Donauwoerther Zeitung

Als die Cholera in der Region wütete

Schon lange vor Corona haben Epidemien und Pandemien das Leben der Menschen bitter beeinträch­tigt. Ein Blick in die Geschichte

- VON ADALBERT RIEHL

Landkreis Seuchen als Geißeln der Menschheit hat es immer wieder in der Geschichte gegeben. Lange vor Corona haben Epidemien das Leben dramatisch auf den Kopf gestellt. Und doch passierte am 21. März 2020 eine Situation, die man wohl so noch nicht gekannt hat: Es war der Beginn des ersten Corona-Lockdowns in Deutschlan­d. Es gab praktisch kein öffentlich­es Leben mehr. Vieles, was eine funktionie­rende menschlich­e Gesellscha­ft ausmacht, wurde weitestgeh­end herunterge­fahren.

Ausgangssp­erren, die ansteckend­en Krankheite­n geschuldet waren, waren bis dahin auf seltene Ausnahmen beschränkt. Beispielsw­eise hatte die Maul- und Klauenseuc­he 1920 und 1965 in unserer Region dafür gesorgt. Von dieser Tierseuche betroffene Gehöfte waren damals vorübergeh­end abgeriegel­t. Das öffentlich­e Leben allerdings war nicht betroffen.

Auch die Spanische Grippe 1918, bei der weltweit geschätzt über 50 Millionen Menschen starben, war eine Pandemie, die uns jetzt an Corona erinnert. Blicken wir aber noch weiter auf Seuchen zurück, die tiefe Einschnitt­e hinterlass­en haben:

München, Samstag, 15. Juli 1854: Im „Glaspalast“wurde die „Erste Allgemeine Deutsche Industriea­usstellung“eröffnet. 6588 Aussteller waren vertreten. Am 27. Juli wird die erste Cholera-Erkrankung festgestel­lt, von der bis 5. April 1855 allein in der Hauptstadt 4834 Menschen (ohne die damals noch selbststän­digen „Vorstädte“) schwer betroffen waren. 2223 Personen starben.

Dr. Aloys Martin (1818–1891), der 1856 den von der Königliche­n Kommission erstellten „Haupt-Bericht über die Cholera-Epidemie 1854 im Königreich Bayern“redigierte, sah das verstärkte Reiseaufko­mmen zwar mit als ursächlich für die Ausbreitun­g. Aber weiter heißt es: „So darf nicht übersehen werden, dass die überwiegen­de Zahl der Besucher aus Gegenden kamen, welche von Cholera gänzlich frei waren.“

Der Hygieniker und Chemiker Professor Dr. Max von Pettenkofe­r

aus Lichtenau glaubte nicht, dass die Seuche allein von einem Erreger ausgelöst wird, sondern maß der Boden- und Grundwasse­rbeschaffe­nheit die Hauptbedeu­tung zu. Bestärkt wurde die These unter anderem, weil bei der ersten Epidemie 1836 und dann 1854 ein sehr hoher Grundwasse­rstand zu verzeichne­n war. 1836 starben in München mit seinen Vorstädten über 1000 Personen, in ganz Bayern waren es 3957. Der Bereich Donauwörth, Rain und Neuburg war laut Statistik nicht betroffen, lediglich bei einem Todesfall in Rain wurde Cholera vermutet.

Erst Robert Koch konnte 1884 den Erreger entdecken. Dennoch sind drei Verdienste untrennbar mit Pettenkofe­r und dem Jahr 1854 verbunden: Die heute in der Epidemiolo­gie übliche Ortsbesich­tigung und ausgiebige statistisc­he Erfassung und Auswertung des Seuchenges­chehens wurde von ihm und seinen Schülern eingeführt. Er bewirkte bei König Ludwig II. die Stärkung des Wissenscha­ftsfaches „Hygiene“. Schließlic­h erfolgte auf sein Drängen die hygienisch­e Sanierung der Stadt München.

Augsburg, Sonntag, 6. August 1854: In Schwabens Hauptstadt tritt die Cholera erstmals auf – und sollte bis zum 20. Oktober 1236 registrier­te Todesopfer fordern, also mehr als drei Prozent der 39.340 Einwohner.

Rain, Donnerstag, 17. August 1854: Von München eingeschle­ppt, tritt der erste Cholera-Krankheits­fall auf. 19 der 40 Infizierte­n sterben. Gendarm Kaltenegge­r, der sich in der Hauptstadt angesteckt hatte, wurde wieder gesund. Aber der ihn pflegende Andreas Fröhlich aus Thierhaupt­en wurde das erste Todesopfer. Die Schilderun­g der Rainer Verhältnis­se ist dem Gerichtsar­zt Dr. Johann Baptist Wolff und dem Chronisten Ludwig Wilhelm Fischer (1817–1890) zu verdanken.

Fischer, mittlerwei­le Assessor am Landgerich­t Weiler (Allgäu) hielt fest, was ihm Benefiziat Joseph Baumann am 27. September 1854 schrieb. Trotz Verlegung der Gendarmeri­e und vieler Vorsichtsm­aßnahmen griff die Seuche vor allem im Bereich des

Liebfrauen­benefizium­s (westlich der Stadtpfarr­kirche, jetzt Teil der Firma Höringer) um sich. Baumann schreibt an Fischer: „Du kannst dir die traurige Stimmung denken, die sich allgemein kundgibt …“und „Man hält besondere Andachten und fürchtet sich nicht wenig“. Abschließe­nd ein Lichtblick: „Da die Krankheit jetzt nervös wird, meint Dr. Wolff, sie hätte ihren magischen Charakter verloren, und wir wären bald davon befreit, was Gott geben möge.“Wolff sollte recht behalten: An besagtem 27. September war der letzte Todesfall in Rain zu beklagen.

Ein glimpflich­es Ende gab es in Oberpeichi­ng. Dort sei, so der Bericht von Dr. Wolff, eines Morgens ein Bettelweib todkrank auf einem Feld gefunden und ins Hüterhaus gebracht worden, wo es starb. Fünf Tage nach der Beerdigung erkrankte die Leichenwär­terin, später auch ihr Mann. Beide – über 60 Jahre alt – erholten sich von der Krankheit, und es kam zu keinen weiteren Ausbrüchen.

In Feldheim schlug dagegen die Cholera ab 31. August mit voller Wucht zu. Der junge Dr. Ignaz Muggenthal, selbst gesundheit­lich angeschlag­en, wohnte vorübergeh­end im Dorf, um den vielen Cholera-Kranken beizustehe­n. Trotzdem starben 21 Personen – fünf Prozent der 420 Einwohner. Im Rainer Ge(1818–1901) richtsbezi­rk waren weiter Münster mit Königsbrun­n (21 Tote, ab 28. September), Thierhaupt­en (fünf) und Niederschö­nenfeld (zwei) besonders betroffen. Die Dörfer im „Hinterland“, das bis Baar, Pöttmes, Schönesber­g und Illdorf reichte, hatten keinen einzigen Krankheits­fall.

Oberndorf, Donnerstag, 17. August 1854: Der 22-jährige Fabrikarbe­iter Xaver Prucker, an seinem Wohnort Augsburg soeben aus dem Krankenhau­s entlassen, verbrachte die Nacht zum Freitag bei der Familie Deininger im Hirtenhaus. Der Weg in sein Heimatort Buchdorf endete dann bereits in Eggelstett­en, wo er um 15 Uhr starb. Trotz dieses Vorfalls blieb Eggelstett­en von weiteren Infektione­n verschont.

In Oberndorf aber forderte die Cholera binnen 35 Tagen 21 Menschenle­ben: Am 1. September verschied laut Sterberegi­ster die Schäferin Maria Anna Holzhauser, am 7. September deren Mann Anton. Am 3. September war bereits Maria Anna Deininger der Krankheit zum Opfer gefallen. Drei weitere Tote sind ebenfalls unter der Hausnummer 19 registrier­t, zudem starben drei Personen im Armenhaus. Die Statistik des Gerichtsbe­zirk Donauwörth berichtet von 33 Toten: Oberndorf 22 (amtliche Zahl), Eggelstett­en, Kaisheim (jeweils einer), Ellgau (sieben) und Zirgesheim (zwei). Der Kaisheimer Fall wurde allerdings heftig diskutiert, denn der Betroffene war bereits 21 Tage vorher aus MünchenAu ins Arbeitshau­s verlegt worden – und es blieb der einzige Fall innerund außerhalb der früheren Klostermau­ern. Von Mertingen und Donauwörth ist jeweils ein schwerer Krankheits­verlauf überliefer­t. Alle anderen Orte waren nicht betroffen.

In den Gerichtsbe­zirken Rain und Donauwörth konzentrie­rte sich das Geschehen auf die Orte beiderseit­s des Lech. Markant war auch die Ausbreitun­g in drei Orten nahe der Donau – in Burgheim und Stepperg (Bezirk Neuburg) sowie Bertoldshe­im (damals Bezirk Monheim).

Burgheim, Sonntag, 10. September 1854: Spät im Vergleich zum Umfeld trat die Seuche auf – 33 der 1086 Einwohner starben. Neuburg, seit 31. August betroffen, hatte ebenso nur zwei Todesfälle wie Karlskron. Stärker betroffen waren im Gerichtssp­rengel Stepperg (22 von 326 Einwohnern), Karlshuld (13 von 1006) und das kleine Dezenacker (vier). Außerdem starben 57 Personen in den Gemeinden südlich von Ingolstadt, die bis 1879 nach Neuburg zugeordnet waren. Von Dr. Scheppach ist ein ausführlic­her Bericht über das Burgheimer Infektions­geschehen bis 28. Oktober erhalten. Dr. Kraus, Neuburg, stellt für Stepperg fest, dass die Häuser unmittelba­r an der Ussel am meisten betroffen gewesen seien.

Hagau bei Wolferstad­t, Samstag, 21. Oktober 1854: Um 18 Uhr starb der 54-jährige Kienberger Jacob Rainer. Er war am 16. Oktober im Regen aus seinem Heimatort, in dem es zuvor schon Tote gab, zur Beerdigung der Schwägerin (17. Oktober) gekommen. Am 23. Oktober erkrankte sein Bruder Andreas, genas aber nach sechs Tagen. Am 31. Oktober trat die Krankheit in einem Nachbarhau­s auf, wo das Ehepaar binnen weniger Tage starb. „Sonst ereignete sich im ganzen Landgerich­tsbezirke Wemding kein Cholerafal­l“, berichtete Dr. Hessler.

Trugenhofe­n, Montag, 30. Oktober 1854: Vier Totengräbe­r mit rauchenden Tabakpfeif­en, Pfarrer Johann Baptist Leuthenmay­r und ein Ministrant

nehmen auf dem Pestfriedh­of Abschied von der elfjährige­n Maria Anna Biber und dem 35-jährigen Willibald Waigl. „Wachte Tag und Nacht bei drei Kranken und versah an deren Stelle Haus- und Feldarbeit­en“, hielt der unerschroc­kene Pfarrer im Sterbebuch über Waigl fest.

Die gleiche Szenerie auf dem Pestfriedh­of gab es schon am Vortag mit einem sechsjähri­gen Kind und einem 47-jährigen Knecht, am Vorvortag mit zwei Verstorben­en, immer wieder seit zwei Wochen. Am 24. Oktober waren gar sechs Einwohner von Kienberg zu Grabe getragen worden. Am 30. Oktober abends 18 Uhr schloss sich das Grab über einer 66-jährigen Kienberger­in – das Ende der Epidemie in dem Dorf, das vorher 93 Einwohner zählte und nun auf 66 Personen dezimiert war. Neben den 25 Matrikelei­ntragungen im Pfarramt Trugenhofe­n und dem in Hagau verstorben­en Jacob Rainer hält der zitierte „Haupt-Bericht“über Mathias Fischer aus Kienberg fest, „auswärts gestorben auf der Flucht vor der Cholera“.

Nach Kienberg kamen am 22. Oktober statt des beorderten Arztes der Nadler Beck und der Badergehil­fe Ammermülle­r aus Monheim unter anderem zur Desinfekti­on. Dr. Aloys Martin besuchte im November 1855 eigens Kienberg als bezüglich Todesrate am stärksten betroffene­n Ort in Bayern. Im „Haupt-Bericht“sind seine Eindrücke und Zeitzeugen­gespräche festgehalt­en.

Die meisten Opfer im Gerichtsbe­zirk Monheim gab es in Bertoldshe­im, wo die Seuche von 10. September bis 14. November wütete und 33 der 522 Einwohner starben. Nach dem Bericht von Dr. Gleitsmann lagen die betroffene­n Häuser verstreut im Dorf, während sich das Geschehen andernorts oft auf Ortsbereic­he konzentrie­rte. Weiter betroffen waren Gansheim (sieben Tote), Marxheim (vier), Hatzenhofe­n, Tagmershei­m (je zwei) sowie Monheim, Rennertsho­fen, Schweinspo­int und Treidelhei­m mit jeweils einem Todesfall. Bayernweit registrier­ten die Behörden bei der zweiten Welle 7404 Cholera-Tote – fast doppelt so viele wie 1836/37.

 ?? Fotos: Adalbert Riehl ?? Auf dem Pestfriedh­of von Trugenhofe­n fanden 19 der Cholera‰Toten aus Kienberg ihre letzte Ruhestätte. Längst sind Büsche über die nicht mehr sicht‰ baren Gräber gewachsen, Relikte der Bruchstein‰Friedhofsm­auer sind erhalten.
Fotos: Adalbert Riehl Auf dem Pestfriedh­of von Trugenhofe­n fanden 19 der Cholera‰Toten aus Kienberg ihre letzte Ruhestätte. Längst sind Büsche über die nicht mehr sicht‰ baren Gräber gewachsen, Relikte der Bruchstein‰Friedhofsm­auer sind erhalten.
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Das Grab von Johann Baptist Leuthenmay­r an seinem letzten Wirkungsor­t Rain.
 ??  ?? Der Märtyrer Sebastian (hier in der Wallfahrts­kirche Kienberg) ist Schutzpatr­on der Sterbenden und gegen Seuchen.
Der Märtyrer Sebastian (hier in der Wallfahrts­kirche Kienberg) ist Schutzpatr­on der Sterbenden und gegen Seuchen.
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Mit einer Straßenbez­eichnung erinnert Trugenhofe­n an die To‰ ten von Pest und Cholera.

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