Wenn die Wohnung plötzlich weg ist
Der angespannte Immobilienmarkt in und rund um Donauwörth verschärft die Lage der von Obdachlosigkeit betroffenen Menschen. Die Stadt will helfen, hält das aber letztlich nur in einem größeren Netzwerk für möglich
Donauwörth Es ist nicht einfach, als Verwaltungsbeamter einer Frau mit Kindern gegenüberzustehen, die gerade ihr Zuhause verloren hat und vor der Obdachlosigkeit steht. Das Thema Wohnungs- und Obdachlosigkeit spielt auch im wirtschaftlich nach wie vor gut dastehenden Donauwörth inzwischen eine Rolle – und zwar, wie die Stadtverwaltung als auch die Caritas Donau-Ries berichten, eine zunehmende. Die Stadt will sich auf diesem Feld stärker engagieren, sieht das aber nur in Kooperation mit übergeordneten Stellen möglich. Die Probleme sind indes offenbar auch Nachwirkungen überregionaler Weichenstellungen in der Vergangenheit.
„Hier arbeiten keine herzlosen Menschen, die so etwas nicht berührt“, sagt Donauwörths Oberbürgermeister Jürgen Sorré mit Blick auf die eingangs beschriebene Szene, die sich so in den Amtsstuben des Rathauses abgespielt hat. Der Rathauschef sagt, das Thema Wohnungsund Obdachlosigkeit sei zwar keines, das hier die breite Masse betreffe – es bereite ihm aber durchaus Sorge, dass es in den vergangenen Jahren zugenommen habe. Die Stadt wolle jedem in Not Geratenen helfen, doch sie könne dieses Feld eben nicht alleine bestellen. „Früher war es ein absolut minimales Randproblem“, erklärt Ordnungsamtsleiter Konrad Nagl. Für die sehr wenigen von Wohnungsund Obdachlosigkeit Betroffenen habe man immer eine Lösung finden können. Das lag auch in der Historie der Sozialstruktur der Kommunen begründet: Es gab stets das sogenannte Armenhaus, dem Bedürftige zugewiesen wurden (einst befand es sich in der Pflegstraße in der Nachbarschschaft des heutigen Käthe-Kruse-Museums). Die
Zunahme von Wohnungslosigkeit und drohender Wohnungslosigkeit sei mit dem Beginn der Hartz IVReformen verstärkt aufgetreten, so Nagl. Der Sozialstaat habe sich verändert, parallel dazu haben sich die Kommunen in Deutschland mehr und mehr von städtischen Wohnungen getrennt. Nagl resümiert auch mit Blick auf die eigenen Kommune: „Es gibt einen Verlust an einfachen Wohnungen.“Der Wohnungsmarkt ist allzu oft vor allem auf Besserverdiener ausgelegt. Das Konglomerat aus den verschiedenen Faktoren ist nun offenbar zu einem spürbaren Problem geworden.
Die Stadt Donauwörth versuche, so OB Sorré, mit dem Ordnungsamt bei drohender Wohnungslosigkeit rasch zu intervenieren. „Wir versuchen früh das Gespräch mit Mietern und Vermietern zu suchen, damit niemand nach einer Räumung auf der Straße steht“, erläutert Ordnungsamtsleiter Nagl. Von Wohnungslosigkeit bedrohten Menschen rät Sorré, dringend so schnell wie irgend möglich das Gespräch mit den Ämtern sowie mit der Caritas in Donauwörth zu suchen. Man geht in Donauwörth davon aus, dass sich im Zuge der Corona-Krise das Problem durchaus verschärfen könnte – etwa wenn Menschen ihre Wohnung zu verlieren drohen, weil sie aufgrund von Arbeitslosigkeit die Miete nicht mehr begleichen können. Im Landkreis hat es in den vergangenen drei Jahren jeweils zwischen 34 und 45 Räumungen gegeben, wie die Caritas berichtet. Der Absturz zum Wohnungsnotfall vollziehe sich „in der Regel über Mietschulden, Räumungsklage bis zur Räumung der Wohnung und im äußersten Fall zu einem Leben in der Obdachlosenunterkunft oder auf der Straße“, wie es Gabriele Wawrok von der Caritas in Donauwörth beschreibt.
Wegen fehlenden kommunalen
Wohnungen ist die Stadt in jenen Notfällen auf die Kooperation mit den hiesigen Wohnbaugenossenschaften GBD und WohnbauSelbsthilfewerk angewiesen, sagt Nagl. In vielen Fällen habe man gemeinsam eine Lösung finden können. Doch klar sei auch, die Ressourcen an Immobilien sind begrenzt, für die Wohnungen der Genossenschaften existieren längere Wartezeiten und -Listen.
Indessen hat Gabriele Wawrok von der Caritas jüngst eigens eine Studie für den Landkreis DonauRies angefertigt. Demnach verhält es sich nach Zahlen im Kreis folgendermaßen: Donauwörth hatte im Mai dieses Jahres 22 Bewohner in der Obdachlosenunterkunft und sechs Bewohner im Haus Leonhard, dem Wohnheim für männliche Haftentlassene des Sozialdienstes für katholische Männer (SKM). Fünf Frauen waren zu dieser Zeit im Frauenhaus untergebracht, in Pensionen waren es zwei Personen, die von Obdachlosigkeit betroffen waren. Bei Personen, die bei Freunden und Bekannten oder der Familie leben und wohnungslos sind, gebe es, so Wawrok, eine große Dunkelziffer – aktuell seien ihr neun Personen bekannt. Somit kommt die Große Kreisstadt Donauwörth auf insgesamt 44 Betroffene.
In Nördlingen sind es in der Obdachlosenunterkunft 16 Personen. Die Stadt Rain beherbergt – Stand: Mai – sechs obdachlose Personen. Der Beratungsstelle der Caritas waren im Mai 2020 zudem fünf Personen bekannt, die wohnungslos sind und bei Freunden wohnen, sowie sieben Fälle von Wohnungskündigungen. Die anderen Gemeinden und Städte meldeten, wie Wawrok berichtet, auf eine Anfrage keine Obdachlosenzahlen. Nur Oettingen meldete der Caritas-Mitarbeiterin weitere 18 Betroffene. Insgesamt handelte es sich im Mai dieses Jahres um 97 Personen, die bei den Behörden gemeldet waren. Des Weiteren sind in der Obdachlosenberatung 30 Personen bekannt, die zurzeit nicht bei den Behörden gemeldet sind. „Diese wohnen aktuell ohne Meldeadresse bei Bekannten, Freunden oder der Familie und wären ohne deren Hilfe obdachlos“, erläutert Wawrok in ihrer Studie.
Wie wird der Lage begegnet? In Donauwörth fahre man mehrgleisig, wie Sorré und Nagl erklären. Zum einen sei da das frühzeitige Beratungsangebot durch die Caritas, zum anderen sei die Kooperation
Der Sozialstaat hat sich verändert
Frühzeitige Hilfe ist am wirksamsten
mit dem Landkreis immens wichtig, da hier wichtige Einrichtungen wie Sozialbehörden und Jugendamt angesiedelt sind. Des Weiteren müsse man auch überlegen, so Sorré, sich parallel zur Kooperation mit den Genossenschaften Gedanken über etwaige Notwohnungen auch für Familien zu machen – für die allergrößten Notfälle. Gabriele Wawrok sprach sich zuletzt für ein zentrales und betreutes Heim aus. Sie kritisiert ferner, dass 20 SozialarbeiterStunden für Donauwörth und Nördlingen kaum ausreichten, um jenem existenziell wichtigen Thema angemessen begegnen zu können.
Klar ist unter dem Strich: Das Phänomen steht mittlerweile spürbar im Raum.