Die Sprinterin mit dem Trommelschritt
Mit vier Medaillen ist Annegret Richter (70) eine der erfolgreichsten deutschen Olympionikinnen
Berlin Es war ja nicht nur dieser wunderbare 25. Juli 1976, der Annegret Richter zu einem bis heute glücklichen und zufriedenen Menschen gemacht hat. Und zu einer der erfolgreichsten deutschen Leichtathletinnen. Olympia-Gold hatte sie schon 1972 in München gewonnen, als „Küken“in der Staffel, mit 21. Aber dieser Sommertag in Montreal hat es in sich: Im 100-Meter-Halbfinale schockt sie die Konkurrenz, vor allem die Favoritin Renate Stecher, mit einem Weltrekord. Und nach drei Fehlstarts behält die Dortmunderin im Endlauf die Nerven: Erste in 11,08 Sekunden – und schier grenzenloses Glück. Nach den Fehlstarts
fiel im Ziel eine Zentnerlast ab. „Ich war so befreit. Ich fühlte mich um die Hälfte leichter!“, sagt Annegret Richter. „Nach dem Ziel war ich noch nicht ganz sicher, erst auf der großen Videowand konnte ich sehen, dass ich klar vorne war“, schildert die Olympiasiegerin rückblickend die Situation. Abends dann war sie mit Verwandten in Montreal essen – und hat auf das Gold angestoßen. „Ich habe da nur ein Schlückchen getrunken – Wasser“, erzählte sie. Am Dienstag ist wieder eine kleine Familienfeier angesagt: Richter wird 70 Jahre alt. Mit DDR-Sprinterin Stecher, die damals in 11,13 Sekunden Silber holte, ist Richter bis heute befreundet. Die beiden telefonieren oft, haben sich schon besucht. Zur Party kann die Thüringerin aber nicht. Richter feiert mit ihrem Mann Manfred und den beiden großen Kindern – die Tochter arbeitet als Wissenschaftlerin in Dresden, der Sohn ist Arzt in Dortmund. Ein paar beste Freunde kommen, auch der gerade zwei
Jahre alte Enkel ist dabei. Zweimal Gold und zweimal Silber bei zwei Olympischen Spielen, dazu der Montreal-Weltrekord von 11,01 Sekunden – das sind nur die Leuchttürme einer großen Karriere. Elf Jahre Leistungssport, halbtags war sie bei der Stadt Dortmund angestellt, für Soziales und Sport zuständig. Schon mit 20 Jahren gewann Richter ihren ersten großen Titel: Staffel-Gold bei der LeichtathletikEM 1971 in Helsinki.
Es folgten Siege, Meisterschaften, Medaillen und Rekorde ohne Ende. Die Sportlerin war ehrgeizig, zielstrebig – für jede Saison hatte sie einen Plan. Danach wurde abgerechnet. Mit ihrem Trommelschritt war sie die perfekte Kurvenläuferin, immer die Nummer 3 in der Sprintstaffel.
Ihre sportliche Vita ist beeindruckend: 28 deutsche Meistertitel gewann Richter zwischen 1970 (noch als Annegret Irrgang) und 1980. Mit ihrem 200-Meter-Hallenweltrekord in Sindelfingen Ende Februar 1977 schaffte sie es in die „Tagesschau“. Auf Briefmarken in Deutschland, sogar von Ecuador und Guayana, war ihr Konterfei verewigt. In Montreal holte sie noch zweimal Silber Ende 1980, nach den Moskauer Boykott-Spielen, beendete sie ihre Bilderbuchkarriere.