Mehr Kohle mit Wind statt Kohle
Die Energiesparte von Siemens ist an der Börse notiert. Das Unternehmen versucht, bis 2030 ein klimaneutrales Unternehmen zu werden und mit grüner Technik mehr Geld zu machen
München Christian Bruch herrscht seit Mai 2020 als Chef über das einstige Herz von Siemens, die Energiesparte mit weltweit 92000 Mitarbeitern. Der Bereich wurde Ende September vergangenen Jahres an die Börse gebracht. Die Siemens AG ist nur noch mit 35,1 Prozent an dem Unternehmen beteiligt, das im MDax, der zweiten deutschen Börsenliga, mitspielt. Dabei steht Siemens Energy vor einer besonderen Herausforderung, rechnet doch die Internationale Energieagentur damit, dass der Markt für die herkömmliche Stromerzeugung, also etwa Kohle, bis 2040 weltweit nur noch um magere 0,6 Prozent im Jahr wächst, während erneuerbarer Strom aus Wind- oder Sonnenenergie satte acht Prozent zulegen soll.
Öko-Strom ist also sexy und damit aus Sicht einer nach möglichst viel Gewinn trachtenden Aktiengesellschaft ein Rendite-Bringer. Wer dergleichen Rechnungen in den 80er Jahren zu Beginn der Umweltbewegung aufgestellt hat, wurde von Energie-Bossen hierzulande noch verhöhnt. Doch Bruch (Jahrgang 1970) ist vom Fach. Er hat seine Karriere beim Strom-Riesen RWE begonnen, der durch die Energiewende wie andere einstige Monopolisten gebeutelt wurde.
Der Siemens-Energy-Chef wechselte schließlich zum Gasehersteller Linde und machte dort Karriere. Ehe er von Siemens Energy abgeworben wurde, war er Sprecher des Vorstands der Linde AG. Der promovierte Diplom-Ingenieur ist also vom Fach und auch in Arbeitnehmerkreisen angesehen. Nun musste er mit seinem neuen Führungsteam das Unternehmen nach dem Weg in die Selbstständigkeit neu aufstellen, im Bewusstsein, dass Siemens Energy zwar 50 Prozent des Umsatzes mit erneuerbaren Energien und Übertragungstechnologien verdient. Aber eben nur 50 Prozent.
Den Rest erwirtschaftet der Konzern mit zum Teil längst als Klimasünder ausgemachten alten Techniken wie der Kohleerzeugung. Bruch stand vor der Frage, wie das Unternehmen mit weniger Kohle, also mehr Klimafreundlichkeit, künftig mehr Kohle verdient und damit mehr Rendite im Sinne der Aktionäre erwirtschaftet. Ökologie wird zum Geschäftsmodell.
Dabei hat sich Bruch zwei Ziele gesetzt: Er will die Ertragslage dauerhaft verbessern, was dem Unternehmen in den letzten drei Monaten des vergangenen Jahres schon gelungen ist, während im Vorjahreszeitraum noch ein dicker Verlust zu Buche stand. Damit das so gut weitergeht, strebt Siemens Energy an, bis 2023 ausschließlich grünen Strom zu beziehen und bis 2030 ein klimaneutrales Unternehmen zu werden. Der Konzern will sich nicht mehr an der Ausschreibung neuer, ausschließlich mit Kohle befeuerter Kraftwerke beteiligen. Siemens verzichtet bewusst auf Kohle, weil im Öko-Business mehr Kohle lockt.
Nach Informationen unserer Redaktion geht das Unternehmen einen Mittelweg und hält an lang laufenden Serviceverträgen in dem fossilen Bereich fest. In Industriekreisen wird die Aktion insgesamt als kluger Schachzug bezeichnet, weil sich Siemens
Energy weniger angreifbar seitens der Klimaschützer macht. So sollen offene Umwelt-Flanken möglichst geschlossen werden. Siemens hatte sich bekanntlich reichlich Ärger mit der Lieferung von Signaltechnik für Züge eingehandelt, die Kohle aus einer australischen Mine abtransportieren.
Das alles ist die positive Seite der jüngsten Siemens-Energy-Story. Die negative folgt in Form einer Zahl, nämlich eines geplanten Arbeitsplatzabbaus von weltweit 7800 Stellen, darunter 3000 in Deutschland in der Sparte Gas & Power, zu der auch die Kohle-Aktivitäten gehören. Hierzulande sollen aber keine Standorte geschlossen werden.
Siemens Energy ist in Deutschland besonders in Franken (5500 Mitarbeiter in Erlangen, 1800 in Nürnberg) sowie im Ruhrgebiet (4000 Beschäftigte in Mülheim und 1900 in Duisburg) stark vertreten. Hinzu kommt das ostdeutsche Werk in Görlitz, das schon einmal geschlossen werden sollte, aber nach Protesten und dem Einknicken von SiemensMann Joe Kaeser erhalten blieb. Doch die meisten Arbeitsplätze außerhalb Deutschlands stehen auf der Kippe, allein 1700 Stellen in den USA. Bis Ende des Geschäftsjahres 2025 soll alles über die Bühne gegangen sein. Noch ist unklar, wo wie viele Arbeitsplätze wegfallen. Zuerst stehen Verhandlungen mit den Arbeitnehmervertretern an. Bruch will „möglichst keine betriebsbedingten Kündigungen aussprechen“. Der Jobabbau soll über „freiwillige Maßnahmen“, etwa Altersteilzeit, erfolgen. Das könnte, verlautet aus Arbeitnehmerkreisen, gelingen. Die Verhandlungen würden nicht einfach. IG-Metall-Vorstand Jürgen Kerner, der Aufsichtsrat des Unternehmens ist, sagte unserer Redaktion: „Ich erwarte, dass wir die geplanten Restrukturierungsmaßnahmen im Sinne der Beschäftigten ohne Kündigungen gestalten.“
Unternehmen will 7800 Arbeitsplätze streichen