Floyd und 1000 andere
Jeden Tag sterben drei Menschen durch Polizeigewalt. Ruf nach Reformen wird lauter
Verzweifelte Menschen stehen vor Mikrofonen und TV-Kameras. Sie weinen, sie wüten, sie betrauern den Tod ihrer Partner, Kinder oder Neffen. Die Bilder von Familien, deren Angehörige oder Freunde von Polizisten getötet wurden, sind in den USA trauriger Alltag: Polizisten im Dienst erschießen jedes Jahr rund 1000 Menschen, ergaben Zählungen. Es ist eine blutige Liste, die täglich länger wird. So herzzerreißend die Einzelschicksale sind, so selten schaffen sie es in die Schlagzeilen – oder geraten schnell wieder in Vergessenheit. Anders als im Fall George Floyd.
Aktuell läuft der Prozess um den Ex-Polizisten, der den 46-jährigen Schwarzen auf dem Gewissen hat. Derek Chauvin drückte im Mai 2020 bei einer Festnahme trotz Flehen des Opfers und Protest von Augenzeugen über acht Minuten lang sein Knie in den Nacken Floyds. Eine Stunde später wurde er in der Klinik für tot erklärt. Die Bilder der Tat gingen um die Welt, rund um den Globus erhoben sich „Black Lives Matter“-Proteste, die Polizeigewalt
und Rassismus anprangern. Seit Ende März läuft die Verhandlung gegen Chauvin, am Montag begannen die Schlussplädoyers.
Dennoch werden jeden Tag im Schnitt drei weitere Menschen durch Polizisten getötet, berichtet die New York Times. So wurde die TV-Übertragung des Prozesses unterbrochen von Berichten zum Schicksal von Daunte Wright: Der 20-jährige Schwarze starb nur 15 Kilometer entfernt vom Verhandlungssaal in Minneapolis. Die Polizistin, die Wright erschoss, beruft sich darauf, dass sie nach ihrem Elektroschocker greifen wollte, aber versehentlich die Waffe zückte.
Kriminalitätsforscher können keine nennenswerten Effekte durch die Causa George Floyd erkennen. Hinzu kommt, dass Anklagen gegen Polizisten eine absolute Seltenheit sind. Es gebe im Schnitt nur neun Anklagen pro Jahr, noch weniger Verurteilungen. So mehren sich die Rufe nach einer Reform von Justiz und Polizei mit dem Ziel: weniger Härte der Polizei, bessere Ausbildung, mehr Sozialarbeit.