Donauwoerther Zeitung

Wenn die Wohnung plötzlich weg ist

Der angespannt­e Immobilien­markt in und rund um Donauwörth verschärft die Lage der von Obdachlosi­gkeit betroffene­n Menschen. Die Stadt will helfen, hält das aber letztlich nur in einem größeren Netzwerk für möglich

- VON THOMAS HILGENDORF

Donauwörth Es ist nicht einfach, als Verwaltung­sbeamter einer Frau mit Kindern gegenüberz­ustehen, die gerade ihr Zuhause verloren hat und vor der Obdachlosi­gkeit steht. Das Thema Wohnungs- und Obdachlosi­gkeit spielt auch im wirtschaft­lich nach wie vor gut dastehende­n Donauwörth inzwischen eine Rolle – und zwar, wie die Stadtverwa­ltung als auch die Caritas Donau-Ries berichten, eine zunehmende. Die Stadt will sich auf diesem Feld stärker engagieren, sieht das aber nur in Kooperatio­n mit übergeordn­eten Stellen möglich. Die Probleme sind indes offenbar auch Nachwirkun­gen überregion­aler Weichenste­llungen in der Vergangenh­eit.

„Hier arbeiten keine herzlosen Menschen, die so etwas nicht berührt“, sagt Donauwörth­s Oberbürger­meister Jürgen Sorré mit Blick auf die eingangs beschriebe­ne Szene, die sich so in den Amtsstuben des Rathauses abgespielt hat. Der Rathausche­f sagt, das Thema Wohnungsun­d Obdachlosi­gkeit sei zwar keines, das hier die breite Masse betreffe – es bereite ihm aber durchaus Sorge, dass es in den vergangene­n Jahren zugenommen habe. Die Stadt wolle jedem in Not Geratenen helfen, doch sie könne dieses Feld eben nicht alleine bestellen. „Früher war es ein absolut minimales Randproble­m“, erklärt Ordnungsam­tsleiter Konrad Nagl. Für die sehr wenigen von Wohnungsun­d Obdachlosi­gkeit Betroffene­n habe man immer eine Lösung finden können. Das lag auch in der Historie der Sozialstru­ktur der Kommunen begründet: Es gab stets das sogenannte Armenhaus, dem Bedürftige zugewiesen wurden (einst befand es sich in der Pflegstraß­e in der Nachbarsch­schaft des heutigen Käthe-Kruse-Museums). Die

Zunahme von Wohnungslo­sigkeit und drohender Wohnungslo­sigkeit sei mit dem Beginn der Hartz IVReformen verstärkt aufgetrete­n, so Nagl. Der Sozialstaa­t habe sich verändert, parallel dazu haben sich die Kommunen in Deutschlan­d mehr und mehr von städtische­n Wohnungen getrennt. Nagl resümiert auch mit Blick auf die eigenen Kommune: „Es gibt einen Verlust an einfachen Wohnungen.“Der Wohnungsma­rkt ist allzu oft vor allem auf Besserverd­iener ausgelegt. Das Konglomera­t aus den verschiede­nen Faktoren ist nun offenbar zu einem spürbaren Problem geworden.

Die Stadt Donauwörth versuche, so OB Sorré, mit dem Ordnungsam­t bei drohender Wohnungslo­sigkeit rasch zu intervenie­ren. „Wir versuchen früh das Gespräch mit Mietern und Vermietern zu suchen, damit niemand nach einer Räumung auf der Straße steht“, erläutert Ordnungsam­tsleiter Nagl. Von Wohnungslo­sigkeit bedrohten Menschen rät Sorré, dringend so schnell wie irgend möglich das Gespräch mit den Ämtern sowie mit der Caritas in Donauwörth zu suchen. Man geht in Donauwörth davon aus, dass sich im Zuge der Corona-Krise das Problem durchaus verschärfe­n könnte – etwa wenn Menschen ihre Wohnung zu verlieren drohen, weil sie aufgrund von Arbeitslos­igkeit die Miete nicht mehr begleichen können. Im Landkreis hat es in den vergangene­n drei Jahren jeweils zwischen 34 und 45 Räumungen gegeben, wie die Caritas berichtet. Der Absturz zum Wohnungsno­tfall vollziehe sich „in der Regel über Mietschuld­en, Räumungskl­age bis zur Räumung der Wohnung und im äußersten Fall zu einem Leben in der Obdachlose­nunterkunf­t oder auf der Straße“, wie es Gabriele Wawrok von der Caritas in Donauwörth beschreibt.

Wegen fehlenden kommunalen

Wohnungen ist die Stadt in jenen Notfällen auf die Kooperatio­n mit den hiesigen Wohnbaugen­ossenschaf­ten GBD und WohnbauSel­bsthilfewe­rk angewiesen, sagt Nagl. In vielen Fällen habe man gemeinsam eine Lösung finden können. Doch klar sei auch, die Ressourcen an Immobilien sind begrenzt, für die Wohnungen der Genossensc­haften existieren längere Wartezeite­n und -Listen.

Indessen hat Gabriele Wawrok von der Caritas jüngst eigens eine Studie für den Landkreis DonauRies angefertig­t. Demnach verhält es sich nach Zahlen im Kreis folgenderm­aßen: Donauwörth hatte im Mai dieses Jahres 22 Bewohner in der Obdachlose­nunterkunf­t und sechs Bewohner im Haus Leonhard, dem Wohnheim für männliche Haftentlas­sene des Sozialdien­stes für katholisch­e Männer (SKM). Fünf Frauen waren zu dieser Zeit im Frauenhaus untergebra­cht, in Pensionen waren es zwei Personen, die von Obdachlosi­gkeit betroffen waren. Bei Personen, die bei Freunden und Bekannten oder der Familie leben und wohnungslo­s sind, gebe es, so Wawrok, eine große Dunkelziff­er – aktuell seien ihr neun Personen bekannt. Somit kommt die Große Kreisstadt Donauwörth auf insgesamt 44 Betroffene.

In Nördlingen sind es in der Obdachlose­nunterkunf­t 16 Personen. Die Stadt Rain beherbergt – Stand: Mai – sechs obdachlose Personen. Der Beratungss­telle der Caritas waren im Mai 2020 zudem fünf Personen bekannt, die wohnungslo­s sind und bei Freunden wohnen, sowie sieben Fälle von Wohnungskü­ndigungen. Die anderen Gemeinden und Städte meldeten, wie Wawrok berichtet, auf eine Anfrage keine Obdachlose­nzahlen. Nur Oettingen meldete der Caritas-Mitarbeite­rin weitere 18 Betroffene. Insgesamt handelte es sich im Mai dieses Jahres um 97 Personen, die bei den Behörden gemeldet waren. Des Weiteren sind in der Obdachlose­nberatung 30 Personen bekannt, die zurzeit nicht bei den Behörden gemeldet sind. „Diese wohnen aktuell ohne Meldeadres­se bei Bekannten, Freunden oder der Familie und wären ohne deren Hilfe obdachlos“, erläutert Wawrok in ihrer Studie.

Wie wird der Lage begegnet? In Donauwörth fahre man mehrgleisi­g, wie Sorré und Nagl erklären. Zum einen sei da das frühzeitig­e Beratungsa­ngebot durch die Caritas, zum anderen sei die Kooperatio­n

Der Sozialstaa­t hat sich verändert

Frühzeitig­e Hilfe ist am wirksamste­n

mit dem Landkreis immens wichtig, da hier wichtige Einrichtun­gen wie Sozialbehö­rden und Jugendamt angesiedel­t sind. Des Weiteren müsse man auch überlegen, so Sorré, sich parallel zur Kooperatio­n mit den Genossensc­haften Gedanken über etwaige Notwohnung­en auch für Familien zu machen – für die allergrößt­en Notfälle. Gabriele Wawrok sprach sich zuletzt für ein zentrales und betreutes Heim aus. Sie kritisiert ferner, dass 20 Sozialarbe­iterStunde­n für Donauwörth und Nördlingen kaum ausreichte­n, um jenem existenzie­ll wichtigen Thema angemessen begegnen zu können.

Klar ist unter dem Strich: Das Phänomen steht mittlerwei­le spürbar im Raum.

 ?? Symbolfoto: Alexander Kaya ?? Jede Kommune, in der noch Mitgefühl und Mitmenschl­ichkeit oben auf der Agenda stehen, möchte wohl solche Bilder vermeiden. Wohnungs‰ und Obdachlosi­gkeit haben in den vergangene­n Jahren laut Angaben der Caritas Donau‰Ries zugenommen. Der enge Wohnungsma­rkt trägt dazu bei.
Symbolfoto: Alexander Kaya Jede Kommune, in der noch Mitgefühl und Mitmenschl­ichkeit oben auf der Agenda stehen, möchte wohl solche Bilder vermeiden. Wohnungs‰ und Obdachlosi­gkeit haben in den vergangene­n Jahren laut Angaben der Caritas Donau‰Ries zugenommen. Der enge Wohnungsma­rkt trägt dazu bei.

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