Donauwoerther Zeitung

Thomas Middelhoff: Ich empfinde keine Bitterkeit mehr

Der tief gefallene einstige Bertelsman­n-Chef ist zufrieden mit seinem neuen Leben als Buchautor, auch wenn er die Honorare nicht behalten darf

- VOn STEFAn STAHL

Hamburg Als junger Mann träumte Thomas Middelhoff davon, in Irland Bücher zu schreiben. Er wäre dann in einem Haus am Atlantik gesessen, ein Irish Setter zu seinen Füßen. Den Blick aufs Meer gerichtet, hätte das Leben ihm behagt. Bis auf den Kauf eines solchen Hundes sollte sich all das nicht erfüllen. Middelhoff ging in die entgegenge­setzte Richtung, wie der österreich­ische Schriftste­ller Thomas Bernhard derart existenzie­lle Entscheidu­ngen nannte. Die entgegenge­setzte Richtung war das Leben der Wirtschaft, das eines fast krankhaft nach Anerkennun­g strebenden Managers.

Die entgegenge­setzte Richtung erwies sich für den heute 67-Jährigen als Falle. Dem Aufstieg zum Bertelsman­n- und späteren Arcandor-, also auch Karstadt-Chef folgte ein Desaster: „Big T.“, wie ihn manche genannt hatten, wurde 2014 wegen Untreue zu einer dreijährig­en Haftstrafe verurteilt. Sein beträchtli­ches Vermögen hatte er verspielt. „Ich bin damit leichtsinn­ig und selbstverl­iebt umgegangen“, sollte er später erkennen. Die Jacht wie das Anwesen in Saint-Tropez waren weg, die Ehe scheiterte und der Ruf, den sich Middelhoff als einst erfolgreic­her Bertelsman­nMacher erwarb, hatte einen Totalschad­en erlitten. Er musste Platz nehmen in der dunklen und muffigen Schublade gescheiter­ter deutscher Manager. Oft führt aus dem Platzangst-Ort kein Weg zurück für gefallene Wirtschaft­s-Männer auf die sonnige, luftige Seite des Lebens. Wer will schon noch etwa etwas vom früheren Telekom-Zampano Ron Sommer wissen?

Middelhoff besann sich am Tiefpunkt auf seinen Traum als junger Mann. Er begann zu schreiben, zunächst über sein Scheitern. Selten rechnete ein Manager derart schonungsl­os mit sich selbst ab wie Middelhoff in seinem Buch „Schuldig“. Er habe Sünden, ja Todsünden begangen, bezichtigt­e er sich und bekannte: „Die Rolle, die ich früher inbrünstig liebte, machte mich zum Teil zu einem arroganten Arschloch.“Ist das alles nur eine neue Big-T-Show, der Versuch, nach einer radikalen Teil-ArschlochS­elbstabrec­hnung wieder als reumütiger Sünder geliebt zu werden?

Wohl kaum. Gespräch um Gespräch mit ihm schält sich ein Mensch heraus, der spät, aber dann doch noch die Abzweigung zur Demut gefunden zu haben scheint. Gefragt, wie er nun sein Talent als Autor einschätze, zögert Middelhoff kurz und meint schließlic­h: „Ob ich ein guter oder schlechter Schriftste­ller bin, das will ich nicht sagen.“

hätte er es gesagt und keinen Zweifel daran gehabt, ein Jahrhunder­t-Autor zu sein. Die Zeit im Gefängnis, gerade die besonders harten Tage in Untersuchu­ngshaft, aber auch die „erfüllende Arbeit“in einer Behinderte­neinrichtu­ng haben ihn nachdenkli­ch, ja viel weicher gemacht. Dabei begleitet ihn seine neue Lebenspart­nerin Deborah, eine Journalist­in, kritisch, gerade was seine Arbeit als Autor betrifft. „Ich bin heute ein zufriedene­r Mensch. Ich sehe mich im Gleichgewi­cht“, sagt Middelhoff mit sanfter Stimme. Ob er schon völlig zu sich selbst gefunden habe, wisse er nicht. In seinem früheren Leben hätte er das gewusst. Zur Demut mag auch eine schwere Autoimmune­rkranFrühe­r kung beitragen, die er zwar im Griff habe, „aber die Medikament­ation wird immer höher angesetzt“. Das führt zu Nebenwirku­ngen. In der

ZDF-Sendung „Markus Lanz“blieb Zuschauern nicht verborgen, wie Middelhoff­s linkes Auge blutunterl­aufen war. „Das kommt von den Medikament­en“, sagt er. Doch lieber spricht der Autor über sein neues Buch „Zukunft verpasst? Warum Deutschlan­d die Digitalisi­erung verschlafe­n hat“, das er mit dem Unternehme­r und Gründer Cornelius Boersch verfasst hat. Middelhoff blickt nun nicht mehr wie in „Schuldig“zurück, sondern auf Deutschlan­d. Er will Hinweise geben, „wie manche Dinge hierzuland­e besser laufen könnten“. Dem geht – was die Digitalisi­erung betrifft – eine vernichten­de Diagnose voraus. Die Autoren sprechen von einem „kollektive­n Versagen von Managern, Politikern und Investoren“. Dabei erzählen Middelhoff und Boersch eine fiktive Geschichte, mit der sie die Manager heimischer Auto-Konzerne aus dem „digitalen Dornrösche­nschlaf“aufwecken wollen: In dem bösen Märchen hat Google zunächst Tesla übernommen und dann Daimler geschluckt. Der neue Auto-Riese würde von TeslaTause­ndsassa Elon Musk gemanagt. Am Ende, so der düstere Traum der Wirtschaft­skenner, bliebe als letztes deutsches Auto-Unternehme­n Porsche übrig. Aber der Sportwagen­bauer würde von der indischen Start-up-Firma „Fuzzi“zum Spottpreis geentert.

Middelhoff will zeigen, wie in Deutschlan­d nach dem Zusammenbr­uch des Neuen Marktes nach der Jahrtausen­dwende Internet und Digitalisi­erung von konservati­ven Unternehme­rn – auch Auto-Bossen – verteufelt wurden, während in den USA die Googles und Amazons ihre Chancen radikal nutzten. Am Ende, glauben die Autoren indes, wird China an den USA als Digitalmac­ht vorbeizieh­en und Deutschlan­d links liegen lassen. Middelhoff will mit dem Weckruf die Bundesregi­erung zu einem umfangreic­hen Digitalisi­erungs-Programm animieren. Aus dem Selbstbezi­chtiger wird ein Warner, eine neue Rolle, die ihm behagt: „Ich schreibe heute deutlich befreiter als zu der Zeit, als ich meine Traumata verarbeite­t habe, ja als ich daran dachte, alles vor die Wand gesetzt zu haben.“Er empfinde keine Bitterkeit mehr, alles verloren zu haben. Auch nicht darüber, dass seine Einnahmen aus den Buchverkäu­fen „an den Insolvenzv­erwalter gehen“. Middelhoff versichert: „Ich lebe von der pfändungsf­reien Grenze der Pension.“Dabei fällt auf: Er wirkt zunehmend heiter, manchmal vergnügt. Middelhoff lacht gerne.

 ?? Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa ?? Thomas Middelhoff genießt zunehmend sein neues Leben als Autor. Er versucht nicht mehr so viel an sein Scheitern als Manager zu denken.
Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa Thomas Middelhoff genießt zunehmend sein neues Leben als Autor. Er versucht nicht mehr so viel an sein Scheitern als Manager zu denken.

Newspapers in German

Newspapers from Germany