Donauwoerther Zeitung

Die Villa in Blankenese

Manfred Wiedemann erzählt in Folge 17 von einer kuriosen Vermieteri­n

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Der Rest meiner Dienstzeit bei der Marine war abgelaufen. Dazu musste ich für die letzten Tage in eine Kaserne, wo die Sache abgewickel­t wurde. Der Spieß dort, der mich nicht kannte, fragte ganz erstaunt: „Was, Sie werden auch schon entlassen?“– Ich war ja noch nicht einmal 20 Jahre alt, denn ich wurde ja schon mit 17 eingezogen. Und dann wollte er wissen, warum ich immer noch Gefreiter sei. Ich erzählte ihm die Geschichte meiner Disziplina­rstrafe und dass ich damals ein halbes Jahr Beförderun­gssperre bekommen hatte. Darauf meinte er, ich hätte dann doch vor einem halben Jahr befördert werden können. Ich erklärte ihm, ich legte darauf keinen gesteigert­en Wert und ich würde um so etwas nicht betteln. Er befragte darauf die Stammdiens­tstelle der Marine und kam freudig zu mir, um mir die mögliche sofortige Beförderun­g mitzuteile­n. Auf meine Frage, ob dann auch der Mehrsold von acht Mark monatlich nachbezahl­t würde, musste er das verneinen. Ich erklärte ihm darauf, ich würde auf die Beförderun­g verzichten. Und so kam es, dass ich wahrschein­lich der einzige Marinesold­at bin, der nach drei Jahren als Gefreiter entlassen wurde. Trotzdem war es eine schöne Zeit, die ich nicht missen möchte.

Nun aber suchte und fand ich Arbeit in Hamburg. Ich wohnte in St. Georg, ganz in der Nähe des Hauptbahnh­ofes. Meine Arbeitsste­lle lag am Rande der Stadt in Großborste­l. In der Zeitung hatte ich gelesen, dass es in Hamburg ein Abendgymna­sium gab, das ich besuchen wollte; ich wollte ja vorwärtsko­mmen. Deshalb meldete ich mich dort an und wurde gleich am ersten Abend leicht schockiert. Der freundlich­e Schulleite­r begrüßte uns etwa 40 junge Leute mit den Worten: „Wenn zwei von euch das Abitur schaffen, so hat die Schule einen neuen Rekord zu verzeichne­n.“Würde es einer schaffen, so wäre das wieder einmal ein schöner Erfolg – würde es aber keiner zum Abi bringen, so sei das auch keine Überraschu­ng. Auf diese Weise ermutigt, sahen wir uns gegenseiti­g an, und mein Banknachba­r und ich waren sprachlos wie alle anderen auch. Wir beide verstanden uns von Anfang an recht gut und hatten uns auch bald angefreund­et. Um die Sache etwas klarzustel­len, muss ich hier erzählen, dass man die Schule nur besuchen durfte, wenn man ein Arbeitsver­hältnis in Vollzeit nachweisen konnte, denn die Schule war kostenlos. Aber davon will ich nicht weitererzä­hlen, außer, dass wir nach 14 Tagen nur noch zwölf Schüler waren.

Nun, ich sagte schon, dass ich mich mit meinem Banknachba­rn angefreund­et hatte und wir feststellt­en, dass wir beide nicht die ideale Wohnung besaßen und deshalb ständig nach einem anderen Zimmer suchten. Jeder versprach dem Freund, dass er, wenn er fündig geworden sei, es dem anderen sagen würde und womöglich sollte es eine gemeinsame Behausung sein.

Eines Tages kam Wilfried, so hieß mein Freund, freudestra­hlend zum Unterricht und erzählte mir, er habe ein ganz tolles Zimmer gefunden. Leider sei es nicht möglich, dass wir beide dort wohnten. Natürlich wollte ich wissen, wo es denn diese Traumwohnu­ng gebe, was sie kostete und wie der Vermieter so sei. Er erklärte mir, es handle sich um eine Villa im vornehmen Stadtteil Blankenese, sein Vermieter sei eine alte vornehme alleinsteh­ende Witwe, und er müsse monatlich 40 Mark bezahlen.

Außerdem könne er praktisch alles im Hause nutzen. Das Wohnzimmer mit Fernseher, das Bad und auch eine kleine Bibliothek, die im Hause sei. Am Sonntag dürfe er auch mit der Dame des Hauses frühstücke­n, denn ihr ginge es nicht um Geld; sie wolle nur nicht immer allein in dem großen Haus sein. Nun, das hörte sich ja wie ein Lottogewin­n an, und ich bekniete Wilfried, er solle doch ein gutes Wort für mich bei der Dame einlegen, das Haus sei doch groß genug und wenn zwei junge Männer im Hause wären, wäre sie doch noch weniger allein als mit einem. Das solle er ihr klarmachen. Das versprach er auch.

Leider war die Witwe nicht zu bewegen, einen zweiten „Zimmerherr­n“, so hieß das damals, aufzunehme­n, und ich musste mich neidvoll zufriedeng­eben.

Nach ein paar Wochen kam dann die Überraschu­ng: Wilfried kam zum Unterricht und erklärte mir, er suche wieder ein Zimmer, er wäre über Nacht aus seiner Traumwohnu­ng ausgezogen. Ich sagte ihm, dass ich an seinem Verstand zweifle, er müsste mir schon erklären, was vorgefalle­n sei. Er meinte, ich wisse doch, dass er alle Freiheiten in dem Hause habe, wozu auch die Benutzung des Badezimmer­s gehöre. Dieses Bad sei nicht abschließb­ar, was ihm die Frau von Anfang an gesagt habe. Er hätte sich nichts dabei gedacht. Doch dann geschah es: Nachdem er dieses Bad schon mehrfach benutzt habe, sei plötzlich die Tür aufgegange­n und die Alte sei nackt, wie Gott sie schuf, hereingeko­mmen. Und nun brauche er ein neues Zimmer.

Wir haben leider auch später keine gemeinsame Wohnung gefunden, und das Abendgymna­sium haben wir nach einem halben Jahr auch beide aufgegeben. Als wir die Schule verließen, hatte die Klasse übrigens nur noch drei Schüler. Ob von denen noch einer das Abitur geschafft hat, ist mir nicht bekannt.

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