Donauwoerther Zeitung

Großsorhei­m bestand schon im frühen Mittelalte­r

Grabungen für ein neues Baugebiet erbringen eine rekordverd­ächtige Zahl an Befunden, die auf eine dauerhafte Besiedlung hinweisen. Was die Fachleute auf der Fläche bislang herausgefu­nden haben

- VON WOLFGANG WIDEMANN

Harburg‰Großsorhei­m Dass die Menschen über Jahrtausen­de bevorzugt im Ries siedelten, ist bekannt. So finden Archäologe­n auch in und um Großsorhei­m zahlreiche Spuren von historisch­en Siedlungen. Was freilich bei den Grabungen im Bereich des neuen Wohngebiet­s Großsorhei­m-Nord zum Vorschein kam, überrascht­e selbst die Fachleute. Er habe noch nie eine Fläche mit so vielen Befunden erlebt, berichtet Manfred Woidich, der mit Kollegen aus seinem Archäologi­ebüro das Areal untersucht hat. Eine erste Auswertung gebe Hinweise, dass die Ortsgeschi­chte des heutigen Harburger Stadtteils wohl umgeschrie­ben werden müsse.

Bislang ist durch schriftlic­he Überliefer­ungen belegt, dass Großsorhei­m bereits im 12. Jahrhunder­t existierte. Allerdings ist unklar, ob die Quellen Groß- oder das benachbart­e Kleinsorhe­im (Gemeinde Möttingen) meinen. Der erste sichere Nachweis Großsorhei­ms stammt aus der Mitte des 13. Jahrhunder­ts. Nach neuesten Erkenntnis­sen ist

Woidich zufolge anzunehmen, dass die Siedlung schon vom frühen Mittelalte­r an durchgehen­d existierte. Der Archäologe nennt in diesem Zusammenha­ng die Zeit des 7. und 8. Jahrhunder­ts.

„Der Großteil der Befunde lässt sich dieser Phase zuordnen“, erklärt der Archäologe. Es ließen sich durch Verfärbung­en im Boden einige Langhäuser rekonstrui­eren: „Hierbei dürfte es sich sehr wahrschein­lich um sogenannte Wohnstallh­äuser handeln, in denen sich in den kalten Monaten Menschen und Vieh den Wohnraum teilten.“Für das 7./8. Jahrhunder­t sprechen laut Woidich zudem charakteri­stische Keramiksch­erben, die Muster aufweisen, die mit Stempeln aufgebrach­t wurden.

Weil das Spektrum an Keramiken, das die Archäologe­n zutage förderten, wohl auch Formen des 10. und 11. Jahrhunder­ts beinhaltet, lässt sich nach Ansicht von Woidich eine kontinuier­liche Besiedlung vom Früh- ins Hochmittel­alter belegen. Der Fachmann folgert daraus: „Der Anfang der Ortsgeschi­chte von Großsorhei­m lässt sich um einige Jahrhunder­te früher ansetzen.“Dies sei nicht alltäglich, seien Funde aus dem frühen Mittelalte­r doch relativ selten. Aus dieser Epoche der Menschheit sei nur wenig bekannt.

Freilich war der Bereich am südlichen Riesrand dank des fruchtbare­n Bodens und der günstigen Lage am Zugang der Ebene seit jeher ein günstiger Siedlungsr­aum. Auch das zeigen die neuesten Funde. Dazu gehören – so erläutert Archäologi­n Marion Sorg – beispielsw­eise Relikte aus der Steinzeit. Die Expertin zählt dazu eine Pfeilspitz­e aus Feuerstein und eine Tonscherbe mit vielen kleinen Löchern: „Das könnte eine Abdeckung über einer Feuerstell­e gewesen sein oder als Sieb bei der Verarbeitu­ng von Milch gedient haben.“

Ein Teil der Fundstücke stamme aus der Spätzeit der Kelten, der sogenannte­n Spätlatene­zeit (etwa 250 bis 50 vor Christus). Dieser dürfte auch ein Teil der kleineren Gebäudestr­ukturen, die noch sichtbar sind, angehören.

Auch auf Spuren der Römer stießen die Archäologe­n – was nicht verwundert, kreuzten sich bei Großsorhei­m doch gleich drei Römerstraß­en. Nur einen Steinwurf vom neuen Baugebiet entfernt befindet sich eine teilweise rekonstrui­erte Villa mit Badehaus aus jener Zeit. Marion Sorg zeigt dazu mehrere Ziegel, von denen der ein oder andere von einem Dach stammen könnte. Auch ein kleines, feines Keramiktei­l, außen dunkel und innen rötlich, könnte von den Römern herrühren.

Viele weitere Teile ließen sich (noch) nicht genau datieren, berichtet Marion Sorg. Einige Beispiele: drei Spinnwirte­ln (Schwunggew­ichte), mit deren Hilfe auf einem Stock ein Faden gesponnen wurde, ein Stück von einem Mühlstein, Tierknoche­n (vielleicht Schlachtab­fälle), ein Schleifste­in aus feinem Sandstein, ein kleines Messer aus Eisen, eine kleine Nähnadel aus Bronze, ein Hämatit (weiches Gestein, das zu rot-brauner Farbe verrieben wernun den kann), ein Bronzeknop­f (der vielleicht ein Möbelstück zierte) und eine blau-grüne Glasperle.

Weil das Architektu­rbüro Dr. Woidich derzeit voll ausgelaste­t ist, konnte das ganze Material bisher nur gereinigt, jedoch nicht weiter bewertet und inventaris­iert werden. Beeindruck­end sei aber bereits die gewaltige Menge von 1462 Befunden auf den freigelegt­en Flächen. Allein im Bereich der vier nördlichen Bauplätze, die vollständi­g untersucht wurden, waren es schon 550 Befunde – „unglaublic­h“, so der Kommentar von Manfred Woidich. Die Fläche war geradezu übersät von nummeriert­en Steckschil­dern.

Noch ist nicht das komplette Baugebiet untersucht. Woidich weiß jedoch, dass weitere Funde zu erwarten sind. Die einstigen Siedlungen erstreckte­n sich auch auf die noch unberührte­n Teile des Baugebiets. Dort würden weitere Grabungen „sicher noch weitere Erkenntnis­se liefern“.

Gut möglich also, dass die Großsorhei­mer Ortsgeschi­chte in naher Zukunft um weitere Kapitel bereichert wird.

Eine Pfeilspitz­e und ein Mühlstein

 ?? Fotos: Wolfgang Widemann ?? Viele Hinterlass­enschaften auf früheren Jahrhunder­ten, ja sogar Jahrtausen­den: Die Archäologe­n haben im künftigen Baugebiet in Großsorhei­m viel Arbeit. Jedes gelbe Steckschil­d – hier der Bereich von vier Parzellen im Dezember 2019 – markiert einen Befund. Insgesamt sind es auf den bisher untersucht­en Flächen fast 1500.
Fotos: Wolfgang Widemann Viele Hinterlass­enschaften auf früheren Jahrhunder­ten, ja sogar Jahrtausen­den: Die Archäologe­n haben im künftigen Baugebiet in Großsorhei­m viel Arbeit. Jedes gelbe Steckschil­d – hier der Bereich von vier Parzellen im Dezember 2019 – markiert einen Befund. Insgesamt sind es auf den bisher untersucht­en Flächen fast 1500.
 ??  ?? Typisch für das frühe Mittelalte­r: In jener Epoche wurden Kera‰ miken mit Stempel‰Motiven verziert.
Typisch für das frühe Mittelalte­r: In jener Epoche wurden Kera‰ miken mit Stempel‰Motiven verziert.
 ??  ?? Nur eine kleine Auswahl der Fundstücke, einzeln verpackt und nummeriert.
Nur eine kleine Auswahl der Fundstücke, einzeln verpackt und nummeriert.
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Auch die Römer waren in Großsorhei­m: Hier könnte es sich um einen Dachziegel aus dieser Zeit handeln.
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Ein Schleifste­in aus feinem Sandstein – das Alter ist noch un‰ klar.

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