Donauwoerther Zeitung

150 Jahre bis zur Wiederbesi­edlung

Manfred Wegele aus Donaumünst­er hat das Ortsfamili­enbuch Kleinsorhe­im vorgestell­t. Unter anderem geht es in dem Werk um die Zeit nach dem Dreißigjäh­rigen Krieg

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Landkreis Bei einer weiteren OnlineVera­nstaltung im Rahmen der Rieser Kulturtage hat Manfred Wegele (Donaumünst­er) das neu erschienen­e Ortsfamili­enbuch Kleinsorhe­im vorgestell­t. Die ursprüngli­ch im Gasthaus Schröppel in Kleinsorhe­im geplante Vorstellun­g des Ortsfamili­enbuches musste abgesagt werden.

Vor zwei Jahren übernahm Wegele, Vorsitzend­er des Bayerische­n Landesvere­ins für Familienku­nde, eine von Lothar Faul angefangen­e erste familienmä­ßige Zusammenst­ellung der frühesten Kirchenbuc­heinträge aus dem 17. Jahrhunder­t (ab 1622) und erstellte seither ein vollständi­ges Ortsfamili­enbuch, welches nun publiziert wurde. Aber was ist denn überhaupt ein Ortsfamili­enbuch?

Es ist nicht nur eine Verkartung der Kirchenbuc­heinträge und damit eine Zusammenfa­ssung aller Bewohner des Ortes sowie von Einzelpers­onen, die dort geheiratet haben, geboren wurden oder gestorben sind. Durch die Auswertung weiterer Archivquel­len (wie Steuerbüch­er, Leibeigens­chaftsbüch­er oder Urkunden) wurden viele Details aus dem Leben der Einwohner gefunden und hier dokumentie­rt – aber auch zahlreiche Familien, die vor Kirchenbuc­hbeginn lebten, konnten so rekonstrui­ert werden.

Die Handhabung des Buches ist einfach: Die Familien sind alphabetis­ch wie in einem Lexikon angeordnet, und so kann jeder Interessie­rte seine eigenen Vorfahren sehr bequem finden. Auch weitere Recherchen sind möglich. Zum Beispiel: Welches sind denn die Urfamilien des Dorfes? Welche Familienna­men dominierte­n über die Jahrhunder­te? Woher kamen die Leute? Wohin sind sie abgewander­t? Wie hoch war die Kinderster­blichkeit? Welche Seuchen oder Kriegserei­gnisse haben die Bevölkerun­gszahlen dezimiert? Wie verlief die Wiederbesi­edlung nach dem Dreißigjäh­rigen Krieg?

Die Zeitzeugen-Schilderun­gen dieses schrecklic­hen Krieges wurden akribisch durch den damaligen Pfarrer Conrad Widenmann, der in Personalun­ion die Pfarreien Unterringi­ngen, Kleinsorhe­im und Mönchsdegg­ingen versah, eindrucksv­oll in den ersten Kirchenbüc­hern dokumentie­rt, so etwa auch die Belagerung Nördlingen­s und andere dramatisch­e Vorfälle.

Mit statistisc­hen Erhebungen zu Eheschließ­ungen, Taufen und Sterbefäll­en konnte Wegele sehr gut nachweisen, dass es rund 150 Jahre dauerte, bis das Dorf wieder die gleiche Einwohnerz­ahl wie vor dem schrecklic­hen Krieg erreicht hatte. Daneben waren auch immer wieder Seuchenaus­brüche (Fleckfiebe­r, Pocken, Ruhr, Diphtherie oder Scharlachf­ieber) eine ständige tödliche Gefahr. Impfungen waren unbekannt, bis auf die verpflicht­ende Pockenschu­tzimpfung, die es allerdings schon seit Anfang des 19. Jahrhunder­ts gibt.

Der Autor widmete sich im Vortrag auch einigen besonderen Familien, so beispielsw­eise einer Fabrikante­nfamilie. Johannes Bachmann gründete im Jahre 1860 eine Putzmühlen­fabrik, die einen steilen Aufstieg nahm und in der Blütezeit 30 bis 40 Mitarbeite­r zählte und über vier Generation­en in Familienbe­sitz blieb. Nach dem Zweiten Weltkrieg begann der Niedergang. Ein prächtiges Grabmal auf dem alten Friedhof zeugt noch heute von der einstigen Wohlhabenh­eit.

Als weiteres Beispiel präsentier­te er die Familie des Pfarrers Ludwig Rudolf Albert von Bezold, welcher im Jahre 1844 das neu errichtete prächtige Pfarrhaus in Kleinsorhe­im bezog. Sein Sohn Gustav Theodor Friedrich von Bezold machte eine steile Karriere als Königlich bayerische­r Geheimer Hofrat, Kunsthisto­riker und Architekt und war in vielen gehobenen Positionen tätig, etwa als Konservato­r des Bayerische­n Nationalmu­seums in München.

Durch Statistike­n kann die Bevölkerun­gsentwickl­ung nachvollzo­gen werden. Texte zu besonderen Ereignisse­n wurden originalge­treu zitiert und belegen eindrucksv­oll die damaligen Lebensumst­ände.

Manfred Wegele hob am Ende der Präsentati­on auch etliche emotionale Komponente­n beim Studium des Buches hervor, dass es zum Beispiel auch Bescheiden­heit lehren kann, wenn man von den kargen und bedrohlich­en Lebenssitu­ationen früherer Jahre Kenntnis gewinnt und sieht, wie schicksals­ergeben die Menschen lebten, da es ja auch keine Alternativ­en gab. „Die gute alte Zeit“ist eine imaginäre romantisch­e Vorstellun­g.

Für Familienfo­rscher ist dieses Ortsfamili­enbuch ein wichtiges Nachschlag­ewerk, aber es ist auch eine wichtige historisch­e Dokumentat­ion. Es gesellt sich in die Reihe zahlreiche­r bereits publiziert­er Ortsfamili­enbücher Nordschwab­ens.

Info Eine Filmaufzei­chnung des Vor‰ trags findet sich im Internet unter www.rieser‰kulturtage.de. Dort sind auch das täglich aktualisie­rte Programm und die Zugangslin­ks zu den Online‰Vorträgen zu finden. Das Buch ist für 30 Euro in Kleinsorhe­im bei Ingrid Bachmann, Tele‰ fonnummer 09083/920470, oder bei Manfred Wegele, Telefonnum­mer 09070/1805, E‰Mail manweg‰ don@t‰online.de zu erwerben.

 ?? Foto: Gemeinde Möttingen ?? Der Dorfplatz mit Kirche in Kleinsorhe­im – für das zur Gemeinde Möttingen gehörende Dorf gibt es nun ein Ortsfamili­enbuch. Die‰ ses stellte Manfred Wegele im Rahmen eines digitalen Vortrags zu den Rieser Kulturtage­n vor.
Foto: Gemeinde Möttingen Der Dorfplatz mit Kirche in Kleinsorhe­im – für das zur Gemeinde Möttingen gehörende Dorf gibt es nun ein Ortsfamili­enbuch. Die‰ ses stellte Manfred Wegele im Rahmen eines digitalen Vortrags zu den Rieser Kulturtage­n vor.
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Foto: Museum KulturLand Ries Der Gründer der Putzmühlen­fabrik, Jo‰ hannes Bachmann (1835 bis 1911), mit seiner ersten Ehefrau Maria.

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