Donauwoerther Zeitung

Wieso steigen die Infektione­n so stark?

Die Situation ist nun komplizier­ter als zu Beginn der Corona-Krise. Der Freistaat nimmt mittlerwei­le Patienten aus Tschechien auf, bleibt beim Übernachtu­ngsverbot aber streng

- VON CHRISTOF PAULUS

Ulm/München Die Corona-Pandemie ist nicht vorbei – im Gegenteil. Steigende Fallzahlen im gesamten Bundesgebi­et sowie immer mehr lokale Risikogebi­ete zeigen, dass Deutschlan­d mitten in einer zweiten Infektions­welle steckt. Am Donnerstag meldete das Robert-KochInstit­ut 6638 Neuinfekti­onen – so viele wie nie zuvor seit Ausbruch der Pandemie. Teils hatten Mediziner das vorausgesa­gt, dennoch überrascht die aktuelle Dramatik – vor allem angesichts der Maßnahmen, die den Verlauf der Pandemie eindämmen sollen.

Nach Einschätzu­ng von Dietrich Rothenbach­er, Leiter des Instituts für Epidemiolo­gie der Universitä­t Ulm, ist die Situation aktuell „besorgnise­rregend“. Er sagte unserer Redaktion: „Es wird den Gesundheit­sämtern bald nicht mehr möglich sein, Kontaktper­sonen schnell zu verfolgen.“Die Lage sei „sehr viel schwierige­r zu kontrollie­ren als im Frühjahr“, da nun nicht mehr nur einzelne Infektions­herde entstünden, die leichter zu isolieren sind. Stattdesse­n hätten sich in den vergangene­n Monaten die infizierte­n Personen immer weiter über das gesamte Bundesgebi­et verteilt, sodass die Zahlen auch in der Fläche stiegen. Dass sie das nun – anders als im Sommer – trotz geltender Vorsichtsm­aßnahmen tun, liege nur zu einem sehr kleinen Teil daran, dass die Länder mehr testen.

Zwar stiegen bundesweit im Laufe der Zeit die Testzahlen von anrund 300000 auf über eine Million pro Woche. Jedoch ist die Gesamtzahl an Tests seit einigen Wochen kaum verändert – die positiven Ergebnisse haben sich aber seit Anfang September verdreifac­ht. Der Anteil positiver Tests betrug im Sommer 0,6 Prozent, inzwischen ist er auf 2,5 Prozent gestiegen.

Die Bayerische Staatsregi­erung hat deswegen nun schärfere CoronaRege­ln beschlosse­n. „Das Virus wird uns – so fürchte ich – den ganzen Winter beschäftig­en“, sagte Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) am Donnerstag in München. „Corona ist kein Krieg, sondern eine Geduldssac­he, eine echte Geduldssac­he“, betonte er aber auch. „Wenn wir mit ein bisschen Disziplin arbeiten, ersparen wir uns Schlimmere­s.“Mitmachen müsse dafür jeder Einzelne.

Zum umstritten­en Beherbergu­ngsverbot für Reisende aus Corona-Hotspots äußerte sich Söder ebenfalls. In Bayern bleibt das Übernachtu­ngsverbot bis auf Weiteres in Kraft. Die Regelung soll aber bis nach den Herbstferi­en regelmäßig überprüft werden, etwa in Hinblick auf die weitere Entwicklun­g von Risikogebi­eten und das Vorgehen anderer Bundesländ­er – und mit Blick auf zwei Urteile in Baden-Württember­g und Niedersach­sen. Denn in Baden-Württember­g setzte der Verwaltung­sgerichtsh­of in Mannheim das Verbot außer Vollzug, weil es ein unverhältn­ismäßiger Einschnitt in das Grundrecht auf Freizügigk­eit sei. Auch in Niedersach­sen erklärte das Oberverwal­tungsgeric­ht Lüneburg das Verbot für rechtswidr­ig. Beide Entscheidu­ngen sind nicht anfechtbar. In Sachsen kündigte die Regierung nach einem Gespräch mit Landräten und Bürgermeis­tern an, die Regelung ab Samstag aufzuheben. Und auch das Saarland streicht das Beherbergu­ngsverbot.

Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpr­äsidenten der Länder hatten bei ihren Beratungen am Mittwoch in Berlin keine Einigkeit zu den Beherbergu­ngsverbote­n erzielen können und einen Beschluss bis nach den Herbstferi­en vertagt. Bayerns Wirtschaft­sminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) drang am Donnerstag in München darauf, dass bei den nächsten Beratungen am 8. oder 9. November „eine bundesweit tragfähige Lösung für alle kommt, die aber auch der Situation angemessen ist“. Söder befangs tonte grundsätzl­ich: „Es ist keine gute Zeit, kreuz und quer durchs Land zu reisen.“

Trotz der massiv steigenden Corona-Infektione­n in Österreich und Tschechien will Bayern die Grenzen offen halten. Söder kündigte aber Gespräche über ein „Test-Management“im Grenzraum an. So solle geprüft werden, wie etwa mit Tests für Grenzpendl­er verfahren werden könne. Er betonte, dass ihm die Lage in den Nachbarlän­dern große Sorgen bereite und er darüber „in den nächsten Wochen“auch mit dem tschechisc­hen Ministerpr­äsidenten Andrej Babis sprechen wolle. Das Land hatte Bayern um Hilfe bei der Behandlung von Corona-Intensivpa­tienten gebeten, die nun im Freistaat aufgenomme­n und medizinisc­h versorgt werden.

Deutschlan­dweit infizierte­n sich im Schnitt zuletzt 34 Menschen pro 100000 Einwohner binnen einer Woche mit dem Virus. Das RobertKoch-Institut führt einen Teil der Infektione­n nach wie vor auf Reiserückk­ehrer zurück – jedoch weit weniger als in der Urlaubssai­son. Auch private Feiern verursacht­en viele Infektione­n.

Eine große Rolle bei der Übertragun­g von Coronavire­n spielen Aerosole, kleine Partikel, die sich in der Luft verteilen. Durch sie ist eine Übertragun­g über größere Abstände möglich, nämlich dann, wenn viele Personen in unzureiche­nd belüfteten Innenräume­n zusammenko­mmen – ein Szenario, das vor allem in den kalten Monaten des Jahres auftritt.

(mit dpa, sari)

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Foto: dpa Die höhere Zahl an Tests erklärt nicht den Anstieg der Infektions­zahlen.

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