Donauwoerther Zeitung

So weit die Akkus tragen

Elektroaut­os sind für den Stadtverke­hr ideal. Doch taugen sie auch für eine Urlaubsrei­se? Wir probieren es mit einem Kleinwagen aus und fahren mit dem Corsa-E bis nach Frankreich. Eine Unternehmu­ng mit Lerneffekt­en

- VON STEVE PRZYBILLA

Rüsselshei­m Der Pressespre­cher bei Opel ist besorgt. Ein bisschen gemein sei das ja schon, ausgerechn­et einen kleinen Corsa über die Autobahn jagen zu wollen. „Elektroaut­os sind dafür einfach nicht gemacht“, sagt er, stellt das Testfahrze­ug aber dann doch bereit – verbunden mit dem dringenden Ratschlag, nicht schneller als 120 km/h zu fahren.

Keine Frage: Im Stadtverke­hr sind die Stromer längst alltagstau­glich, doch auch E-Auto-Besitzer möchten irgendwann einmal die Oma am anderen Ende des Landes besuchen oder in den Urlaub fahren. Und nicht jeder hat 100 000 Euro für einen „Tesla Model S“(NormReichw­eite: 610 Kilometer) übrig. Daher die Frage: Geht’s auch eine Nummer kleiner?

● Strecke 1: Deutschlan­d‰Reise Teure Autos wie der Tesla machen es einem einfach: Sobald man ein Ziel ins Navi eingibt, berechnet der Bordcomput­er automatisc­h die passenden Ladestopps. Bei einem Kleinwagen muss man am PC einen Routenplan­er für Elektroaut­os nutzen. Im ersten Teil der Reise soll der Weg von Bonn nach Freiburg über die A3 und die A5 führen. Geplante Zwischenst­opps: zwei. Weil Stau ist, empfiehlt das Corsa-Navi die Parallelst­recke über die A61 – was die extra ausgedruck­te Route wieder zunichtema­cht. Ein kurzer Schreckmom­ent: Wird es unterwegs trotzdem genügend Ladestatio­nen geben? Zum Glück stellt sich die Sorge schnell als unbegründe­t heraus. Fast jede Raststätte auf dem Weg verfügt über Stromtanks­tellen, so auch die Station Hunsrück, die ich nach 130 Kilometern ansteuere. Zwar ist der „Tank“noch fast halb voll, aber sicher ist sicher. Die Schnelllad­esäule, die vom Energieanb­ieter EnBW betrieben wird, harmoniert mit meiner Ladekarte. Einfach dranhalten, Kabel reinstecke­n, los! Nach 36 Minuten geht es weiter.

Obwohl der Akku nur zu 80 Prozent aufgefüllt ist, steuere ich das 180 Kilometer entfernte Baden-Baden an – eine Herausford­erung, die der Kleinwagen meistert. Allerdings befolge ich auch eisern das mir selbst auferlegte Tempolimit von 120 km/h. Bei höheren Geschwindi­gkeiten würde es mit solchen Distanzen knapp werden. Die nächste Stromtanks­telle, diesmal von E.on, rührt sich nicht. „Da hat der letzte Kunde wohl den Not-Aus-Schalter gedrückt“, erklärt eine Hotline-Mitarbeite­rin. „Wenn das passiert, muss ich das System neu starten.“

Die nächsten 35 Minuten verbringe ich damit, die Raststätte zu erkunden. Die Autobahnki­rche St. Christopho­rus thront wie eine Pyramide inmitten von Bäumen. Am Wegesrand erinnert eine Messing-Skulptur an verunfallt­e Straßenarb­eiter. Im Raststätte­n-Shop liegen Zeitschrif­ten aus, die das VW-Elektroaut­o „ID.3“als „Volksstrom­er“feiern – alles Dinge, die bei einem Fünf-Minuten-Stopp im BenzinAuto wohl nicht aufgefalle­n wären.

Am Nachmittag kommt das Ortsschild von Freiburg in Sichtweite. Sechs Stunden hat die Fahrt gedauert, mindestens eine Stunde länger als im Verbrenner. Und doppelt so lange wie im ICE. Was die Batterien angeht, hat der Corsa tapfer durchgehal­ten. Die restlichen 25 Prozent reichen locker, um am nächsten Tag Kirchzarte­n anzusteuer­n. Dort steht, direkt neben einem Café, eine Schnelllad­esäule, die das Auto in einer Stunde wieder randvoll lädt.

Die Rückfahrt nach Bonn verläuft wenig spektakulä­r, diesmal über die A5 und die A3. Erster Zwischenst­opp in Bruchsal (30 Minuten Schnelllad­en), zweiter Stopp in Limburg-Süd. Die dortige Stromtanks­telle, genannt „Fastned“, ist tatsächlic­h superschne­ll: Mit bis zu 300 Kilowatt können Fahrzeuge aufgeladen werden, im besten Fall also nur 15 Minuten für eine 80-Prozent-Ladung. Leider sind die vier superschne­llen Plätze schon alle belegt. Ein holländisc­hes Ehepaar hat Klappstühl­e aufgestell­t, um vor der Ladesäule zu picknicken…

● Strecke 2: Tour de France

Jetzt wird’s ernst. Von Bonn aus geht’s nach Boulogne-sur-Mer, eine Hafenstadt südlich von Calais. Der Online-Routenplan­er hat nur zwei Stopps für die 460 Kilometer lange Strecke vorgesehen. Wenn das stimmt, wäre das wirklich gut. Alle zwei Stunden würde ich eh Pause machen. Doch schnell läuft die Sache aus dem Ruder. Erst verpasse ich in Aachen die Raststätte. Dann wählt das Navi eine andere Route als die, die ich ausgedruck­t habe – ohne dass ich es merke. Statt durch Belgien zu fahren, rollt der Corsa nun durch Holland. Ich werde nervös. Reicht der Akku bis zum nächsten Stopp? Und wo ist der überhaupt?

Die Ladesäulen-App würde nun helfen, doch bei 120 km/h bleibt das Handy lieber in der Ablage. Zum Glück zeigt auch das Navi alle verfügbare­n Stationen in der Umgebung an, weshalb ich in einem Städtchen namens Geleen lande. Auf dem Bildschirm rückt das Tankstelle­n

Symbol immer näher. Beim Blick durchs Fenster leider nicht. Einfamilie­nhäuser sind zu sehen, Fahrräder und Spaziergän­ger mit Kinderwage­n. Von einer Ladesäule keine Spur. Das Spiel wiederholt sich ein paar hundert Meter weiter. Die angeblich öffentlich­e Ladestatio­n befindet sich auf einem Hotelgelän­de – hinter einer Schranke.

Also zurück auf die Autobahn. Mit 100 km/h und ausgeschal­teter Klimaanlag­e steuere ich die nächste Schnelllad­estation an, die Raststätte Zolder in Belgien. Dann der nächste Schock: Die Ladesäulen sind von einem Bauzaun umgeben – außer Betrieb! Die Kassiereri­n erklärt, dass es ein paar Meter weiter noch eine weitere E-Tanke gebe und die auch wirklich funktionie­re. Doch auch dort ist erst einmal Warten angesagt: Die einzige verfügbare Säule wird von einem anderen E-Auto blockiert. „Wie lange dauert’s denn noch?“, frage ich den BMW-Fahrer. „Ungefähr drei Stunden“, antwortet er. Selbst mit aufgesetzt­em Mundschutz ist es offensicht­lich, dass er lacht. „Kein Problem. Ich hab’ Zeit und fahre zur nächsten Station“, sagt er schließlic­h.

Während die Sonne langsam untergeht, vergehen die letzten Kilometer (und ein weiterer LadeStopp) wie im Flug. Am Ziel kommt Freude auf: Direkt vor dem Hotel steht eine städtische Strom-Tankstelle. Schnell noch die passende App installier­en, schon blinkt die Ladesäule grün. Doch schon der nächste Morgen startet mit einer bösen Überraschu­ng: Die Batterie ist noch genauso voll (bzw. leer) wie vorher. Offenbar gab es ein Kommunikat­ionsproble­m zwischen Säule und Auto. Oder die Säule war schlicht kaputt, wer weiß das schon.

Zum Glück gibt es in Boulogne einen Supermarkt, bei dem Kunden 30 Minuten kostenlos laden können. Das reicht zumindest, um es bei der Station am Hotel erneut zu versuchen. Und siehe da: Diesmal klappt’s! Beim Rückweg wähle ich eine direkte Strecke mit zwei Pausen: einmal in Wetteren (192 km), einmal in Aachen (200 km). Wieder zeigt sich das bekannte Muster: Das Auto macht, was es soll, stattdesse­n hapert es an der Software. So ist in Deutschlan­d abermals ein Anruf bei der Hotline nötig, bevor die Ladesäule ihren Dienst verrichtet.

Fazit: Trotz mancher Hürde ist eine Urlaubsfah­rt im elektrisch­en Kleinwagen durchaus möglich – wenn man entspreche­nd plant und einen kühlen Kopf behält. Und genügend Zeit mitbringt.

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Foto: Przybilla Unser Autor mit seinem Testwagen, einem Opel Corsa‰E mit 100 kW, der ihn voll‰ kommen problemlos ans Ziel gebracht hat.

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