„Wir sind nicht der Verschiebebahnhof“
Viele Hausarztpraxen im Freistaat impfen jetzt gegen Corona. Vielerorts gibt es schon Wartelisten. Doch neue Lieferverzögerungen führen zu Ärger. Wie der Chef der Allgemeinmediziner in Bayern die Lage einschätzt
Herr Dr. Beier, Sie sind der Vorsitzende der Bayerischen Hausärzte und haben selbst eine Gemeinschaftspraxis in Erlangen – steht bei Ihnen das Telefon nicht mehr still, weil sich so viele Patienten gegen Corona jetzt impfen lassen wollen oder wie ist die Lage?
Dr. Markus Beier: Viele Patienten rufen an, auch weil einfach der Aufklärungsbedarf sehr, sehr hoch ist. Aber wir haben klar kommuniziert: Nicht die Patienten sollen bei uns anrufen, um einen Impftermin zu vereinbaren, sondern wir Hausärzte rufen die Patienten an. Wir haben aktuell einfach noch gar nicht so viel Impfstoff.
Und das könnte noch länger so bleiben, schließlich stehen bundesweit schon wieder Lieferschwankungen im Raum ...
Beier: Da sagen wir jetzt aber ganz klar: Das ist völlig inakzeptabel. Wir Hausarztpraxen sind nicht der Verschiebebahnhof für irgendwelche Impfstoffschwankungen. Wenn es zu Lieferverzögerungen kommt, dann muss dies die Impfzentren ebenso betreffen und nicht nur die Hausärzte. Zumal wir ja auch unsere Patienten schon einbestellt haben und wieder absagen müssen. Außerdem verstehen es auch die Menschen nicht mehr, wenn in der einen Woche Politiker in Talkshows den Impfturbo groß ankündigen und schon in der darauffolgenden Woche müssen wir Hausärzte unsere Patienten anrufen und die Impftermine wieder absagen, weil Berlin Lieferschwierigkeiten hat. So verspielt die Politik jeden Rest von Vertrauen, den die Menschen noch haben.
Viele Ihrer Kolleginnen und Kollegen hat auch überrascht, dass ab dem 19. April nur noch die Hausärzte die Erstimpfungen mit AstraZeneca vornehmen sollen.
Beier: Ich kann diese Entscheidung auch nicht ganz nachvollziehen. Es muss ganz klar sein, dass wir Hausärzte alle Impfstoffe brauchen. Es wäre in jeder Hinsicht der völlig falsche Weg, nur noch die Impfzentren mit mRNA-Impfstoffen von Biontech sowie Moderna zu beliefern und AstraZeneca aufgrund des höheren Beratungsbedarfs alleine in den Hausarztpraxen zu verimpfen. Wir Hausärzte können und wollen alle Altersgruppen versorgen und benötigen daher auch alle Impfstoffe. Sowohl einseitige Impfstoffkürzungen als auch eine einseitige Aufteilung der Impfstoffe stößt auf entschiedenen Widerstand der bayerischen Hausärztinnen und Hausärzte.
Wie werden die Hausärzte denn überhaupt beliefert?
Beier: Wir hier in unserer Praxis in Erlangen bestellen immer Anfang der Woche für die nächste Woche bei unserer Apotheke. Wir wissen immer so eine gewisse Mindest- und Höchstmenge, sie wird uns im Vorfeld von der Apotheke genannt. Momentan war es immer so, dass eine Hausarztpraxis 18 bis 20 Dosen erhalten hat, manchmal auch etwa mehr. Unsere Praxis ist jetzt allerdings Opfer einer technischen Störung im Großhandel gewesen und bekam dadurch weniger Impfstoff. Das hatte aber nichts mit den Lieferschwankungen aus Berlin zu tun. Solche technischen Pannen kommen eben auch vor.
Und wann erfahren Sie, welchen Impfstoff Sie erhalten?
Beier: Immer am Donnerstag, und dann beginnen wir sofort, unsere Patienten einzubestellen.
Der normale Praxisbetrieb muss ja weiterlaufen. Gibt es also extra Impfsprechstunden?
Beier: Das wird jede Praxis anders organisieren. Bisher hatten wir ja noch nicht so viel Impfstoff, da haben wir einfach an einem Tag etwas früher die Sprechstunde geschlossen und in den Abend hinein geimpft.
Müssen Sie als Hausärzte sich denn auch an die Priorisierung, also an die Reihenfolge halten oder sind Sie freier in Ihrer Entscheidung, wer zuerst geimpft wird?
Beier: Auch das macht jede Hausarztpraxis sicher ein bisschen anders. Diese Impfreihenfolge ist eine Empfehlung, an die wir Hausärzte uns grundsätzlich auch halten. Aber wir kennen natürlich Patienten, die aufgrund ihrer schweren Erkrankung oder beispielsweise einer familiären Pflegesituation früher geimpft werden müssen und das tun wir dann auch. Außerdem haben viele Praxen bereits Wartelisten, auf denen man die Patienten nach Alter und Erkrankung sortieren und abtelefonieren kann, wenn beispielsweise Impfstoff übrig bleiben würde.
Es soll auch Hausarztpraxen geben, die ihren Impfstoff nicht losbekamen.
Beier: Das höre ich jetzt zum ersten Mal. Es könnte damit zusammenhängen, dass wir am Anfang nur AstraZeneca bekommen haben und es hier regional zu Ablehnungen von Patientenseite gekommen ist. Aber in der Regel wird alles verimpft.
Die Verunsicherung ist bei AstraZeneca besonders groß. Welche Erfahrung haben Sie in Ihrer Praxis gemacht, wird AstraZeneca abgelehnt?
Beier: Abgelehnt wird der Impfstoff von AstraZeneca nur in Einzelfällen. Aber es gibt definitiv deutlich mehr Beratungsbedarf rund um AstraZeneca, der Aufwand ist höher. Ich kann nur sagen: AstraZeneca ist für ältere Menschen ein hervorragender Impfstoff, die Wirksamkeit ist sehr, sehr hoch. Daher finde ich diese Dauerdiskussion, die wir führen, auch schädlich, weil dieser Impfstoff damit immer weiter abgewertet wird, was faktisch nicht richtig ist. Daher finde ich es im Übrigen auch problematisch, dass die Erstimpfungen nicht mehr in den Impfzentren stattfinden.
Aber Ulrich Weigeldt, der Chef des Deutschen Hausärzteverbands, hat mehr Klarheit über die Nebenwirkungen von AstraZeneca gefordert und betont, Impfen dürfe keine Mutprobe sein ...
Beier: Das hat Herr Weigeldt gesagt, weil eben noch mehr Hintergrundinformationen zu den Nebenwirkungen auf den Tisch müssen. Aber nicht, weil AstraZeneca so gefährlich aus unserer Sicht ist, sondern weil möglicherweise wirklich nur eine ganz kleine Personengruppe mit diesen schweren Nebenwirkungen rechnen muss und auch nur diese Menschen AstraZeneca nicht bekommen dürfen. Die Maßgabe, dass nur Menschen über 60 Jahren AstraZeneca erhalten dürfen, könnte sich sogar als übervorsichtig herausstellen, wenn man eben mehr über diese Risikogruppe wüsste.
Große Sorgen machen sich vor allem auch Menschen, die unter 60 Jahre sind und AstraZeneca als Erstimpfung bereits erhalten haben. Verträgt sich AstraZeneca wirklich mit einem mRNA-Impfstoff als Zweitimpfung?
Beier: Die Ständige Impfkommission hat es sich hier nicht einfach gemacht mit ihrer Empfehlung, sondern war sehr gründlich und differenziert. Die Datenlage für diese Empfehlung ist sehr groß und man hat in Großbritannien diese Kombination, dass zuerst AstraZeneca gegeben wird und dann ein mRNA-Impfstoff folgt, mit erforscht. Daher würde ich mir da keine Sorgen machen, wenn nach AstraZeneca ein mRNA-Impfstoff als Zweitimpfung folgt, das verträgt sich gut.
Wie viele Hausärzte in Bayern impfen eigentlich gegen Corona?
Beier: Insgesamt haben sich bei der Kassenärztlichern Vereinigung Bayern etwa 8000 Praxen gemeldet, die gegen Corona impfen. Da sind aber auch Facharztpraxen wie etwa Gynäkologen dabei. Von den etwa 8000 Praxen sind meines Wissens nach etwa 5500 Praxen als Hausarztpraxis zugelassen.
„So verspielt die Politik jeden Rest von Vertrauen “