Lieder voll schmerzlicher Schönheit
Bariton Manuel Kundinger und Pianist Stéphane Bölingen nehmen ihr Publikum mit auf Franz Schuberts „Winterreise“. Es erlebt einen Wanderer zwischen Hoffnung und Todessehnsucht
Donauwörth Die Tage werden kürzer und die Schatten werden länger. Herbstliche Melancholie liegt über der grauen Landschaft. Es ist jene Endzeitstimmung, in der Franz Schuberts unsterblicher Liederzyklus „Die Winterreise“seinen Schmerz besonders gut entfaltet. Wer zu Trübsal neigt, versinkt schon mal in schwermütigen Gedanken.
Nicht anders ergeht es dem Wanderer in der „Winterreise“. Nachdem ihn seine Geliebte verlassen hat, treibt ihn der Kummer aus der Stadt, in der er ohnehin nie wirklich Fuß gefasst hat. Er ist fremd eingezogen und zieht ebenso fremd wieder aus.
Doch wohin es ihn auch verschlägt: Er kann vor dem eigenen Ich nicht fliehen. Seine Reise durchs Land ist gleichsam eine Seelenreise. Ein steter Wechsel der Gefühle wirft ihn hin und her – zwischen Verbitterung und Hoffnung, süßer Erinnerung und verzweifelter Todessehnsucht. Die winterliche Landschaft bildet dazu seine eigene innere Erstarrung ab, denn die wenigen glücklichen Momente, die schemenhaft aufflackern, sind Illusion und nicht geeignet, sein Herz zu erwärmen.
Schubert hat diesen Liederzyklus 1827 vollendet, von schwerer
Krankheit ans Bett gefesselt – nur ein Jahr vor seinem Tod; nach Texten des Dichters Wilhelm Müller und ganz bewusst in düsterer Stimmung. Der Komponist selbst sprach von „schauerlichen Liedern“.
Diese Atmosphäre braut sich zusammen, als Bariton Manuel Kundinger und Pianist Stéphane Bölingen Franz Schuberts „Winterreise“ins warm illuminierte Foyer des Enderlesaals holen. Die Zuhörer sind aus der klammen Witterung des frühen Abends in diesen kammermusikalisch-intimen Raum geströmt und begleiten das Duo nun auf dessen Weg durch 24 Lieder. Auch wenn dem Zyklus keine Handlung zugrunde liegt, wandert das Publikum doch von Station zu Station mit: hier ein Dorf, dort eine Straße, dann ein Wegweiser und ein Wirtshaus.
Diese Winterreise ist aufwühlend, packend und unmittelbar. Sie ist nie wirklich leise. Manuel Kundinger nähert sich dem lyrischen Ich kraftvoll agierend an. Er ist kein weinerlich-lamentierender Wanderer. Er ist einer voll lauter Verzweiflung, der versucht, sich gegen sein Schicksal aufzulehnen, unterbrochen von einzelnen Momenten der Resignation und nur schwachen, ja flüchtigen Momenten, in denen süße Erinnerung seine Lippen streift.
Die Gäste erleben einen trittsicheren jungen Bariton mit nobler Gesangskultur und betörend schöner Stimme. Er führt sie klar, bestens akzentuiert und gerne opernhaft, um der Tiefe der Gefühle Ausdruck zu verleihen. Seine dramatisch aufgeladene Interpretation ist mitunter affektbetont. Nicht nur im musikalischen Duktus, sondern auch mit Gestik und Mimik, ja Körperspannung gibt er seinem Wanderer etwas schmerzhaft Lebendiges.
Kundinger lebt leidenschaftliche Intensität etwa in „Erstarrung“ („Ich such im Schnee vergebens nach ihrer Tritte Spur“), er gestaltet brillant die Vielfalt und Tiefe der romantischen Komposition im „Lindenbaum“, der ihn fordert zwischen lauter Gegensätzen: Dur und Moll, feinem Legato und ekstatischen Synkopen, Entrücktheit und Aufregung. Die Brüche innerhalb der Lieder geben ihm kaum Gelegenheit, im Klang zu baden. Sie fordern höchste Präsenz und Wandlungsfähigkeit.
Mit dem Pianisten Stéphane Bölingen hat Kundinger einen langjährigen Partner am Flügel, mit dem er sich blind versteht und der ihm kongenial zur Seite steht. Einen, der sich einerseits als behutsamer, sensibler Begleiter zurücknimmt, andererseits auch eigene Akzente setzt und beherzt in die Tasten langt. Ganz so, wie Schubert die Gleichrangigkeit von Klavier und Gesang begreift.
Es ist schwere Kost, die die Interpreten mit der depressiven Düsternis der „Winterreise“vorsetzen. Indes sind es die ergreifende Schönheit der Schubert’schen Kompositionen und deren berührende Interpretation durch Kundinger/Bölingen, die das Publikum am Ende beglückt nach Hause gehen lassen – weniger mit „getrockneten Tränen“im Gesicht, denn mit einem entrückten Lächeln.