Hort der „Antimodernisten“?
Der höchst umstrittene Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki wurde in Maria Vesperbild kürzlich mit reichlich Applaus bedacht. Die Wallfahrtsdirektion verteidigt ihn trotz schwerer Vorwürfe – und offenbart ihr Kirchenbild.
Ziemetshausen In den vergangenen Wochen gab es kaum einen Tag, an dem nicht über den Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki berichtet worden wäre. Nicht zuletzt sorgte sein Besuch im Wallfahrtsort Maria Vesperbild im Kreis Günzburg überregional für Befremden – das anhält. Dort war der wegen seines Umgangs mit Missbrauchsfällen und Betroffenen viel kritisierte Erzbischof mit Beifall empfangen worden. Die katholisch-konservative Zeitung Die Tagespost schrieb von einem „Heimspiel“und einem „glanzvollen Comeback“.
Wallfahrtsdirektor Erwin Reichart berichtete nach Woelkis Besuch, dass diesem zugerufen worden sei: „Halten Sie durch!“oder „Geben Sie nicht auf!“Ein Priester habe den Kardinal regelrecht dahingehend angefleht. Und: Ausgerechnet zum Fest Mariä Himmelfahrt in Vesperbild seien in den Medien wieder neue Vorwürfe gegen Woelki hochgekocht. Was der Wallfahrtsdirektor davon hält? Hierbei gehe es „viel mehr als um die Fehler von Kardinal Woelki“um einen innerkirchlichen Richtungskampf: „Sehr mächtige modernistische Kreise“führten diesen gegen katholisch-konservative Gläubige. „Sie instrumentalisieren die Missbrauchs-Schandtaten einer Minderheit von Priestern, um die Kirche zu protestantisieren.“
In einer „Presse Info“wird nachgelegt: Ein Bericht unserer Redaktion habe den Eindruck vermittelt, „als ob Maria Vesperbild ein Ort ist, wo sich merkwürdige Antimodernisten treffen und sogar noch einem schlechten Bischof Beifall spenden“. Man lasse sich aber „nicht in eine finstere Ecke stecken“, Vesperbild sei „mitten in der Kirche“. Es folgt eine Selbstbeschreibung mit Sätzen wie diesem: „Wir sind nicht gegen die Errungenschaften
der Moderne, aber wir sind gegen den Modernismus.“
Diese „Ideologie der radikalen Aufklärer des 18. und 19. Jahrhunderts“sei von der katholischen Kirche längst als Irrlehre entlarvt worden, heute jedoch „mehr oder weniger bis in höchste Kreise in die Kirche eingedrungen“. Typisch hierfür sei, „dass man angesichts der Corona-Epidemie sogar innerhalb der Kirche kaum auf die Hilfe Gottes, sondern vielmehr auf rein weltliche Maßnahmen setzte“.
Über Kölns Erzbischof heißt es: Die Gläubigen hätten mehrmals starken Beifall geklatscht, „weil sie Kardinal Woelki im Kampf für den Glauben bestärken wollten“. Innerkirchlichen modernistischen Kräften gehe es darum, „einen treukatholischen Bischof zu stürzen“.
Maria Vesperbild, wo unter anderem die kniende Mundkommunion gepflegt wird, macht seit Jahren Schlagzeilen – insbesondere wegen der prominenten konservativ-katholischen Kirchenvertreter, die den Wallfahrtsort regelmäßig besuchen. Ist er also ein Hort der „Antimodernisten“?
Professor Matthias Reményi, Lehrstuhlinhaber für Fundamentaltheologie und vergleichende Religionswissenschaft an der JuliusMaximilians-Universität Würzburg, sagt: „Eine lebendige, traditionsbewusste Volksfrömmigkeit ist ein hohes Gut. Wo immer sie noch vorhanden ist, ist sie wertzuschätzen und zu pflegen. Das gilt natürlich auch für Maria Vesperbild.“Gerade der ländliche, kulturell verwurzelte und alltäglich gelebte Katholizismus mit seinem Brauchtum und seiner Marienfrömmigkeit biete nach wie vor vielen Menschen Halt und Heimat.
Fragwürdig werde es allerdings, wenn Frömmigkeit, Tradition und Brauchtum nicht „Mut und Selbstbewusstsein zum ideologiefreien, kritischen Blick auf die Wirklichkeit geben, sondern umgekehrt nur durch eine partielle Abblendung dieser Wirklichkeit aufrechterhalten werden können“, so Reményi. Vor diesem Hintergrund nehme es „zumindest in der Außenbetrachtung schon wunder, dass die desaströse Bilanz des Kölner Kardinals an diesem Mariä-HimmelfahrtsTag im August 2022 so gar keine Rolle gespielt zu haben scheint“.
Professor Martin Kaufhold, Lehrstuhlinhaber für Mittelalterliche Geschichte an der Universität Augsburg, teilt dies: „Orte wie Vesperbild, die ein traditionalistisches Kirchenbild verkörpern, sind völlig legitim.“Er lese aber in den Äußerungen der Wallfahrtsdirektion eine Absage an eine moderne Vorstellung von Gesellschaft und fürchte, man verweigere sich hier der Gegenwart.
Zur kritisierten „Irrlehre“des „Modernismus“führt er aus, dass damit wahrscheinlich das erste Vatikanische Konzil des späten 19. Jahrhunderts angesprochen werde, bei dem sich die Kirche gegen die damalige Moderne wandte und die Unfehlbarkeit des Papstes zum Dogma wurde. „Im Ergebnis verfestigte sich ein konservativkatholischer Kurs.“„Modernismus“sei, erklärt Kaufholds Kollege Reményi, zum Kampfbegriff geworden – „zu einem Schlagwort, mit dem sich verschiedenste Reformbestrebungen in Kirche
Es gehe darum, einen „treukatholischen Bischof“zu stürzen
und Theologie unter Häresie-Verdacht stellen ließen.“Er spricht von einer „plumpen Etikettierung“, die damals schon nicht besonders hilfreich gewesen sei.
Auch zu den Passagen über Woelki werden die Professoren deutlich: „Woelki hat – nach allem, was wir wissen – PR-Spezialisten dafür eingesetzt, um seinen eigenen Betroffenenbeirat auf Linie zu bringen. Und so soll ein ‚treukatholischer‘ Bischof handeln? Das kann doch nicht ernst gemeint sein“, meint Kaufhold. Er habe zudem „erhebliche Zweifel, inwieweit es einer normalen kirchlichen Institution zusteht, darüber zu befinden, was ‚treukatholisch‘ ist“.
Reményi fügt an: Woelki habe offenbar versucht, Daniel Deckers von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung mit dem Versprechen exklusiver Informationen zu einer gefälligen Berichterstattung zu bewegen. Das seien „ja keine bösartigen Mutmaßungen linker Kirchenaktivisten, sondern sauber recherchierte und dokumentierte, öffentlich nachlesbare Fakten“. „Dass die Indienstnahme von Betroffenen sexueller Gewalt oder die versuchte Einflussnahme auf die freie Presse ‚treukatholisch‘ genannt zu werden verdient, ist mir ebenso neu wie der Umstand, dass kritischer Journalismus irgendwie schlecht, weil modernistisch sei.“