Archäologen finden Kinderskelett
Wissenschaftler gehen der Frage auf den Grund, wie der Bub starb und welche Rückschlüsse das auf die Kelten im Ries zulässt. Daran waren auch Gerichtsmediziner beteiligt
Nördlingen Menschen fanden schon immer Wege, um zu überleben – teilweise mit Techniken, deren Raffinesse heute überraschen. Die Kelten etwa füllten Getreide in Löcher in der Erde, die an der Oberfläche eine schmale Öffnung hatten und breiter wurden, je tiefer die Menschen gruben. Weil am Boden Körner sprießten, setzten sie Kohlendioxid frei und versiegelten die sogenannten Kegelstumpfgruben. In einem solchen Lager haben nun Archäologen auf dem Varta-Gelände das Skelett eines Kindes gefunden. In Detailarbeit, an der auch Frankfurter Gerichtsmediziner beteiligt waren, fanden sie heraus, dass es gewaltsam zu Tode gekommen ist und die Grube nicht mehr als Lager, sondern als Mülleimer diente.
Archäologe Manfred Woidich und Johann Tolksdorf vom Landesamt für Denkmalpflege skizzierten nun bei einem Termin in der Bundesstube des Nördlinger Rathauses, wie sie dabei vorgegangen sind.
Dass es sich nicht um eine gewöhnliche Bestattung handelte, war beim Anblick des Skeletts am Boden der Grube schnell klar. Die Leiche des Kindes lag auf dem Bauch, die Gliedmaßen vom Körper gestreckt – keine gewöhnliche Haltung für eine Bestattung.
Grundsätzlich sei ein „befremdlicher Umgang mit Leichen“keine Seltenheit gewesen in dieser Zeit. Es deutet nach Angaben der Wissenschaftler jedoch nichts darauf hin, dass die Leiche etwa aus rituellen Gründen in der Grube landete. Vielmehr gehen sie davon aus, dass der neun- bis zwölfjährige Bub dort entsorgt wurde. Sein Körper sei auf einer Erhöhung innerhalb der Grube gelegen.
Diese Erhöhung bestand aus organischem Material, bei dem es sich eindeutig um Speisereste handelt. „Die Grube wurde nach ihrer ursprünglichen Verwendung eindeutig als Mülltonne genutzt“, bringt es Tolksdorf auf den Punkt.
Ein sogenanntes stumpfes Trauma am Schädel belegt nämlich, dass er durch einen Schlag getötet wurde. Dafür haben die Wissenschaftler Gerichtsmediziner konsultiert.
Aufgrund der Umstände hat das Landesamt eine Hypothese aufgestellt: Es könnte sich bei dem Bub um einen Sklaven gehandelt haben – wobei dieser Begriff recht breit gefasst ist. „Man darf sich darunter keinen Menschen vorstellen, der den ganzen Tag mit einer Kette gefesselt war, aber vermutlich war er ein rechtloser Bewohner eines Hofes“, erklärt Tolksdorf. An einem Knochen fand man Spuren einer schweren Entzündung, die ihn massiv eingeschränkt haben muss. Die Knochen seines rechten Armes zeigen, dass er damit schwere körperliche Arbeit verrichtet hat. Und seine Vorderzähne sind stark abgenutzt – in der Regel ein Zeichen dafür, dass ein Mensch sein Gebiss als zusätzliches Greifwerkzeug genutzt hat.
Der Bub lebte zwischen dem fünften bis zweiten Jahrhundert vor Christus. Das belegen Keramiken, die in seiner Nähe gefunden wurden. Ein genaueres Alter werden die Forscher nennen können, sobald die Ergebnisse der sogenannten C14-Untersuchung vorliegen, die aus der Konzentration einer bestimmten Form von Kohlenstoff Rückschlüsse auf das Alter zulässt. Ergänzend könnten die Wissenschaftler auch ergründen, woher der Bub stammte. Dafür untersuchen die Forscher die Stickstoffzusam Frankfurter mensetzung der Funde. Das funktioniert im Ries nur eingeschränkt, weil der Untergrund so durchmischt ist. Die Untersuchung könnte allerdings ergeben, dass der Junge nicht aus der Region stammte.
Der Harburger Archäologe Woidich betonte, der Fund füge sich in eine lange Reihe in dieser Gegend Nördlingens. Nachdem der Brunnen gezeigt hatte, wie die Kelten verschwanden, könnte das Skelett eine durchgehende Besiedlung beweisen. Oberbürgermeister David Wittner sagte bei dem Termin, es sei beeindruckend, mit welcher Präzision Wissenschaftler nach einer so lange Zeit das Geschehen rekonstruieren könnten.