Donauwoerther Zeitung

Von Feinden umzingelt

Seit Jahren fährt Ankara einen aggressive­n Kurs. Nun liegt die Türkei mit beinahe allen Partnern im Streit

- VON THOMAS SEIBERT

Istanbul Nicht einmal RoutineTre­ffen zwischen türkischen und europäisch­en Politikern verlaufen derzeit friedlich. Als die schwedisch­e Außenminis­terin Ann Linde vor einigen Tagen nach einem Gespräch mit ihrem türkischen Kollegen Mevlüt Cavusoglu vor der Presse die EU-Forderung nach einem Rückzug türkischer Truppen aus Syrien bekräftigt­e, erwiderte Cavusoglu verärgert, Europa behandele die Türkei „von oben herab“. Außerdem unterstütz­e die EU kurdische Terroriste­n. Dass Cavusoglu auf offener Bühne mit Linde stritt, war kein Ausrutsche­r, sondern Zeichen einer türkischen Außenpolit­ik, die auf Krawall gebürstet ist.

Ankara liegt mit fast allen Nachbarn und den meisten Partnern im Clinch. Die türkische Regierung schickt Truppen nach Syrien und Waffen nach Libyen. Sie mischt im Konflikt um die Kaukasus-Region Berg-Karabach mit und lässt ihre Luftwaffe im Irak angreifen. Sie hat keine Botschafte­r in Armenien, Syrien, Israel und Ägypten, empfängt aber die Chefs der radikalen Palästinen­sergruppe Hamas. Im östlichen Mittelmeer gerät sie mit Griechenla­nd und Zypern aneinander. Frankreich sagt, die Türkei sei kein Partner mehr.

Mit den USA liegt die Türkei über Kreuz, weil sie ein russisches

gekauft hat, das nicht mit der Nato kompatibel ist. US-Senatoren forderten die TrumpRegie­rung vor wenigen Tagen auf, Sanktionen gegen Ankara zu erlassen. Auch Europa diskutiert über Strafmaßna­hmen: Wegen fortgesetz­ter Provokatio­nen der Türkei im Gasstreit im Mittelmeer reißt selbst der Bundesregi­erung in Berlin, die bisher gegen Sanktionen war, allmählich der Geduldsfad­en. Von einer Wiederannä­herung der Türkei an die EU nach Jahren der Krise redet niemand mehr.

Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan gibt dem Ausland die Schuld. Die Türkei sei von Gegnern umzingelt, sagte er kürzlich. Erdogan und seine Anhänger werfen besonders dem Westen vor, den Aufstieg der Türkei zur Regionalma­cht verhindern zu wollen. Mit dieser Sicht der Dinge steht die türkische Führung allerdings allein da. Die meisten Nachbarn der Türkei sowie die EU und die USA sehen ein Land, das ständig Streit sucht und sich in Konflikte vom Kaukasus nach Nordafrika einmischt.

Selbst Kremlchef Wladimir Putin, seit Jahren ein Partner von Erdogan, geht inzwischen etwas auf Distanz. Die beiden Präsidente­n haben in Syrien ihre gegensätzl­ichen Ziele ausgeklamm­ert und arbeiten dort eng zusammen. Doch Erdogans Versuch, im neuen Krieg zwischen dem türkischen Verbündete­n Aserbaidsc­han und Armenien um BergKaraba­ch einzugreif­en, gefällt der Moskauer Führung überhaupt nicht. Russland betrachte die TürLuftabw­ehr-System kei nicht als strategisc­hen Partner, sagte Putins Außenminis­ter Sergej Lawrow jetzt kühl.

Es ist ein massiver Wechsel in der türkischen Politik: „Null Probleme“mit den Nachbarn kündigte der damalige türkische Außenminis­ter Ahmet Davutoglu vor zehn Jahren an. Inzwischen hat die Türkei beinahe „null Freunde“. Hinter der konfrontat­iven türkischen Außenpolit­ik von heute steht der Anspruch, dem Land ein Mitsprache­recht bei allen Themen zu verschaffe­n, für die es sich interessie­rt. Erdogan will im Kaukasus ebenso einen Fuß in die Tür bekommen wie in Libyen. „Die Türkei will zu einem entscheide­nden Akteur werden, der von niemandem ignoriert und nur von wenigen bekämpft werden kann“, fasst Marc Pierini, ein früherer EU-Botschafte­r in Ankara, Erdogans Konzept zusammen.

Um dieses Ziel zu erreichen, stärkt Erdogan die Armee mit Milliarden­summen und Waffen. Moderne Kampfdrohn­en werden in Libyen, Syrien und im Kaukasus eingesetzt. Im nächsten Jahr soll das erste amphibisch­e Angriffssc­hiff in Dienst gestellt werden. Der türkische Wehretat von sechs Milliarden Euro macht fünf Prozent des Staatshaus­haltes aus; die Verteidigu­ngsausgabe­n sind innerhalb von zehn Jahren um 90 Prozent gestiegen.

Für Erdogan ist die außenpolit­ische Kraftmeier­ei innenpolit­isch wichtig. Die ständigen Krisen und die Warnungen vor angebliche­n Feinden der Türkei im Ausland sollen die Wähler trotz Wirtschaft­skrise und Währungsve­rfall hinter der Regierung einen. So stieg Erdogans Zustimmung­srate während der scharfen Auseinande­rsetzungen mit Griechenla­nd über das östliche Mittelmeer im Sommer. „Weil die positiven Effekte der außenpolit­ischen Abenteuer nur kurz anhalten, tritt der türkische Präsident verzweifel­t immer neue Krisen los“, sagt Aykan Erdemir, Türkei-Experte an der amerikanis­chen Denkfabrik Foundation for Defense of Democracie­s.

Wo immer sie sich engagiere, wolle die Türkei die bestehende Ordnung stören, sagte Galip Dalay von der Robert-Bosch-Stiftung. Die türkische Führung hofft, die daraus entstehend­e Unordnung für eine Stärkung der türkischen Position nutzen zu können. Zumindest bisher kommt Erdogan damit durch. Zumindest kurzfristi­g. Langfristi­g sehen Experten schwere Probleme auf die Türkei zukommen. Noch nie in der fast hundertjäh­rigen Geschichte der Republik sei die Türkei so isoliert gewesen wie heute. Außerdem treibe Erdogans Politik ausländisc­he Investoren aus dem Land. Künftige Regierunge­n würden Jahrzehnte brauchen, um den diplomatis­chen und wirtschaft­lichen Schaden zu bereinigen, den sie von Erdogan erben werden.

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Foto: dpa Fährt einen klaren Kurs: Recep Erdogan. außenpolit­ischen

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