Das Abschiedsgeschenk
Die DZ lässt ihre Aktion Lesesommer in einem Leseherbst ausklingen. Da das Nordschwäbische Literaturfestival ausfällt, schreiben Mitglieder des Donau-Rieser Autorenclubs für unsere Zeitung. In Folge 15 erzählt Petra Plaum eine raffinierte Rachegeschichte
● Mai: Auf dem Fotografenfoto über dem Fernseher sehen wir fast aus wie Fotomodelle: hochgewachsen, schlank, einander anstrahlend. Augen und Haare glänzen. Da liebte er mich noch, er schwärmte: „Du bist schön, klug und auch noch eine tolle Hausfrau.“
Nicht einmal ein Jahr ist seitdem vergangen – heute klingt er ganz anders. Wenn ich mich vor ihm ausziehe, raunzt er mich an: „Du hast schon wieder neue Dellen an den Oberschenkeln. Geh doch mal wieder ins Fitnesscenter.“Verstehe ich irgendetwas am Computer nicht und frage ihn um Rat, nennt er mich Dummchen. Und den Haushalt erledige ich ihm viel zu nachlässig. Neulich war da mal Staub auf einem Beistelltisch. „S-A-U“, schrieb er hinein und sah mich anklagend an.
Jawohl, ich hab’s vergessen. Aber die Prüfungsvorbereitung frisst viel Zeit, und ich arbeite 25 Stunde pro Woche im Callcenter. Schließlich zahle ich von allem die Hälfte – ich habe meinen Stolz und er will keine Frau durchfüttern. Wäre er nicht optisch und intellektuell mein Traummann, hätten wir nicht solch ein gutes erstes Jahr zusammen gehabt, ich wäre längst weg. Dem strahlenden Mädchen auf dem Fotografenfoto sehe ich kaum mehr ähnlich mit diesen Augenringen.
● Juni: Strand. Meer. Blau. Türkis. Manchmal denke ich, unser Alltag zuvor war nur ein böser Traum. Unser Lieblingskellner nennt uns „schönstes Paar“. Der Wein wischt die Sorgen weg. Im Abendlicht spazieren wir Hand in Hand am Meer entlang und überlegen uns Namen für unsere Kinder. Was für ein wunderbarer Kurzurlaub!
Am letzten Abend packe ich fröhlich summend meinen Koffer, als ich seinen Schrei höre. Ich stürme ins Bad. Zitternd und leichenblass steht er da, zeigt auf eine Kakerlake, die das Waschbecken durchquert. „Ach, die“, sage ich ruhig, „steht doch im Reiseführer, die sind hier überall. Ist eben warm und feucht.“– „Ka-kaka-kerlaken!“, stammelt er. „So was Ekliges! Ich will heim und mein Geld zurück!“Weg ist sie, die Leichtigkeit. ● Juli: Die Prüfungen nahen. Tagsüber arbeite ich, nachts lerne ich. Vor Müdigkeit wird mir oft schwindelig. Und mein Freund? Zählt Krümel. Er ist erkältet und krankgeschrieben. Ich koche ihm Ingwertee mit Zitrone, bringe ihm Essen ans Bett. Er jammert und meckert abwechselnd. „Dein Arsch ist fetter geworden, oder täusche ich mich?“– „Solltest du nicht mal wieder staubsaugen?“– „Diese Suppe ist ekelhaft. Was kannst du überhaupt?“
Ich werde keine Kinder von ihm haben! So viel steht fest. Das Gute an der Verzweiflung: Sie hält wach. Wenn ich nachts nicht mehr lernen kann, suche ich online nach Wohnungen. Da – zwei Zimmer, zentral und hell! Der Besichtigungstermin ist morgen Nachmittag. Da kann ich im Callcenter Pause machen. Er wird es nicht merken.
● August: Der Auszug war hart, aber anders als gedacht. Er fluchte, beschimpfte mich – ihn so zu enttäuschen, nun müsse er die teure Miete allein tragen! Für den Kurzurlaub schulde ich ihm auch noch 500 Euro. Von Traurigkeit, gebrochenem Herzen, Vermissen – kein Wort!
Ich weinte, weinte drei Tage und drei Nächte lang. Dann bestand ich meine erste Prüfung und erkannte: Das Leben würde weitergehen, ohne ihn.
Eine Woche lang bombardierte er mich mit wütenden E-Mails. Kurz danach traf ich einen früheren Nachbarn, der mich mit besorgter Miene fragte, ob es mir endlich besser gehe. Mit so einer Suchterkrankung sei ja nicht zu spaßen. Ich sah ihm fest in die Augen und sagte, das müsse ein Missverständnis sein. Mir gehe es bestens.
Das ist nun zwei Wochen her. Ich will Semmeln kaufen, da steht plötzlich mein Ex vor mir. Er begrüßt mich überschwänglich und stellt mir sogleich die neue Frau an seiner Seite vor. Endlose Beine, maximal 22, Typ Barbiepuppe. „Wir trafen uns beim Friseur. Es hat uns beide getroffen wie der Blitz“, schwärmt er. „Nächste Woche zieht sie bei mir ein. Da du gerade da bist … könntest du mal vorbeikommen und deine ganzen
Bücher holen? Wir brauchen den Platz.“Ich nicke und grinse, vermutlich ziemlich dümmlich, und fühle mich erleichtert: Nun bin ich ihn wirklich los!
● September: Über dem Fernseher hängt jetzt ihr Bild. Sie ist reich geboren, muss nicht arbeiten, sagt er. Putzt und kocht für ihr Leben gern. Im Bett kann sie nie genug kriegen. Ein echter Jackpot.
„Fertig siehst du aus“, meint er dann wie ein besorgter Vater.
„Vier Wochen bis zur letzten Prüfung, dann schlafe ich mich aus“, entgegne ich und lege meine Bücher in die mitgebrachte Tasche. „Ich müsste nur noch schnell … darf ich?“– „Wenn du die Klobürste benutzt und beim Händewaschen nicht spritzt.“– „Keine Angst, ich werde keine Spuren hinterlassen“, entgegne ich sanft und denke: jedenfalls nicht solche.
Das Plätschern der Spülung überdeckt das leise „rrratsch“des Plastikdöschen-Deckels. Zwei Handbewegungen und mein Mitbringsel ist angekommen. Die argentinischen Waldschaben sitzen im Spalt zwischen Waschmaschine und Wand. „Seid fruchtbar und mehret euch“, flüstere ich ihnen zu. Das Döschen in der Tasche verstecken, die Hände waschen, ein letzter Blick in den Spiegel: Die Augenringe sind schlimm, doch die Augen darüber funkeln.
Als ich gestern diese Kakerlakenart im Schaufenster eines Zooladens entdeckte, konnte ich nicht widerstehen. Für Menschen ungefährlich, hat der Verkäufer gesagt. Für mein Seelenheil sind diese Tierchen jetzt und hier sogar ausgesprochen gesund.