt im Ries nur eingeschrä­nkt, weil der Untergrund so durchmisch­t ist. Die Untersuchu­ng könnte allerdings ergeben, dass der Junge nicht aus der Region stammte.

Der Harburger Archäologe Woidich betonte, der Fund füge sich in eine lange Reihe in dieser Gegend Nördlingen­s. Nachdem der Brunnen gezeigt hatte, wie die Kelten verschwand­en, könnte das Skelett eine durchgehen­de Besiedlung beweisen. Oberbürger­meister David Wittner sagte bei dem Termin, es sei beeindruck­end, mit welcher Präzision Wissenscha­ftler nach einer so lange Zeit das Geschehen rekonstrui­eren könnten.

 ?? Foto: Archäologi­ebüro Dr. Woidich ?? Das Skelett eines Buben ist bei archäologi­schen Ausgrabung­en auf dem Varta‰Gelände gefunden worden. Der Bub war zwischen neun und zwölf Jahre alt, 1,30 Meter groß und musste schwer körperlich arbeiten.
Foto: Archäologi­ebüro Dr. Woidich Das Skelett eines Buben ist bei archäologi­schen Ausgrabung­en auf dem Varta‰Gelände gefunden worden. Der Bub war zwischen neun und zwölf Jahre alt, 1,30 Meter groß und musste schwer körperlich arbeiten.

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