Trauen wir uns wieder Schwäbisch schwätzen!
Professor Dr. Klaus Wolf erzählt am 29. Oktober in Rain viel Interessantes zum Thema Sprache. Welche Literatur erklang an den städtischen Höfen der Wittelsbacher?
Rain Professor Dr. Klaus Wolf bekleidet eine Lehrprofessur für Deutsche Literatur und Sprache des Mittelalters und der frühen Neuzeit an der Universität Augsburg. Sein Schwerpunkt ist Bayern. Er lehrt aber nicht nur, sondern hat zudem eine Buchreihe gegründet: „Editio Bavarica“. Darin veröffentlicht er bairische oder in Bayern entstandene und überlieferte Texte als Erst- und Neueditionen. „Das ist wie eine Schatzsuche“, sagt der Professor. Er wird in Bibliotheken fündig, aber auch im Gespräch mit Menschen, die ihn auf längst vergessene Werke aufmerksam machen.
Am Donnerstag, 29. Oktober, 19 Uhr, kommt Klaus Wolf nach Rain ins Bayertor, um dort über folgendes Thema zu sprechen: „Civitas nostra – Die Wittelsbacher und das literarische Leben ihrer Städtegründungen allgemein und Rain im Besonderen“. Wir unterhielten uns vorab mit ihm über die Faszination von Sprache.
Herr Professor Wolf, das Nibelungenlied auf Mittelhochdeutsch beginnt so: „Uns ist in alten maeren wunders vil geseit von helden lobebaeren, von grôzer arebeit, von freuden, hôchgezîten, von weinen und von klagen, von küener recken strîten muget ir nu wunder hoeren sagen.“– Dazu könnte ein Schwabe etwa folgendermaßen sagen: „In alda Gschichda wird uns viels Wunderbare brichded: vo ruhmlanga Helda, vo hardem Schdreid, vo glügglicha Daga“. Beides klingt wie Fremdsprachen. Und doch ist beides Deutsch. Warum ist Sprache so verschieden? Professor Dr. Klaus Wolf: Wenn man beides laut liest, verstehen es zumindest die Schwaben und eigentlich alle Süddeutschen ganz gut. Sprache ist generell verschieden, weil sie sich ständig weiterentwickelt, und zwar von Gegend zu Gegend unterschiedlich. Sprache reagiert auf eine sich verändernde Realität. Sie erneuert sich ständig. Wer hätte vor einem Jahr mit dem Wort Corona etwas anfangen können?
Sie gelten als leidenschaftlicher Verfechter von Sprache, gerade auch von Dialekten. Wie ist es denn um die Dialekte bestellt? Einstmals galten sie als
ungebildet und wurden den Kindern in der Schule mehr oder weniger ausgetrieben. Sind sie nun wieder salonfähig?
Wolf: Mittlerweile sind Dialekte und Mundarten auch Lehrgegenstand an den Schulen, und zwar als eine besondere Sprachform, die wertgeschätzt werden muss. Auch gibt es immer mehr moderne Formen des Dialektgebrauchs, beispielsweise Poetry-Slams in Mundart.
Im Übrigen kann wissenschaftlich nachgewiesen werden, dass Dialektsprecher neben der Hochsprache schon zweisprachig sind. Diese innere Mehrsprachigkeit erleichtert auch das Erlernen von Fremdsprachen. Mundartsprecher sind nicht selten gerade auch die Gebildeten: Schiller schwätzte Schwäbisch, Goethe babbelte Hessisch. Benedikt XVI. redet Bairisch.
Wie sehen Sie die Entwicklung der Sprache heute? Können Sie den Eindruck bestätigen, dass hier – gerade auch durch die Sprechart in digitalen Medien – ein Niedergang stattfindet?
Wolf: Sprache ändert sich immer. Der Verfall der Sprache ist aber auch
schon beklagt worden. Im 18. Jahrhundert hieß es, die Leute verwenden zu viel französische Lehnwörter, heute schaden uns angeblich die Anglizismen. Aber ebenso durch die Kommunikation mittels Smartphone entstehen etwa durch die Kombination von Kurztexten und Bildern neue Gattungen. Goethe schuf mit dem ,Werther‘ einen Briefroman. Vielleicht gibt es bald einen erfolgreichen WhatsApp-Roman? Trotz digitaler Revolution hält sich sogar das gedruckte Buch ziemlich zäh, wie die Verkaufszahlen zeigen. Medienwandel muss also nicht zum Untergang der Literatur führen.
Wenn Sie nach Rain kommen, steht Ihr Vortrag im Kontext der Bayerischen Landesausstellung zu den Wittelsbacher Gründerstädten. Sie bringen Interessantes mit über das Literaturschaffen zu Zeiten der Wittelsbacher. Von welchem Zeitraum sprechen wir da explizit? Und hat sich Literatur damals ausschließlich bei Hofe abgespielt?
Wolf: Mein Vortrag behandelt die Zeit zwischen 1200 und 1400. Da die Höfe und der Adel sich lieber in bequemen Städten als in zugigen Ritterburgen aufhielten, war die Literatur auch in dieser Zeit eher städtisch. Daneben gab es eine reichhaltige klösterliche Literatur.
Gibt es in der ehemals wittelsbachischen Stadt Rain bemerkenswertes Literaturschaffen zu verzeichnen?
Wolf: Von überregionaler Bedeutung ist Johannes Bayer als Jurist und Laienastronom, geboren 1572 in Rain am Lech, gestorben am 7. März 1625 in Augsburg. Auch der universal gelehrte Humanist Georg Tannstetter, der es in Wien zu großer Berühmtheit brachte, stammt aus Rain, wo er 1482 geboren wurde.
Aber Sie kennen sich nicht nur bei den Wittelsbachern aus. Ihr Spektrum an bayerischen Literaten reicht von den Agilolfingern im 8. Jahrhundert über den Kabarettisten und Sprachvirtuosen Gerhard Polt bis zu Michael Ende und Django Asül. Was von all dem erzählen Sie in Rain?
Wolf: In Rain geht es in erster Linie um die Frage, welche Literatur an den städtischen Höfen der Wittelsimmer bacher im Hohen Mittelalter erklang, also der Epoche, auf die sich die Ausstellung in Friedberg und Aichach schwerpunktmäßig bezieht. Tatsächlich hat man ja Minnesang und Heldenepen im 12. und 13. Jahrhundert singend vorgetragen.
Bei Ihrem unglaublichen Spektrum: Haben Sie besondere Vorlieben? Für welche Epoche, welche Stilform oder auch welches konkrete Werk können Sie sich besonders begeistern?
Wolf: Ich habe da keine Vorlieben, denn jedes der 13 Jahrhunderte, die ich in meiner Bayerischen Literaturgeschichte behandle, hat großartige Literatur hervorgebracht. Dabei gibt es sogar viele Dichterinnen erst noch zu entdecken: die schreibenden Schwestern der Bavaria!
Gibt es eine Botschaft, die Sie den Menschen zum Thema Sprache mit auf den Weg geben wollen?
Wolf: Die Vielfalt macht’s! Jeder Dialekt ist auf seine Art schön. Trauen wir uns doch wieder mehr Boarisch red’n und Schwäbisch schwätzen!