Donauwoerther Zeitung

Wenn sich der Fußball entfremdet

Selbst als wieder Fans in die Stadien durften, konnten die Klubs nicht alle Tickets verkaufen. Angst vor Corona und fehlende Stimmung sind Gründe dafür. Aber auch die Identifika­tion schwindet mehr und mehr

- VON MARCO SCHEINHOF

Augsburg Beim ersten Mal hat es etwas gedauert. Als klar war, dass der FC Augsburg für das Heimspiel gegen Borussia Dortmund 6000 Zuschauer in der WWK-Arena würde begrüßen können, waren die Tickets nicht so begehrt, wie einige vielleicht gedacht hatten. Es brauchte ein paar Tage, bis die Partie ausverkauf­t war. Die darauf folgenden Heimspiele gegen Leipzig und Mainz waren deutlich nachgefrag­ter, die Eintrittsk­arten waren schnell vergriffen. Dumm nur, dass zumindest gegen Leipzig das Gesundheit­samt der Stadt Augsburg entschied, dass wegen der besorgnise­rregenden Entwicklun­g der Coronafäll­e keine Zuschauer zugelassen sind. Die Tribünen werden also leer sein, dabei hatte die Teilzulass­ung doch Hoffnung auf eine langsame Rückkehr zur Normalität gemacht. Doch davon ist nicht nur der Fußball weiterhin deutlich entfernt.

Richtig Probleme, die Stadien zu füllen, gab es andernorts. In Stuttgart wären gegen Bayer Leverkusen 12000 Zuschauer zugelassen gewesen, am Ende kamen nur 9500 Fans. Nun wäre es ungerecht, das am vermeintli­ch unattrakti­ven Gegner aus Leverkusen festzumach­en. Eine Liga tiefer in Hannover gab es nämlich eine ähnliche Problemati­k, als sich nur 7300 Fans das Derby gegen Braunschwe­ig anschauen wollten, wobei doch 9800 Zuschauer zugelassen waren. Dafür hatten sich mehrere hundert Fans vor dem Stadion

versammelt, um gemeinsam zu feiern. An der Attraktivi­tät der Begegnung kann es dort nicht gelegen haben. Hat Corona aber dafür gesorgt, dass das Liveerlebn­is im Stadion nicht mehr erstrebens­wert ist?

„Distanz zu wahren, ist gerade für Ultras wenig attraktiv. Dicht gedrängt zu stehen, zusammen zu jubeln und sich zu umarmen – das Stadionerl­ebnis fehlt“, sagt Fan-Forscher Gunter Pilz. Es ist wohl eine Mischung aus Angst vor einer Ansteckung und die fehlende Atmosphäre, die viele Leute von einem Stadionbes­uch abhält. Wobei zumindest in Augsburg die Erfahrung gemacht wurde, dass nach dem Spiel gegen Dortmund die anfänglich­e Skepsis gewichen war. „Wir haben von unseren Fans, die beim BVBSpiel waren, enorm viele positive Rückmeldun­gen zu unserem Konzept erhalten“, sagt Michael Ströll, der kaufmännis­che Geschäftsf­ührer beim FC Augsburg. All das hilft jetzt nichts, wenn an immer mehr Orten wieder Geisterspi­ele stattfinde­n. Auch für die Spieler ist das nach wie vor schwierig, kann eine begeistern­de Stimmung doch für bessere Leistungen sorgen. So aber herrscht Tristesse.

Doch was sagen die Fans selbst? Hans Martin vom Fanklub FCAFans Nordschwab­en war beim Spiel gegen Dortmund dabei. „Das Hygienekon­zept war vorbildlic­h, ich habe mich von Anfang an sicher gefühlt. Die Leute haben sich auch alle an die Maßnahmen gehalten“, sagt er. Auch für den Samstag hätte Martin wieder eine Eintrittsk­arte gehabt. Die Geisterspi­ele, die er im Fernsehen verfolgt hat, haben ihm gar nicht gefallen. „Fußball ohne Fans, das ist nichts“, sagt er. Seit 1973 geht er zum FCA, sein erstes Spiel war ein 6:2 gegen den VfR Heilbronn. Eine lange, heiße Liebe also, die auch in Zeiten von Corona und einer vermeintli­chen Entfremdun­g der Fans nicht erkaltet ist.

Das ist bei einigen Fans anders. Auch wenn viele Vereine sowie die Deutsche Fußball-Liga (DFL) stets davon sprachen, dass die Fan-Rückkehr ein wichtiger Teil der Existenzsi­cherung der Vereine sei, kam die teilweise Öffnung der Stadien nicht bei allen gut an. „Es gibt viele Fans, die sagen: Warum muss der Fußball weiterhin laufen? Warum steht nicht die Bekämpfung der Pandemie an erster Stelle?“, sagt Jost Peter vom Fan-Bündnis „Unsere Kurve“. Zumal immer mehr Fans eine Fehlentwic­klung im Profifußba­ll feststelle­n. Er sei zu einem reinen Geschäftsm­odell gekommen, das Geld stehe über allem. Es fällt vielen Menschen leichter, sich vom

Fußball abzuwenden. Das zeigt sich nicht nur im Stadion, sondern auch bei den Einschaltq­uoten, die sinken.

Die Identifika­tion sei teilweise verloren gegangen, sagt Mario Riedel vom Ulrich-Biesinger-Tribüne e.V. Die Pandemie hätte eine Chance sein können, auch im Fußball alles auf Null zu stellen. „Das aber wurde verpasst“, sagt Riedel. „Gerade während des Lockdowns hatte die Mehrheit kein Verständni­s für das Gebaren der Profiverei­ne. Die kommerzial­isierte, hässliche Fratze des Fußballs hat sich in diesem Fall für alle gezeigt“, sagt Riedel. Nämlich durch den unbedingte­n Wunsch, weiter spielen zu können. Andernfall­s hätte einigen Klubs durch das Fehlen der TV-Gelder das finanziell­e Aus gedroht. Durch das überlegte Wirtschaft­en der vergangene­n Jahre stand und steht der FCA besser da als einige Konkurrent­en. „Dafür muss man dankbar sein“, sagt Riedel. Und doch vermisse er in der Diskussion um Änderungen im Fußball auch in Augsburg klare Taten.

Vor allem die Ultras des FCA haben von Anfang an gesagt, dass sie auch bei einer Teilöffnun­g nicht ins Stadion kommen werden. „Das ist nicht der Fußball, den sie sich vorstellen“, sagt Riedel. Ein anderer Teil des Ulrich-Biesinger-Tribüne e.V. ist froh, dass überhaupt wieder ein Spiel vor Zuschauern stattfinde­n konnte. Als Abwechslun­g vom Alltag in der schwierige­n Zeit.

Fan-Forscher Pilz geht davon aus, dass nach der Rückkehr zur Normalität auch wieder die Fans ins Stadion kommen. „Ich bin davon überzeugt, dass Fanbegeist­erung und Leidenscha­ft ausgeprägt genug sind“, sagt er. Was aber können die Vereine tun? „Ich glaube, es gibt keine Zauberform­el, die jetzt wieder mehr Menschen ins Stadion lockt. Letztendli­ch entscheide­n die Fans“, sagt Pilz. DFL-Geschäftsf­ührer Christian Seifert gibt zu: „Ein ausverkauf­tes Stadion ist sicherlich kein Beleg für die gesellscha­ftliche Verankerun­g des Fußballs. Vielleicht haben wir das so gesehen und es uns damit zu leicht gemacht.“

Gerade den Ultras fehlt das Stadionerl­ebnis

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Die Stehplatzt­ribüne in der WWK‰Arena war auch im Heimspiel gegen Borussia Dortmund leer, obwohl 6000 Zuschauer ins Stadion durften. Nun am Samstag gegen Leipzig werden alle Tribünen leer sein. Für viele Fans ist das schade, andere dagegen wollen derzeit ohnehin nicht ins Stadion.
Foto: Ulrich Wagner Die Stehplatzt­ribüne in der WWK‰Arena war auch im Heimspiel gegen Borussia Dortmund leer, obwohl 6000 Zuschauer ins Stadion durften. Nun am Samstag gegen Leipzig werden alle Tribünen leer sein. Für viele Fans ist das schade, andere dagegen wollen derzeit ohnehin nicht ins Stadion.

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