Donauwoerther Zeitung

Politik mit der Daumenschr­aube

In einer konzertier­ten Aktion versuchen Bund und Länder, den Anstieg der Infektions­zahlen zu begrenzen. Nicht jede Maßnahme aber hält, was sie verspricht

- VON RUDI WAIS rwa@augsburger‰allgemeine.de

Der Zweck heiligt nicht alle Mittel. Mit seinem Vorschlag, für Menschen aus Risikogebi­eten wie Berlin, München oder Memmingen eine Art Ausreisesp­erre zu verhängen, konnte sich der Infektions­forscher Michael Meyer-Hermann beim Krisentref­fen der Kanzlerin mit den Ministerpr­äsidenten zwar nicht durchsetze­n. Dass über eine derart massive Einschränk­ung der persönlich­en Freiheiten überhaupt diskutiert wurde, zeigt allerdings, wie blank die Nerven in der Politik teilweise liegen. Die kräftig gestiegene­n Ansteckung­szahlen vor Augen setzen vor allem Angela Merkel und Markus Söder auf das Prinzip Daumenschr­aube: Wer nicht hören will, muss fühlen.

Nicht nur in der Debatte um das Beherbergu­ngsverbot für Reisende aus innerdeuts­chen Risikogebi­eten

ist dabei einiges aus dem Ruder gelaufen – eine Maßnahme, die mehr Widersprüc­he produziert als Probleme löst. Warum, zum Beispiel, darf ein Tourist aus Memmingen ohne negativen CoronaTest in einem fränkische­n Hotel absteigen, ein Urlauber aus Berlin aber nicht? In Baden-Württember­g und Niedersach­sen haben die Gerichte bereits die Reißleine gezogen und die jeweiligen Hotelverbo­te gekippt. Sachsen hat sein Verbot von sich aus aufgehoben, während der bayerische Ministerpr­äsident noch immer an der Testpflich­t festhält. Dabei ist die Frage, ob sie noch verhältnis­mäßig ist, längst beantworte­t – mit Nein.

Mit einigen Regelungen aus dem von Bund und Ländern beschlosse­nen Anti-Corona-Paket verhält es sich ähnlich. So wichtig es jetzt ist, die Menschen auf Abstand zu halten, Kontakte zu reduzieren und einen Lockdown auf Raten zu vermeiden: Wo Gastronome­n auch strenge Abstands- und Hygienevor­schriften in ihren Lokalen einhalten können, muss die Politik sie nicht mit einer Sperrstund­e dazu zwingen, um 22 oder 23 Uhr zu schließen. Eine Maskenpfli­cht in Fußgängerz­onen und auf belebten Plätzen in den Risikogebi­eten wiederum wirkt nur, wenn die örtlichen Behörden sie auch kontrollie­ren und Verstöße ahnden – von den privaten Feiern gar nicht zu reden, deren Teilnehmer­zahl fast alle Bundesländ­er nun per Verordnung begrenzen wollen. Das Grundgeset­z aber schützt die eigene Wohnung ausdrückli­ch vor staatliche­n Eingriffen. Und was wäre ein abendliche­r Kontrollbe­such vom Ordnungsam­t anderes als ein staatliche­r Eingriff? Die meisten Menschen sind auch so vernünftig genug, jetzt keine wilden Partys mit dutzenden von Gästen zu feiern.

Mit immer neuen Vorschrift­en und Verboten wird sich der Kampf gegen Corona kaum gewinnen lassen. Dass Deutschlan­d bisher vergleichs­weise gut durch die Krise gekommen ist, liegt nicht zuletzt an der Vorsicht und der Umsicht, die seine Bürger auch so schon beweisen. Deshalb sind die Infektions­zahlen bei uns niedriger als in vielen anderen Ländern Europas und Szenarien mit bis zu 60 Millionen Infizierte­n und mehr als 200000 Corona-Toten, wie Angela Merkel und der Virologe Christian Drosten sie im März vorhergesa­gt haben, nur apokalypti­sche Gedankensp­iele.

Der Grat, auf dem die deutsche Politik balanciert, ist gleichwohl schmal. Hier das Bemühen, die Infektions­zahlen nicht in französisc­he oder spanische Höhen schießen zu lassen – dort die Sorge vieler Menschen, zu Gefangenen im eigenen Land zu werden, weil der Staat ihnen das Ausgehen verbietet, das Reisen und am Ende womöglich auch noch den Weihnachts­besuch bei den Großeltern. Markus Söder hat die jetzt beschlosse­nen Maßnahmen salopp als „Einladung“an die Bürger bezeichnet, sich gemeinsam gegen Corona zu stemmen. Tatsächlic­h zieht er die Daumenschr­auben noch ein Stück weiter an.

Das Grundgeset­z schützt die eigene Wohnung

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