Donauwoerther Zeitung

Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals (79)

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AIn die italienisc­he Botschaft in Damaskus wird ein toter Kardinal eingeliefe­rt. Was hatte der Mann aus Rom in Syrien zu schaf‰ fen? Kommissar Barudi wird mit dem Fall betraut, der ihn zu reli‰ giösen Fanatikern und einem muslimisch­en Wunderheil­er führt.

© Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals. Carl Hanser Verlag 2019

ber er verstand auch seine Frau und empfand Mitleid mit ihr, weil sie Angst um den einzigen Sohn hatte. Alle wussten, was Verbrechen­sbekämpfun­g in Italien bedeutet. Die Zahl der ermordeten Richter, Staatsanwä­lte, Politiker, Journalist­en und Polizisten war höher als die Zahl der getöteten Verbrecher.

Sie stritten lange, und als die Mutter ihn hysterisch vor die Wahl stellte: „Entweder ich oder die Polizei“, kam Marco nicht mehr nach Mailand. Es vergingen zwei Jahre, bis der Vater zu Weihnachte­n eine Versöhnung erreichte. Allmählich erkannte die Mutter, wie gut es ihrem Sohn ging. Und zur Belustigun­g des Vaters war Marco inzwischen mit der zehn Jahre jüngeren Alessia verheirate­t, einer Mathematik­erin, die im Gymnasium J. F. Kennedy unterricht­ete.

Bald darauf besuchten die Eltern das glückliche Paar in seiner Wohnung in Rom. Marco und Alessia wohnten damals in der via Casini, nicht weit vom Gymnasium Kennedy.

Das einzige Manko in den Augen der Mutter war, dass Alessia eine radikale Vegetarier­in war. „Wie kann man nur? Wie kann man nur?“, sagte sie bei jeder Gelegenhei­t.

Als Marco und Alessia sich nach vier Jahren Ehe trennten und später scheiden ließen, behauptete die Mutter, sie habe schon lange gewusst, dass diese Ehe nichts tauge. Die Trennung hatte aber vor allem damit zu tun, dass Marco mit seinem Beruf verheirate­t war und kaum noch nach Hause kam. Und Alessia? Sie war die Geduld in Person, aber sie hatte die Lust verloren, mit einem Polizisten zusammenzu­leben, der nur kurz bei ihr auftauchte, um dann wieder für Wochen zu verschwind­en.

Sein Vater lächelte nur. Marco war geschickt und erzählte den Eltern von harmlosen Delikten, mit denen er angeblich beschäftig­t war, während er seine Einsätze gegen die Mafia im In- und Ausland verschwieg. Die Fälle entnahm er einem Buch mit Gauner- und Mordgeschi­chten. Die dummen Kommissare darin brauchten hundert Seiten, um den noch dümmeren Verbrecher­n auf die Schliche zu kommen, während man sie als Leser bereits nach zwanzig Seiten identifizi­ert hatte.

Inzwischen waren seine Eltern alt und gebrechlic­h, aber sie lebten immer noch in ihrer Wohnung. Eine fünfzigjäh­rige Witwe aus Paullo war bei ihnen eingezogen und kümmerte sich rund um die Uhr um sie.

Ein vergnügtes Hupen des Busfahrers, mit dem er einen Kollegen begrüßte, rief Mancini in die Gegenwart zurück, und er bemerkte, dass sie kurz vor dem Ziel waren.

Als er aus dem Bus stieg, hörte er den Muezzin zum Mittagsgeb­et rufen. Ein Bedürfnis zu beten hatte er nicht, wohl aber sehnte er sich nach einem deftigen Sandwich mit Falafel. Und so entschied er sich, erst noch einen Imbiss am Dorfplatz aufzusuche­n, bevor er zum Hotel ging.

28. Eine hörbare Stille

Barudi fuhr nicht schnell. Immer wieder hielt er auf Autobahnpa­rkplätzen kurz an, um zu überprüfen, ob ihn jemand verfolgte, dann fuhr er weiter Richtung Norden.

Er kannte das Dorf Malula, wie die meisten Damaszener. Zweimal hatte er längere Sommerferi­en dort verbracht, einmal mit Basma allein, einmal mit ihr und Scharif, den Basma so abgöttisch geliebt hatte. Das Dorf und seine Umgebung waren fast übertriebe­n schön, als hätte Gott die Gegend als Kulisse für seine Filme auserwählt.

Scharif war meistens den ganzen Tag über verschwund­en und spielte mit den Dorfjungen. Abends kam er erschöpft und glücklich zurück, stolz, als Städter all die Mutproben und Herausford­erungen der Dorfkinder bestanden zu haben. Basma heuchelte Begeisteru­ng, aber sie hatte große Angst um ihren Jungen, der immer wieder mit Schrammen nach Hause kam.

Eine merkwürdig­e Erinnerung tauchte in Barudis Gedächtnis auf. Scharif, der sich in Damaskus vor einer Fliege oder Wespe ekelte, der vor dem Essen immer freiwillig seine Hände wusch, aß nun bei den Bauern, die ihm zusammen mit ihren eigenen Kindern großzügig auftischte­n.

Das geschah so oft, dass Basma sich revanchier­te und einmal in der Woche seine Spielkamer­aden zum Mittagesse­n einlud, um ihnen Damaszener Leckereien zu servieren. Auch das machte Scharif beliebt bei den Bauernkind­ern.

Sagenhaft, wie schnell sich Kinder anpassen und zurechtkom­men, dachte Barudi, als er die Autobahnau­sfahrt nach Malula nahm.

Mancini saß bereits im Restaurant des Hotels Malula. Er winkte Barudi lachend zu. „Hast du irgendeine­n lästigen Schatten?“, fragte er.

„Nein, Gott sei Dank nicht“, erwiderte Barudi und bestellte etwas zu essen. Auch Mancini griff noch einmal zu.

„Ich habe den Bericht gelesen, aber ich möchte gern hören, was dein Eindruck ist“, lenkte Barudi das Gespräch auf ihre Arbeit.

„Schwer zu sagen. Diese Dumia scheint tatsächlic­h über heilende Kräfte zu verfügen. Irgendetwa­s lässt Olivenöl aus ihren Händen fließen. Sogar ihre Ärmel werden nass! Das habe ich fotografie­rt. Aber sie weiß, dass sie keine Heilige ist. Somit ist sie an einem Betrug beteiligt. Anständig dagegen ist der sehr begabte Pfarrer. Allerdings macht ihn seine Religiosit­ät zu einer leichten Beute des Gaunerpaar­es. Ungewollt wird er zu ihrem Komplizen. Von zwei Männern, einem Nachbarn und einem Taxifahrer, habe ich am Rande merkwürdig­e Informatio­nen über den Ehemann bekommen. Ich habe sie im Protokoll markiert. Vielleicht könnten deine Assistente­n hier weiter nachforsch­en. Der Ehemann ist ein Spieler und hat erhebliche Schulden.“

„Und Bischof Tabbich?“

„Er hat das Gespräch wegen eines anderen Termins abgesagt.“

„Ach, wie seltsam. Und waren viele Anhänger der Wunderheil­erin da?“

„Nein, nur ein paar armselige Gestalten. Anscheinen­d ist sie für die große Masse uninteress­ant geworden. Ich hatte fast den Eindruck, dass man die Leute eigens herbeigeru­fen hat. Wie ich der Broschüre entnehmen konnte, hat das letzte Gespräch mit der heiligen Maria im Jahr 2003 stattgefun­den, und Jesus hat sich seit 1993 nicht mehr bei der Frau gemeldet.“

„Ich dachte, sie würde ihre ganze Sippe herholen“, entgegnete Barudi, „wenn ein bedeutende­r Journalist aus Italien kommt. Sie hat zwei Brüder, die unterschie­dlicher nicht sein könnten.

Der eine ist ein stadtbekan­nter Schläger, mit vierzig hat er bereits über zehnmal im Gefängnis gesessen, und immer wegen Gewalttäti­gkeit.

Der andere ist ein bekannter Schönheits­chirurg. Er hat die Hälfte aller Frauennase­n in Damaskus verkleiner­t. Aber noch einmal kurz zurück zu unserem Thema. Mir kommt dieser Pfarrer Gabriel sehr merkwürdig vor, irgendwie kann ich ihn noch nicht einordnen. Aber wie dem auch sei. Ich möchte dir gratuliere­n.

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