Wie sich in Spanien die Wut der Jugend entlädt
Der Corona-Frust und die Massenarbeitslosigkeit verbinden sich zu einer explosiven Mischung
Barcelona Erst kippt Laia mit anderen Demonstranten in der City Barcelonas einen Glascontainer um. Dann beginnt die junge Frau, Flaschen auf die Bereitschaftspolizisten zu schleudern. Die Beamten antworten mit Gummigeschossen. Eine dieser Gummikugeln trifft Laias Freundin im Gesicht und zerschmettert deren rechtes Auge. Eine Tragödie. Es ist der bisher schwerste Zwischenfall nächtlicher Krawallen, die Barcelona erschüttern und bei denen bislang dutzende Menschen verletzt wurden.
„Ich fühle mich deswegen schuldig“, sagt Laia später dem Radiosender Denn sie, und nicht ihre 19-jährige Freundin habe die Beamten mit Flaschen beworfen. Aber Laia berichtet auch, warum sie und tausende weitere junge Leute auf die Straße gehen und nicht nur friedlich, sondern auch gewaltsam protestieren. „Wir wissen nicht mehr, was wir machen sollen, damit sie uns noch zuhören. Offenbar ist der einzige Weg, um noch wahrgenommen zu werden, alles zu zerstören.“Auf einem Protestplakat der Demonstranten in Barcelona stand: „Ihr habt uns gelehrt, dass es unnütz ist, friedlich zu sein.“
Die Randale begann vor einer
Ser.
Woche, als die Polizei in der nordspanischen Stadt Lleida den Rapper Pablo Hasél verhaftete. Die Festnahme war angeordnet worden, nachdem der 32-Jährige sich geweigert hatte, eine Geldstrafe zu zahlen und eine Haftstrafe wegen Beleidigung des Königshauses sowie Gewaltund Terrorverherrlichung anzutreten. Seitdem brennen jede Nacht Barrikaden in der katalanischen Regionalhauptstadt Barcelona, aber auch in Lleida, Valencia und anderen Städten. Was als Protest für die Meinungsfreiheit begann, weitete sich zu einem Flächenbrand
aus, der zunehmend chaotische Szenen produziert und außer Kontrolle zu geraten droht: In Barcelona, dem Epizentrum der Krawalle, wurden dutzende von Geschäften geplündert. Das spanische TV war bei einem dieser Beutezüge noch vor der Polizei am Tatort und sendete live: Die ganze Nation konnte zusehen, wie vermummte Plünderer Waren aus den Geschäften abschleppten.
Barcelonas alternative Bürgermeisterin Ada Colau, die ihr politisches Engagement in jungen Jahren als Hausbesetzerin begann und üblicherweise großes Verständnis für Proteste der linken Szene hat, zeigte sich entsetzt: „Die Meinungsfreiheit zu verteidigen rechtfertigt nicht, urbanes Mobiliar zu zerstören, die Anwohner zu verängstigen und die Geschäfte zu attackieren.“Die Krawallmacher
hätten bereits Schäden in Millionenhöhe verursacht. Die Gewalt sei kein Ausweg. Und sie sei nicht hilfreich, um dem Rapper wieder zur Freiheit zu verhelfen.
Aber vielen Demonstranten, die sich Nacht für Nacht Straßenschlachten mit der Polizei liefern, geht es wohl gar nicht mehr um den Rapper Hasél und um die Meinungsfreiheit. „Die jungen Leute haben Angst“, bekennt Laia. Die Gewalt sei für sie eine Art Selbstverteidigung gegenüber einem als ungerecht empfundenen Staat.
„Wir haben keine Zukunft“, sagt eine andere junge Demonstrantin. Die Verhaftung von Pablo Hasél sei nur der Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen gebracht habe. Das gilt wohl erst recht im rebellischen Katalonien, wo die Verhaftung des katalanischen Musikers bei der Jugend einen besonders empfindlichen Nerv traf. Der Konfliktforscher Jordi Mir Garcia von der Uni Barcelona spricht von „Frustration, Zorn und fehlenden Perspektiven“in der jungen Generation. „Die 20-Jährigen sind damit aufgewachsen, immer das Wort Krise zu hören“, sagte er der Zeitung Eine Armuts-, Einkommensund Jobkrise, die bereits hunderttausende junger Spanier in die Emigration trieb, weil sie im eigenen Land kein Auskommen mehr finden.
Spanien hat sich bis heute nicht vom großen Finanzkollaps erholt, der 2008 mit einem Immobiliencrash begann, den Staat an den Rand der Pleite brachte und hunderttausende von Familien in den Ruin trieb. Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Epidemie haben das Elend noch verschärft. Die Arbeitslosenrate der unter 25-Jährigen liegt bei annähernd 40 Prozent.
Spaniens sozialistischer Regierungschef Pedro Sánchez kündigte derweil an, hart gegen die Randalierer vorzugehen. „In einer Demokratie ist der Einsatz von Gewalt nicht hinnehmbar.“Sánchez räumte aber zugleich ein, dass in Spanien Reformbedarf bestehe, um künftig weitere Konflikte zwischen provokanten Künstlern wie Pablo Hasél und Staatsanwälten zu vermeiden. „Die Regierung will die Meinungsfreiheit verbessern.“
Ara.
Krawallmacher richten Millionenschäden an