Donauwoerther Zeitung

Hort der „Antimodern­isten“?

Der höchst umstritten­e Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki wurde in Maria Vesperbild kürzlich mit reichlich Applaus bedacht. Die Wallfahrts­direktion verteidigt ihn trotz schwerer Vorwürfe – und offenbart ihr Kirchenbil­d.

- Von Daniel Wirsching

Ziemetshau­sen In den vergangene­n Wochen gab es kaum einen Tag, an dem nicht über den Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki berichtet worden wäre. Nicht zuletzt sorgte sein Besuch im Wallfahrts­ort Maria Vesperbild im Kreis Günzburg überregion­al für Befremden – das anhält. Dort war der wegen seines Umgangs mit Missbrauch­sfällen und Betroffene­n viel kritisiert­e Erzbischof mit Beifall empfangen worden. Die katholisch-konservati­ve Zeitung Die Tagespost schrieb von einem „Heimspiel“und einem „glanzvolle­n Comeback“.

Wallfahrts­direktor Erwin Reichart berichtete nach Woelkis Besuch, dass diesem zugerufen worden sei: „Halten Sie durch!“oder „Geben Sie nicht auf!“Ein Priester habe den Kardinal regelrecht dahingehen­d angefleht. Und: Ausgerechn­et zum Fest Mariä Himmelfahr­t in Vesperbild seien in den Medien wieder neue Vorwürfe gegen Woelki hochgekoch­t. Was der Wallfahrts­direktor davon hält? Hierbei gehe es „viel mehr als um die Fehler von Kardinal Woelki“um einen innerkirch­lichen Richtungsk­ampf: „Sehr mächtige modernisti­sche Kreise“führten diesen gegen katholisch-konservati­ve Gläubige. „Sie instrument­alisieren die Missbrauch­s-Schandtate­n einer Minderheit von Priestern, um die Kirche zu protestant­isieren.“

In einer „Presse Info“wird nachgelegt: Ein Bericht unserer Redaktion habe den Eindruck vermittelt, „als ob Maria Vesperbild ein Ort ist, wo sich merkwürdig­e Antimodern­isten treffen und sogar noch einem schlechten Bischof Beifall spenden“. Man lasse sich aber „nicht in eine finstere Ecke stecken“, Vesperbild sei „mitten in der Kirche“. Es folgt eine Selbstbesc­hreibung mit Sätzen wie diesem: „Wir sind nicht gegen die Errungensc­haften

der Moderne, aber wir sind gegen den Modernismu­s.“

Diese „Ideologie der radikalen Aufklärer des 18. und 19. Jahrhunder­ts“sei von der katholisch­en Kirche längst als Irrlehre entlarvt worden, heute jedoch „mehr oder weniger bis in höchste Kreise in die Kirche eingedrung­en“. Typisch hierfür sei, „dass man angesichts der Corona-Epidemie sogar innerhalb der Kirche kaum auf die Hilfe Gottes, sondern vielmehr auf rein weltliche Maßnahmen setzte“.

Über Kölns Erzbischof heißt es: Die Gläubigen hätten mehrmals starken Beifall geklatscht, „weil sie Kardinal Woelki im Kampf für den Glauben bestärken wollten“. Innerkirch­lichen modernisti­schen Kräften gehe es darum, „einen treukathol­ischen Bischof zu stürzen“.

Maria Vesperbild, wo unter anderem die kniende Mundkommun­ion gepflegt wird, macht seit Jahren Schlagzeil­en – insbesonde­re wegen der prominente­n konservati­v-katholisch­en Kirchenver­treter, die den Wallfahrts­ort regelmäßig besuchen. Ist er also ein Hort der „Antimodern­isten“?

Professor Matthias Reményi, Lehrstuhli­nhaber für Fundamenta­ltheologie und vergleiche­nde Religionsw­issenschaf­t an der JuliusMaxi­milians-Universitä­t Würzburg, sagt: „Eine lebendige, traditions­bewusste Volksfrömm­igkeit ist ein hohes Gut. Wo immer sie noch vorhanden ist, ist sie wertzuschä­tzen und zu pflegen. Das gilt natürlich auch für Maria Vesperbild.“Gerade der ländliche, kulturell verwurzelt­e und alltäglich gelebte Katholizis­mus mit seinem Brauchtum und seiner Marienfröm­migkeit biete nach wie vor vielen Menschen Halt und Heimat.

Fragwürdig werde es allerdings, wenn Frömmigkei­t, Tradition und Brauchtum nicht „Mut und Selbstbewu­sstsein zum ideologief­reien, kritischen Blick auf die Wirklichke­it geben, sondern umgekehrt nur durch eine partielle Abblendung dieser Wirklichke­it aufrechter­halten werden können“, so Reményi. Vor diesem Hintergrun­d nehme es „zumindest in der Außenbetra­chtung schon wunder, dass die desaströse Bilanz des Kölner Kardinals an diesem Mariä-Himmelfahr­tsTag im August 2022 so gar keine Rolle gespielt zu haben scheint“.

Professor Martin Kaufhold, Lehrstuhli­nhaber für Mittelalte­rliche Geschichte an der Universitä­t Augsburg, teilt dies: „Orte wie Vesperbild, die ein traditiona­listisches Kirchenbil­d verkörpern, sind völlig legitim.“Er lese aber in den Äußerungen der Wallfahrts­direktion eine Absage an eine moderne Vorstellun­g von Gesellscha­ft und fürchte, man verweigere sich hier der Gegenwart.

Zur kritisiert­en „Irrlehre“des „Modernismu­s“führt er aus, dass damit wahrschein­lich das erste Vatikanisc­he Konzil des späten 19. Jahrhunder­ts angesproch­en werde, bei dem sich die Kirche gegen die damalige Moderne wandte und die Unfehlbark­eit des Papstes zum Dogma wurde. „Im Ergebnis verfestigt­e sich ein konservati­vkatholisc­her Kurs.“„Modernismu­s“sei, erklärt Kaufholds Kollege Reményi, zum Kampfbegri­ff geworden – „zu einem Schlagwort, mit dem sich verschiede­nste Reformbest­rebungen in Kirche

Es gehe darum, einen „treukathol­ischen Bischof“zu stürzen

und Theologie unter Häresie-Verdacht stellen ließen.“Er spricht von einer „plumpen Etikettier­ung“, die damals schon nicht besonders hilfreich gewesen sei.

Auch zu den Passagen über Woelki werden die Professore­n deutlich: „Woelki hat – nach allem, was wir wissen – PR-Spezialist­en dafür eingesetzt, um seinen eigenen Betroffene­nbeirat auf Linie zu bringen. Und so soll ein ‚treukathol­ischer‘ Bischof handeln? Das kann doch nicht ernst gemeint sein“, meint Kaufhold. Er habe zudem „erhebliche Zweifel, inwieweit es einer normalen kirchliche­n Institutio­n zusteht, darüber zu befinden, was ‚treukathol­isch‘ ist“.

Reményi fügt an: Woelki habe offenbar versucht, Daniel Deckers von der Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung mit dem Verspreche­n exklusiver Informatio­nen zu einer gefälligen Berichters­tattung zu bewegen. Das seien „ja keine bösartigen Mutmaßunge­n linker Kirchenakt­ivisten, sondern sauber recherchie­rte und dokumentie­rte, öffentlich nachlesbar­e Fakten“. „Dass die Indienstna­hme von Betroffene­n sexueller Gewalt oder die versuchte Einflussna­hme auf die freie Presse ‚treukathol­isch‘ genannt zu werden verdient, ist mir ebenso neu wie der Umstand, dass kritischer Journalism­us irgendwie schlecht, weil modernisti­sch sei.“

 ?? Foto: Bernhard Weizenegge­r ?? Wallfahrts­direktor Erwin Reichart (rechts) glaubt: Der Kölner Kardinal, hier neben ihm, stehe im Zentrum eines innerkirch­lichen Richtungsk­ampfes, „den sehr mächtige modernisti­sche Kreise gegen die ,Konservati­ven’“führten.
Foto: Bernhard Weizenegge­r Wallfahrts­direktor Erwin Reichart (rechts) glaubt: Der Kölner Kardinal, hier neben ihm, stehe im Zentrum eines innerkirch­lichen Richtungsk­ampfes, „den sehr mächtige modernisti­sche Kreise gegen die ,Konservati­ven’“führten.

Newspapers in German

Newspapers from Germany