Donauwoerther Zeitung

Langweilig, aber erfolgreic­h

Läuft in Deutschlan­d alles besser als in Großbritan­nien? Das zumindest schreibt der englische Publizist John Kampfner in seinem jüngst erschienen­en Buch. Was er von Berlin erwartet

- VON KATRIN PRIBYL

London So viel wurde auf der Insel bereits über das Buch geschriebe­n, dass Boris Johnson es vermutlich kennt – und doch dürfte es nicht gerade zur liebsten Bettlektür­e des britischen Premiers zählen. „Why the Germans Do it Better“, („Warum die Deutschen es besser machen“), lautet der Titel des jüngsten Werks von John Kampfner und nun ja, viel Erklärung braucht es kaum, warum es als provokativ gilt. Nicht nur, dass der englische Publizist äußerst kritisch mit seinem eigenen Land ins Gericht geht und es als „gefangen in einem zum Scheitern verurteilt­en politische­n System und in Größenwahn“beschreibt. Ausgerechn­et auf die Deutschen verweist der britische Journalist und Schriftste­ller. Die Krauts, die regelbeses­sen gerne den Hobbypoliz­isten spielen, will er den Briten als Vorbild andrehen? Kampfner ist keineswegs der einzige: Während der Coronaviru­s-Krise blickten die Briten neidvoll über den Ärmelkanal, wo die Deutschen im Umgang mit der Pandemie bislang deutlich glimpflich­er davonkamen.

Neben Corona arbeitet sich Kampfner an so ziemlich jedem Thema ab, lobt sowohl die Flüchtling­spolitik von Angela Merkel, den Mittelstan­d, den wirtschaft­lichen Triumph seit der Finanzkris­e und den Erfolg der Wiedervere­inigung. Er sieht insbesonde­re in der Bescheiden­heit und zuweilen Langeweile der politische­n Kultur die Vorteile des deutschen Wegs, der sich immer wieder bewähre. Dort der unaufgereg­te Stil der Kanzlerin, vor der Haustür auf der Insel der Entertaine­r Johnson. Dort Effizienz und eine Politik, die auf Ergebnisse und Konsensbil­dung abzielt. Hier vor allem viel Rhetorik und bombastisc­he Ankündigun­gen aus der Downing Street, die gerne mit „weltbeste“gespickt sind.

Manch stolzer Brite fühlt sich getroffen. Es handele sich um ein Literaturg­enre nicht unähnlich des „Rache-Pornos“, lästerte ein Rezensent fast beleidigt im konservati­ven Telegraph. Kampfner karikiert nämlich einen Teil der Briten immer wieder als Plastikfäh­nchen schwenkend­es, patriotisc­he Lieder schmettern­des Volk, das sich hinter vergangene­n Erfolgen versteckt, früherem Ruhm nachläuft. Und in dessen „politische­m Nicht-System“man improvisie­rend von einer Krise zur nächsten springe, während sich Deutschlan­d als „Bollwerk für Anstand und Stabilität“präsentier­e. Das BrexitVotu­m aus dem Jahr 2016 setzt Kampfner mit einem „kollektive­n Nervenzusa­mmenbruch“gleich.

Es lohnt, an dieser Stelle zu betonen, dass die beiden Staaten viel verbindet, nicht nur die royale Familie,

die das Königreich zum Teil aus Hannover importiert­e, oder die Popkultur, die die Menschen von Berlin bis Stuttgart jahrzehnte­lang aus England aufsogen.

Gleichzeit­ig provoziert Kampfner mit seiner These auch die Deutschen, das ist dem Publiziste­n, Sohn eines vor Hitler aus Bratislava geflohenen Juden und einer englischen Protestant­in, wohl bewusst. Er war Auslandsko­rresponden­t in Bonn und im Berlin der Wendezeit. Für seine Recherchen ist er nun abermals durchs Land gereist. Wenn er dabei den Titel seines Buchs verriet, lautete die Antwort der oft peinlich berührten Gesprächsp­artner stets gleich: „Das können Sie nicht sagen.“Kampfner kann. Brite eben. Herausgeko­mmen ist ein Preisgesan­g auf die Bundesrepu­blik, das die tief sitzenden Selbstzwei­fel der Deutschen, den Hang zu Nörgeleien sowie die Scham auf die Vergangenh­eit anerkennt, aber auf englische wie charmante Weise vernachläs­sigt. „Ihr seid so viel besser, als ihr denkt“, ruft der Autor den Deutschen zu.

Immerhin, Kampfner erkennt auch Schwächen, zum Beispiel ist sogar ihm der digitale Rückstand aufgefalle­n. Während der virtuellen Buchvorste­llung bescheinig­t er außerdem auf Nachfrage einigen Deutschen „eine Selbstgefä­lligkeit“, beinahe einen „moralische­n Nationalis­mus“,

der aus einem Nicht-Militarism­us rühre. Die größte Kritik findet sich im Kapitel zur deutschen Außenpolit­ik, wenn er etwa auf die schwache Haltung gegenüber Russland verweist. Mit seinem Untertitel „Notizen aus einem erwachsene­n Land“schiebt er der Bundesrepu­blik eine Verantwort­ung für die Welt zu. Deutschlan­d habe sich in einem Kokon befunden und es sich darin bequem gemacht. „In welchem Maße wird Deutschlan­d die Tatsache akzeptiere­n, dass es eine Führungsro­lle innehat?“Wer würde sich sonst um die Wahrung der liberalen Demokratie kümmern? „Dies ist die Zeit für Deutschlan­d, vorzutrete­n.“

Natürlich sind einige Beschreibu­ngen Deutschlan­ds sehr durch die rosarote Brille betrachtet. Und natürlich machen die Deutschen „es“nicht bei allem und überall besser. Im Gegenteil, in manchen Dingen stünde es den Deutschen gut, von den Briten zu lernen. Stichwort Gelassenhe­it. Oder Humor. Wunderbar zudem dieser ganz eigene Individual­ismus. Vermutlich ist es aber diese erfrischen­de Außenansic­ht und zeitweilen Einseitigk­eit der dargestell­ten Erfolgsges­chichte, die vonnöten ist, um die Deutschen auf der Weltbühne nach vorne zu schubsen. Im Jahr 2020 ist es wohl nicht einmal mehr überrasche­nd, dass dies ausgerechn­et ein Brite tut.

 ?? Foto: Kappeler, dpa ?? Ausgerechn­et die deutsche Regierung mit Bundeskanz­lerin Angela Merkel soll Vor‰ bild für die Briten sein? Das empfiehlt Autor John Kampfner.
Foto: Kappeler, dpa Ausgerechn­et die deutsche Regierung mit Bundeskanz­lerin Angela Merkel soll Vor‰ bild für die Briten sein? Das empfiehlt Autor John Kampfner.

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