Welches Bild von Politik zeigen uns TV-Serien?
Ein Gespräch über „The West Wing“, „Hindafing“und die „Lindenstraße“
Serien haben – gerade während eines Lockdowns – Hochkonjunktur. Bei „West Wing“, „Kanzleramt“oder „House of Cards“denkt jeder an Politik. „Politik kommt in sehr vielen fiktionalen Formaten vor, auch wenn diese nicht direkt das politische System thematisieren“, sagt die Kommunikationswissenschaftlerin Dr. Cordula Nitsch. Sie hat das Politikbild in TV-Serien untersucht. In einer Studie wurden über 200 Filme und Serien in Hinblick auf ihren Politikgehalt und ihre Realitätsnähe analysiert. Für Serien wurden vier Typen identifiziert: Politserien, Thriller/ Krimi, Fantasy (zum Beispiel Futurama) sowie weitgehend unpolitische Serien.
„Lindenstraße“, „Der Bergdoktor“oder „Um Himmels Willen“– gibt es hier Politik?
Dr. Cordula Nitsch: Fast jede Serie transportiert Politik, auch wenn sie nur nebensächlich vorkommt. In deutschen Serien sind Kommunalpolitiker und
Bürgermeister oft Antagonisten, die korrupt und egoistisch sind, Macht und Profilierung suchen. Denken Sie an die Bürgermeister in „Um Himmels Willen“oder „Hindafing“. Diese Darstellung findet sich auch in „Benjamin Blümchen“.
Gibt es auch andere Darstellungen?
Nitsch: Ja, in der „Lindenstraße“, die als einzige Serie die tagesaktuelle Politik aufgriff. Auch die Bundestagswahlen wurden immer in die aktuelle Handlung integriert. Die Charaktere sprechen über politische Entscheidungen, Akteure und Themen – und auch wählen zu gehen, war selbstverständlich für sie.
Eine andere Form von Politik findet sich in der Gruppe „Thriller und Krimi“, wo vor allem staatliche Akteure wie Polizei und Justiz vorkommen. Speziell im „Tatort“werden viele gesellschaftspolitische Themen abgehandelt. In der letzten Kategorie der „Politserien“
ist der Politikgehalt am höchsten.
Also Serien wie „West Wing“, „Borgen“, „Kanzleramt“oder „House of Cards“. Was macht sie aus?
Nitsch: Sie eint, dass Politiker die Hauptfiguren sind, wir ihren Arbeitsalltag kennenlernen und sie nahbar und menschlich erleben. Sie arbeiten hart, ringen mit sich, siegen, scheitern, haben private Probleme. Außerdem werden wir dahin mitgenommen, wo die Türen für uns sonst verschlossen sind: Wie werden Entscheidungen gefällt? Wie gehen Staatsmänner und -frauen miteinander um? Wie gehen sie mit der großen Verantwortung und dem Druck um? Abgesehen von „House of Cards“sehen wir hier überwiegend positive und idealistische politische Akteure.
Welche Wirkung hat das auf uns?
Nitsch: In einem Feldexperiment, das ich mit Carsten Wünsch durchgeführt habe, haben wir einer Gruppe Filme mit positiver, einer zweiten Gruppe Filme mit negativer Politikdarstellung gezeigt. Überraschenderweise hat bei beiden Gruppen der Filmkonsum zu einer positiveren Bewertung von Politikern und einer verringerten Politikverdrossenheit geführt – im Vergleich zu einer Kontrollgruppe. Wir vermuten, dass es daran liegt, dass die Akteure nahbar, menschlich und vielschichtig dargestellt werden. Eine Sichtweise, die wir in Nachrichten nicht finden.
Was ist Ihre Lieblingsserie?
Nitsch: Die dänische Politserie „Borgen“, weil hier das Wechselverhältnis zwischen Journalismus und Politik ein starker Handlungsstrang ist – und mit der Premierministerin mal eine Frau im Mittelpunkt steht. Ich freue mich auf die vierte Staffel, die gerade gedreht wird.