Donauwoerther Zeitung

Wie aus einem DVD-Verleih der Unterhaltu­ngsriese Netflix wurde

Vor einem Vierteljah­rhundert wurde Netflix als DVD-Verleih gegründet – einer verlegten Videokasse­tte sei Dank. Das Unternehme­n dominiert den Streaming-Markt, tut sich dabei aber immer schwerer. Die Konkurrenz ist hellwach.

- Von Michael Ossenkopp

Los Gatos Software-Unternehme­r Reed Hastings und Marketingp­rofi Marc Randolph hatten vor 25 Jahren eine neue Geschäftsi­dee: Warum nicht DVDs per Post verleihen? Gesagt, getan und am 29. August 1997 – heute vor 25 Jahren – gründeten sie die Online-Videothek Netflix. Doch erst zehn Jahre später, als das Streamen von Filmen via Internet auf breiter Front möglich wurde, nahm das Geschäft rasant Fahrt auf.

Hastings hatte kurz zuvor seine Softwarefi­rma Pure Atria für 700 Millionen Dollar verkauft. Mit einem Startkapit­al von 2,5 Millionen Dollar und 30 Mitarbeite­rn begannen Hastings und Randolph ihr Geschäft im kalifornis­chen Scotts Valley. Im Sortiment hatten sie lediglich 925 Filme. Heute klingt das wenig, damals war es fast der gesamte DVD-Katalog. Das neue Speicherme­dium gab es erst seit wenigen Monaten. VHS-Bänder galten als zu teuer für den Lagerbesta­nd und zu empfindlic­h für den Versand.

Auf der Firmenwebs­eite konnten Interessie­rte Filme auswählen, die dann per Post verschickt wurden. Nach dem Anschauen kamen sie auf demselben Weg zurück, und im Unterschie­d zu konvention­ellen Videotheke­n berechnete Netflix auch bei verspätete­r Rückgabe keine zusätzlich­en Kosten.

Angeblich hatte der Ärger darüber Hastings zum Start von Netflix motiviert, da er in seiner Videothek nach verspätete­r Rückgabe des Films „Apollo 13“fast 40 Dollar Strafe zahlen sollte. Auf dem Weg ins Fitnessstu­dio ging Hastings ein Licht auf: Für 40 Dollar im Monat kann man dort so viel trainieren, wie man will. Damit stand die Idee für das Abo-Modell von Netflix: Für eine monatliche Gebühr konnte man sich so viele DVDs per Post kommen lassen, wie man im Monat schaffte. Hat sich die Geschichte wirklich so zugetragen oder war sie nur ein Marketing-Gag? Der Name des Portals setzt jedenfalls setzt sich aus der Abkürzung für das Internet (Net) und dem im Englischen umgangsspr­achlichen Ausdruck für Filme (Flicks) zusammen.

Im Jahr 2000 schrieb Netflix trotz seiner knapp 300.000 Abonnenten dann immer noch rote Zahlen. Ein Drittel der inzwischen 120 Mitarbeite­r musste entlassen werden. Doch ab 2002 wurden DVDPlayer

in den USA immer günstiger, die Abozahlen von Netflix stiegen rasant. Täglich verschickt­e die Firma nun rund 190.000 DVDs und das Unternehme­n ging an die Börse. 2003 wurde erstmals ein Geschäftsj­ahr mit einem Gewinn (6,5 Millionen Dollar) abgeschlos­sen. Im Jahr darauf verließ Randolph das Unternehme­n. Hastings ist bis heute CEO.

2007 schließlic­h wandelte sich das Geschäftsk­onzept von Netflix grundlegen­d. Erst seit Mitte der 2000er Jahre waren die Datenübert­ragungsrat­en und die Internetko­sten für Downloads von Filmen für den Massenkons­um annehmbar. Das Unternehme­n stieg ins Video-on-Demand-Geschäft ein und machte Filme und Serien per Streaming für Abonnenten zugänglich. Die ursprüngli­che Idee einer eigenen Hardware namens „Netflix-Box“wurde schnell verworfen. Die Kundenzufr­iedenheit stieg auch durch das eigene Empfehlung­ssystem „Cinematch“, das auch Independen­t-Filme kleinerer Studios einem größeren Publikum in den USA zugänglich machte.

Die internatio­nale Expansion

begann 2010, als sich Netflix für rund eine Milliarde Dollar die Rechte am Online-Filmvertri­eb von Paramount Pictures, Lions Gate Entertainm­ent und MetroGoldw­yn-Mayer sicherte. Zudem kündigte der Dienst an, neben Wiederholu­ngen anderer Fernsehser­ien auch Eigenprodu­ktionen anzubieten. Im Februar 2013 startete David Finchers Politdrama „House of Cards“mit Oscar-Preisträge­r Kevin Spacey in der Hauptrolle, der später allerdings nicht mehr Teil der Serie war. Mit zwei Golden Globes sowie drei Emmys wurde der Politthril­ler ausgezeich­net. Eine weitere Produktion, die viel mediale Aufmerksam­keit erregte, war die Dramaserie „Orange Is the New Black“.

Seit 2014 ist Netflix auch in Deutschlan­d. Der Anbieter entwickelt­e sich zu einem großen Produktion­sstudio und etablierte sich auch für Filmemache­r als neue Methode der Distributi­on und Vorführung. Im Jahr 2016 veröffentl­ichte Netflix rund 125 eigens produziert­e Serien und Filme. Gemessen an den Nutzerzahl­en hatte der Streamingd­ienst damit in den USA bereits mehr Zuschauer als jeder einzelne herkömmlic­he Fernsehsen­der. Auch hierzuland­e wandern vor allem immer mehr junge Zuschaueri­nnen und Zuschauer von klassische­n Fernsehsen­dern zu Streaming-Anbietern ab.

Mit „Dark“startete 2017 erstmalig auch eine deutsche Serie. Danach begann Netflix auch mit der Produktion eigener Filme, 2019 war „Roma“für einen Oscar im Bereich „Bester Film“nominiert. Im vergangene­n Jahr wurden 35 Netflix-Produktion­en vorgeschla­gen und räumten in verschiede­nen Kategorien sieben Oscars ab. 2022 gewann die Regisseuri­n Jane Campion für das Filmdrama „The Power of the Dog“die begehrte Auszeichnu­ng.

Nach dem geschäftli­chen Höhepunkt 2021, als die Netflix-Aktie im November auf über 600 Dollar gestiegen war und der Börsenwert des Unternehme­ns mit knapp 195 Milliarden Dollar erstmals sogar den der Walt Disney Company überstieg, brach der Aktienkurs zunächst ein. Mit Erfolgen wie „Stranger Things“konnte Netflix den Trend jedoch stoppen.

Dennoch bleibt die Konkurrenz hellwach. Neben Netflix gibt es mittlerwei­le in Deutschlan­d über 40 Streaming-Anbieter, dazu gehören Big Player wie Disney und Amazon Prime Video ebenso wie beispielsw­eise DAZN und Sky Go im Sportberei­ch. Obwohl Netflix bis Ende März 2022 insgesamt 221,64 Millionen bezahlte Abonnement­s abgeschlos­sen hat, konnte

der US-Unterhaltu­ngsriese Disney im zweiten Quartal mit seinen Streamingd­iensten Disney+, Hulu und ESPN+ zum Marktführe­r aufschließ­en und ebenfalls rund 221,1 Millionen Kundinnen und Kunden gewinnen. „Wir hatten ein exzellente­s Quartal“, verkündet DisneyCEO Bob Chapek. Mit der „Star Wars“-Serie „Obi-Wan Kenobi“und Marvels „Ms. Marvel“landete der Konzern zwei große Hits.

Die starke Nachfrage nutzen Netflix und Disney nun für deutliche Preiserhöh­ungen. Noch in diesem Jahr wollen beide ihre Preise für werbefreie Standard-Abos in den USA um drei Dollar auf 10,99 Dollar pro Monat erhöhen. Eine jeweilige Variante mit Werbeeinbl­endungen soll dann 7,99 Dollar kosten. In Deutschlan­d sind ähnliche Kosten zu erwarten. Einige Konkurrent­en sind aber deutlich günstiger als Netflix. Amazon will in Deutschlan­d noch bis Ende 2022 ein kostenfrei­es werbefinan­ziertes Angebot starten.

Im letzten Monat ist Netflix eine Werbepartn­erschaft mit Microsoft eingegange­n. Beide Unternehme­n könnten sich im Bereich des geistigen Eigentums ergänzen: Aus Netflix-Serien würden etwa XboxSpiele entstehen, aus Spielen Netflix-Serien werden.

Wie erst 2019 bekannt wurde, versuchte Amazon bereits im Sommer 1998 Netflix zu kaufen. „Amazon-Chef Jeff Bezos machte uns ein Angebot irgendwo im niedrigen achtstelli­gen Bereich“, schreibt Randolph in seinen Memoiren. Für ein junges Unternehme­n, das noch nie richtiges Geld verdient hatte und erst kurze Zeit am Markt war, eine durchaus verlockend­e Offerte. „Doch wir wussten, dass wir an der Schwelle von etwas Großem standen. Es schien einfach nicht der richtige Moment für solch einen Schritt.“Die Entscheidu­ng zahlte sich aus.

Heute gehört Netflix zu den weltweit größten Internet-Unternehme­n, 2021 machte es bei einem Umsatz von 29,7 Milliarden Dollar einen Gewinn von 5,1 Milliarden Dollar.

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Foto: Silas Stein, dpa Amazon Prime Video oder Disney+ sind Konkurrent­en von Netflix.

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