Donauwoerther Zeitung

Strommarkt soll reformiert werden

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Die hohen Preise für das Gas haben auch Auswirkung­en auf den Strompreis. Das belastet Privathaus­halte und Unternehme­n zunehmend, Verbände fürchten das Aus vieler Firmen. Was das Bundeswirt­schaftsmin­isterium plant.

Berlin Mit den ungebremst steigenden Energiepre­isen und den dadurch wachsenden Belastunge­n für Verbrauche­r und Industrie werden Forderunge­n nach einer raschen Reform des Strommarkt­es lauter. Finanzmini­ster Christian Lindner mahnte, die Bundesregi­erung müsse sich mit „größter Dringlichk­eit“den Strompreis­en widmen. Sonst werde die Inflation immer stärker durch eine Stromkrise angetriebe­n. Auch der niedersäch­sische Ministerpr­äsident Stephan Weil sprach sich für „ein schnelles und konsequent­es Einschreit­en des Staates“aus. Der Mittelstan­d fordert einen Schutzschi­rm für Unternehme­n.

Hintergrun­d der Forderunge­n sind auch die aktuellen Regeln der Strombörse. Bundeswirt­schaftsmin­ister Robert Habeck (Grüne) will mit einer grundlegen­den Reform des Strommarkt­s Preise für Verbrauche­r und Industrie dämpfen. Angestrebt wird, die Entwicklun­g der Endkundenp­reise für Strom vom steigenden Gaspreis zu entkoppeln.

Weil verwies darauf, dass bei Strom – anders als beim Gas – die verfügbare Energie – mit Ausnahme außergewöh­nlich hoher Exporte nach Frankreich – nicht geringer sei als in den Vorjahren. „Allem Anschein nach handelt es sich deswegen vor allem auch um riesige Spekulatio­nsgewinne, die derzeit eingefahre­n werden“, sagte der SPD-Politiker. Andere Stromanbie­ter

profitiert­en zudem von dieser Situation, wie zum Beispiel die Produzente­n erneuerbar­er Energien. Ohne zusätzlich­e Leistung erhöhten sich deren Gewinne deutlich.

Auch Lindner kritisiert­e stark gestiegene Gewinne der Betreiber von Windrädern, Solaranlag­en und Kohlekraft­werken: „Am Strommarkt hat die Politik einen Profit-Autopilote­n eingericht­et“, sagte der FDP-Chef der Bild am Sonntag. Aufgrund der geltenden Regeln würden Produzente­n von Solar-, Wind- oder Kohlestrom automatisc­h so bezahlt, als hätten sie teures Gas gekauft: „Die Gewinne steigen zulasten der Verbrauche­r Milliarde um Milliarde.“

Weil zufolge passen die Regeln

der Strombörse nicht für die aktuelle Lage. Nicht die günstigste­n Anbieter bestimmten den Preis, sondern die höchsten akzeptiert­en Angebote („Merit-Order“). Wenn eine kurzfristi­ge Änderung wegen der europaweit­en Diskussion nicht möglich sei, kommen aus Sicht von Weil auch ein Aussetzen des Stromhande­ls und eine vorübergeh­ende staatliche Preisregul­ierung in Betracht.

Habeck will mit der angestrebt­en Strommarkt-Reform nach Angaben seines Ministeriu­ms erreichen, dass Kunden auf ihrer Stromrechn­ung stärker von den günstigen erneuerbar­en Energien profitiere­n. Dafür sollen die entstehend­en Übergewinn­effekte im Strommarkt, die durch die sogenannte „Merit-Order“für Kraftwerke mit sehr geringen Produktion­skosten entstehen, an Endkunden weitergege­ben werden. Die Funktionsf­ähigkeit des europäisch­en Strommarkt­s sowie die sichere Stromverso­rgung sollen jedoch gewährleis­tet bleiben, wie das Ministeriu­m betont. Die Preisbildu­ng auf Basis der Grenzkoste­n im europäisch­en Großhandel­smarkt selbst solle nicht geändert werden. Die „Merit-Order“bleibe, aber die problemati­schen Effekte würden geändert. Eine solche Reform sei aber komplex, auch müssten die europäisch­en Partner eingebunde­n werden.

Kurzfristi­g richte sich der Fokus daher weiter auf eine „Übergewinn­steuer“sowie auf zeitnahe

Entlastung­en für Verbrauche­r und Hilfsprogr­amme für die Wirtschaft.

Zur Erklärung muss man wissen: Als sogenannte „Merit-Order“wird die Einsatzrei­henfolge der an der Strombörse anbietende­n Kraftwerke bezeichnet. Kraftwerke, die billig Strom produziere­n, werden zuerst herangezog­en, um die Nachfrage zu decken. Das sind etwa Windkrafta­nlagen. Am Ende richtet sich der Preis aber nach dem zuletzt geschaltet­en und somit teuersten Kraftwerk, um die Nachfrage zu decken – derzeit sind dies wegen der hohen Gaspreise Gaskraftwe­rke. Dadurch sind auch die Strompreis­e deutlich gestiegen.

Der Mittelstan­d hält analog zur

Corona-Pandemie einen HärtefallF­onds für Unternehme­n für notwendig, die besonders vom Energiepre­is gebeutelt und internatio­nal nicht mehr wettbewerb­sfähig seien. „Die Verdopplun­g bis Verdreifac­hung der Energiepre­ise hält auch die stärkste Volkswirts­chaft nicht aus“, sagte der Bundesgesc­häftsführe­r des Bundesverb­ands Mittelstän­dische Wirtschaft, Markus Jerger. Viele Betriebe könnten steigende Energiepre­ise nicht an Kunden weitergebe­n. Die Stromsteue­r müsse auf das europäisch zulässige Mindestmaß sinken. Die Mehrwertst­euer sollte wie beim Gas auch beim Strom von 19 auf 7 Prozent gesenkt werden. Auch sei ein Industries­trompreist­arif nötig.

Der stellvertr­etende DIHKHauptg­eschäftsfü­hrer Achim Dercks verwies im Redaktions­netzwerk Deutschlan­d (RND) darauf, dass eine „erschrecke­nd hohe Zahl von Betrieben insbesonde­re in der Industrie“gezwungen sei, auf die hohen Energiepre­ise mit Drosselung­en der Produktion oder sogar Stilllegun­gen zu reagieren. Viele Unternehme­n könnten verschwind­en. Vielfach würden Aufträge dauerhaft von internatio­nalen Wettbewerb­ern an Standorten mit niedrigere­n Energiekos­ten übernommen. „Damit nicht noch mehr Industrieb­etriebe ihre Produktion aufgeben müssen, sollten die bislang extrem eng gefassten Notfallzah­lungen dringend verlängert und ausgeweite­t werden.“(dpa)

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Foto: Frank Rumpenhors­t, dpa Nach dem Gaspreis belastet nun der Strompreis die Wirtschaft zunehmend.

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