In den Krankenhäusern wartet nach Corona schon die nächste Krise
Viele Kliniken leisten in der Pandemie Schwerstarbeit. Der Kampf mit dem Virus offenbart grundlegende Probleme, die sich ohne Reform noch weiter zuspitzen
Viele Politiker und Verantwortliche im Gesundheitswesen blicken jeden Tag mit Sorge auf die aktuellen Statistiken aus den deutschen Kliniken. Diese Woche kämpfen Ärzte und Krankenpfleger um das Leben doppelt so vieler schwerst Corona-Kranker wie auf dem Höhepunkt der ersten Welle. Und Woche für Woche kommen hunderte neue Patienten dazu. Wer überlebt, bleibt viele Tage stationär behandlungsbedürftig, sodass die Zahl der Intensivpatienten immer weiter ansteigt.
Mehr als ein Viertel der CoronaIntensivpatienten überlebt die Krankheit nicht. In diesen Tagen steigt die Zahl der Corona-Toten in Deutschland auf über 40 000. Und alle, die dabei vor allem auf die zynische Unterscheidung, ob „an“oder „mit“Corona Wert legen wollen, seien auf das Statistische
Bundesamt verwiesen: Im November starben elf Prozent mehr Menschen in Deutschland als im Durchschnitt der vergangenen vier Jahre zuvor, Mitte Dezember stieg diese sogenannte „Übersterblichkeit“bereits auf 23 Prozent.
Kalte, anonyme Zahlen, die keinerlei Eindruck davon vermitteln, was das deutlich gestiegene tägliche Sterben für die in den Kliniken arbeitenden Menschen bedeutet. Dazu kommt die Infektionsgefahr: 1500 Beschäftigte in Gesundheitseinrichtungen liegen derzeit selbst mit Corona im Krankenhaus.
In der ersten Welle entstand der Eindruck, die Pandemie habe Deutschlands Krankenhäusern wenig anhaben können. Doch dies wurde mit der Verschiebung zahlloser Operationen erkauft, die schnell nachgeholt wurden. Für die Klinikbeschäftigten setzte sich der Krisenstress nahtlos fort. In der zweiten Welle wächst die Furcht vor der endgültigen Überlastung der Intensivstationen so sehr, dass immer weiter an der LockdownSchraube gedreht wird. ein Hauptproblem dabei ist, dass sich jetzt in der Gesundheitspolitik seit Jahrzehnten bekannte Fehler rächen.
Die Intensivversorgung ist weniger durch Technik und Betten begrenzt als durch vorhandenes Pflegepersonal. Und auch auf den Normalstationen sieht es nicht anders aus. Deutschland ist beim Pflegepersonal seit vielen Jahren Schlusslicht bei der Pflegeversorgung: Mehr als 13 Patienten kommen auf eine Pflegekraft, in den Nachbarländern nur halb so viele. Zu wenig Personal heißt zu wenig Zeit für Patienten und Stress, der die Beschäftigten krank macht. Dazu kommt eine im internationalen Vergleich schlechte Bezahlung.
Die Politik hat dieses seit langem beklagte Problem nicht gelöst, sondern mit Einführung des Fallpauschalensystems vor 18 Jahren erheblich verschärft. Die damit auf die Spitze getriebene Durchökonomisierung
des Krankenhauswesens hat die Pflege zum Kostenfaktor degradiert, der seitdem nicht zum Wachstums-, sondern zum Einsparfaktor wurde. Die Krankenpflege in Deutschland lebt vor allen von Berufsethos und Aufopferungsbereitschaft der Frauen und Männer, die den Beruf nicht aus finanziellen, sondern aus sozialen Motiven ergriffen haben. Und bei vielen Ärzten sieht es angesichts der Überlastung kaum anders aus.
Dennoch ist das deutsche Klinikwesen eines der teuersten der Welt, auch weil das Fallpauschalensystem massenhaft teure und unnötige Behandlungen belohnt. Im System wäre nach internationalen Maßstäben genug Geld für eine hochklassige Gesundheitsfürsorge mit fairen Arbeitsbedingungen und Bezahlungen vorhanden. Ohne eine grundlegende Reform der Krankenhausfinanzierung, einer Aufwertung der Pflegeberufe und einer zeitgemäßen Modernisierung des Klinikwesens wird der Notstand der Corona-Pandemie ein bitterer Vorgeschmack auf die Zukunft des Krankenhauses.
Missstände wurden nicht gelöst, sondern verschärft