„Flieg, Albatros, flieg“
Michael Groß ist einer der erfolgreichsten Sportler Deutschlands. Dabei war Schwimmen nur ein Hobby für ihn. Berühmt machte ihn der Ausruf eines TV-Reporters
Er selbst kann mit dem Spitznamen nicht viel anfangen. In seinem Freundeskreis nenne ihn niemand „Albatros“, erzählte Michael Groß einmal. Auf der Straße allerdings werde er immer noch so angeredet. Grund sind die außergewöhnlichen Körpermaße des mittlerweile 56-Jährigen. Bei einer Größe von 2,01 Metern haben seine Arme eine Spannweite von 2,13 Meter – im Schwimmen ein enormer Vorteil. Auch deshalb gewann der Schmetterlingsspezialist in seiner Karriere drei olympische Goldmedaillen, wurde fünfmal Weltmeister und stellte zwölf Weltrekorde auf.
Legendär machte ihn aber der Fernsehkommentator Jörg Wontorra. Bei den Olympischen Sommerspielen 1984 in Los Angeles feuerte er Groß während einer Liveübertragung voller Inbrunst mit dem Ausruf „Flieg, Albatros, flieg“an. „Erstaunlich ist die Berühmtheit dieses Satzes (...) ja auch, weil Jörg Wontorra ihn ausgerechnet bei einem Rennen schrie, das ich gar nicht gewann“, sagte Groß in einem Interview. Über besagte 200 Meter Schmetterling holte er Silber, was mittlerweile nur noch Expertenwissen ist. Der Ausruf dagegen hat die Zeit überdauert und schaffte es sogar auf eine Briefmarke.
Dem Rummel um seine Person konnte Groß zu aktiven Zeiten wenig abgewinnen. Interviews und Fernsehauftritte mied er wenn möglich. Musste er doch mit Journalisten reden, gab sich Groß größte Mühe, möglichst spröde zu wirken, um die Wiederholungsgefahr zu minimieren. Schwimmen sei für ihn immer nur ein Hobby gewesen, nur eine Lebensphase.
Parallel zu seiner Karriere, die Groß 1991 mit 26 Jahren beendete, studierte er Germanistik, Politikund Medienwissenschaften. In seiner Heimatstadt Frankfurt am Main promovierte er in Philologie. Die Dissertation trägt den Titel „Ästhetik und Öffentlichkeit: Die Publizistik der Weimarer Klassik“. Die Universität beurteilte die Arbeit mit magna cum laude. Im Fachblatt Germanistik allerdings kam der Bonner Philologe Norbert Oellers zu einem ganz anderen Urteil. Die Dissertation zeichne sich durch eine „durchweg unschöne, oft unklare, gelegentlich falsche Sprache“aus.
An Groß dürfte die Kritik abgeperlt sein. Er gründete eine Unternehmensberatung, arbeitet nebenher als Dozent, Coach, Redner und Autor. Mit seiner Frau Ilona ist er seit 1995 verheiratet und hat zwei Kinder. Interviews gibt er inzwischen deutlich lieber, dafür springt er nur noch selten ins Chlorwasser. „In meiner Karriere bin ich knapp 40000 Kilometer geschwommen. Ins Schwimmbad gehe ich heute vor allem im Urlaub“, sagte er dem
Stern. Doch nun könnte Groß ein Comeback im deutschen Schwimmsport bevorstehen. Der DSV hat kurz vor den Olympischen Sommerspielen in Tokio seinen Leistungssportdirektor gefeuert. Groß ist ein Kandidat für die Nachfolge. Vielleicht steht der Albatros also bald am Beckenrand.