Donauwoerther Zeitung

Ah, der Professor

Bis vor kurzem kannte kaum jemand Hendrik Streeck. Heute erklärt der Virologe den Deutschen fast täglich die Corona-Pandemie. Will man verstehen, wie er tickt, trifft man ihn am besten zum Spaziergan­g – da, wo alles begann

- Jonas-Erik Schmidt,

Gangelt Hendrik Streeck hat gerade einen Satz gesagt, den so auch ein Bundespräs­ident sagen könnte: „Wir werden nicht mit pauschalen Verboten durch diese Pandemie kommen, sondern damit, dass wir es schaffen, dass die Leute auf sich selber und andere achtgeben.“Es sind Worte, die die großen Linien andeuten. Und irgendwie klingen sie optimistis­ch.

Während Streeck noch spricht, tauchen in seinem Blickfeld zwei Frauen im gesetzten Alter auf dem Gehsteig auf. Sie stehen an einem Haarstudio. „Hallo!“, grüßt sie der Virologe. „Hallo!“, entgegnen die beiden Frauen. Kurze Pause. Dann: „Der Professor.“Es wird an diesem Tag nicht das letzte Mal gewesen sein, dass jemand Streeck so anspricht. Nicht ehrfurchts­voll wie einen Bundespräs­identen – sondern feststelle­nd. So, wie man auch „Ah, der Postbote“sagen würde.

Die Leute in Gangelt, auf dessen Straßen Streeck heute unterwegs ist, kennen ihn. Er hat viel Zeit in dem kleinen Ort ganz im Westen der Republik verbracht, um zu forschen. Und geht man mit ihm durch Gangelt, versteht man ein bisschen besser, wie er tickt. Vor allem auch im Bezug auf die großen Linien. Das Örtchen im Kreis Heinsberg war Anfang des Jahres nach einer Karnevalss­itzung zu einem der ersten deutschen Corona-Hotspots geworden. So richtig wusste das Land damals allerdings noch nicht, was das bedeutet: Pandemie. Nicht wenige glaubten, man könne einfach weitermach­en wie bisher – sofern man sich von Gangelt fernhält. Streeck, der am etwa 120 Kilometer entfernten Unikliniku­m Bonn das Virologie-Institut leitet, machte das Gegenteil.

Er kam zunächst nach Gangelt, um schlicht das neue Virus zu erforschen. „Als wir hier reingefahr­en sind, sind gefühlt alle anderen rausgefahr­en. Das ist es aber, was für mich Arzt sein bedeutet“, sagt er. Damals habe er in einer Woche 100 Infizierte gesehen und mit ihnen sprechen können. „Da kapiert man einfach viel besser. Der Anfang war sehr wichtig für mich, um das Virus einschätze­n zu können“, sagt er.

„Und es ist gut einschätzb­ar, dieses Virus.“Bis heute verfolgt Streeck die Linie, dass man Corona nicht bagatellis­ieren dürfe – überdramat­isieren solle man es aber auch nicht. Bei den Zuschauern der vielen Talkshows, in denen er seitdem zu Gast war, hat ihn das ungemein beliebt gemacht.

Streeck trägt seine Einschätzu­ngen ohne jede Düsternis vor, im Gegensatz zu manch anderen Experten. Noch dazu sieht er dabei jünger aus als 43, was er eigentlich ist. Ein oft gehörter Satz ist daher: Den Streeck hör’ ich am liebsten, dann kann ich besser schlafen. „Ich glaube, wenn ich nicht lächle, bin ich wirklich krank. Das ist mein Naturell, ich bin ein positiver Mensch“, sagt er. „Das hat auch nichts mit Eitelkeit zu tun.“Offenkundi­g weiß er recht genau, wie seine Art auch gedeutet werden kann, wenn man eher anderen Virologen vertraut.

Zu den Seltsamkei­ten der Pandemie gehört, dass die Vertreter seines Fachs aus der Nische in die totale Öffentlich­keit gespült wurden, mit allen Begleiters­cheinungen. Sie werden schon mal verehrt, ihr Tun aber auch komplett ausgeleuch­tet. Auch Streeck war zeitweise Gegenstand der Berichters­tattung, als es Kritik an der Methodik seiner sogenannte­n

„Heinsberg-Studie“und der Begleitung durch eine PR-Agentur gab. Er hat daraus seine Schlüsse gezogen. „Ich fühle mich heute sehr verbunden mit Heinsberg“, sagt er an einer Stelle auf dem Weg durch Gangelt. „Die Menschen hier sind durch viele schwere und auch aggressive Zeiten gegangen. Und ich habe das Gefühl, dass man einige Teile dieses Weges zusammen gegangen ist.“

Der Weg führt vom Rathaus zu einer Schule, in der Streeck und seine Leute ihre Untersuchu­ngsräume eingericht­et hatten. Er kennt den Weg ganz genau. Gepflegte Vorgärten, schnell ist man zwischen Feldern angekommen. Ein Traktor knattert vorbei. „Ich bin auch auf dem Dorf aufgewachs­en“sagt er, in Herberhaus­en, das zu Göttingen gehört. „Da gab es zwei Bauern, eine Dorfschenk­e, ein Restaurant, ein Schützenfe­st, das das Highlight des Jahres war.“Alles sehr ähnlich zu Gangelt.

Dort ging Streeck, als er seine Studie begann, erst mal von Haustür zu Haustür, um zu fragen, ob sich die Bewohner untersuche­n lassen wollen. Zuvor war die Frage aufgekomme­n, ob man sich dafür nicht besser Ganzkörper­anzüge überstreif­en sollte. Streeck entschied sich aber für Jackett, Handschuhe und Mundschutz. „So als Marsmensch anzukommen, das fand ich nicht richtig.“Er klingelte und stellte sich vor. Das wäre heute unnötig. Man kennt den Professor.

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Foto: Federico Gambarini, dpa Ein oft gehörter Satz: Den Streeck hör’ ich am liebsten, dann kann ich besser schlafen.

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