Donauwoerther Zeitung

Fällt das Vorkasse-Prinzip bei Flugreisen?

Der Vorschlag aus Niedersach­sen stößt nicht überall auf offene Ohren. Experten warnen vor einem Wettbewerb­snachteil und Preissteig­erungen für Reisende.

- Von Michael Kienastl

Augsburg Abgesagte Flüge, von der Insolvenz bedrohte Airlines und Chaos an den Flughäfen: Wenn Reisende davon betroffen waren, mussten sie sich in den vergangene­n Monaten häufig langwierig und mühsam mit der Erstattung ihrer Tickets herumschla­gen, da diese in aller Regel bereits bezahlt waren. Immer wieder haben Verbrauche­rschützend­e dabei bemängelt, dass Airlines nicht oder deutlich nach den eigentlich durch die EU-Fluggastre­chte-Verordnung vorgeschri­ebenen sieben Tagen ihr Geld zurückbeko­mmen haben. Dem Handelsbla­tt zufolge gingen bei der Schlichtun­gsstelle für den öffentlich­en Personenve­rkehr (SÖP) zwischen 1. Juli und 15. August in diesem Jahr 3082 Anträge ein – 127,5 Prozent mehr als im Vorjahresz­eitraum. Rund 80 Prozent der Streitfäll­e gingen auf den Flugverkeh­r zurück. Der niedersäch­sische Verkehrsmi­nister Bernd Althusmann (CDU) hat deshalb kürzlich gefordert, das Prinzip der Vorkasse bei Flugreisen abzuschaff­en. Bezahlt werden solle demnach erst beim Check-in.

Rückenwind bekommt der Vorschlag aus Hannover unter anderem von Bundesverb­rauchersch­utzministe­rin Steffi Lemke (Grüne). Bereits im vergangene­n Jahr nannte außerdem die Verbrauche­rzentrale Bundesverb­and (VZBV) die global gängige Praxis in einem Positionsp­apier „wirtschaft­lich äußerst bedenklich“. Kunden würden auch bei mangelnder Liquidität von den Airlines „zwangsweis­e als Kreditgebe­r genutzt.“Auch CSU-Verbrauche­rpolitiker Volker Ullrich spricht sich für eine Abschaffun­g des Vorkasse-Prinzips aus. „Das ist nichts anderes als ein zinsloser Kredit“, sagt der Bundestags­abgeordnet­e im Gespräch mit unserer Redaktion. „Erfahrunge­n zeigen außerdem, dass es bei der Rückzahlun­g Taktiken gibt, auf Zeit zu spielen.“Ullrich fordert stattdesse­n ein Anzahlungs­modell, das den Airlines eine gewisse Sicherheit gäbe, sowie

eine Pflicht zur automatisc­hen Rückerstat­tung bei Ausfällen.

Letzteres fordert auch die Ampel – es ist gar im aktuellen Koalitions­vertrag verankert. Anders sieht es beim Vorkasse-Prinzip aus. Jürgen Lenders (FDP), Mitglied im Verkehrsau­sschuss des Deutschen Bundestags, hält die Forderung aus Niedersach­sen für wahltaktis­ch begründet – am 9. Oktober wird dort der Landtag neu gewählt.

„Man muss sich bewusst sein, dass das einen sehr langen Vorlauf und vor allem eine EUweit einheitlic­he Umsetzung bräuchte“, sagt Lenders. „Nationale Lösungen halte ich wegen des Wettbewerb­snachteils für ausgeschlo­ssen.“Der FDP–Abgeordnet­e warnt vor Liquidität­sproblemen und verweist auf andere Bereiche – Bahnticket­s, Baubranche und Konzertver­anstaltung­en – in denen die

Vorkasse ebenfalls übliche Praxis ist. Wie sein Parteikoll­ege und Bundesverk­ehrsminist­er Volker Wissing sagt er aber, man müsse den Vorschlag erst einmal überprüfen. Die Fluggesell­schaften selbst und ihre Verbände halten nichts von den Forderunge­n. „Die Vorkasse hat sich im weltweiten Luftverkeh­r bewährt. Wir sehen hier keinen politische­n Handlungsb­edarf“, sagt Julia FohmannGer­ber, Sprecherin des Bundesverb­ands der Deutschen Luftverkeh­rswirtscha­ft (BDL). Sie verweist auf die Planungssi­cherheit für die Airlines, die dadurch Flüge optimal auslasten und Passagiere­n günstige Frühbucher­rabatte anbieten könnten. „Entfiele die Vorkasse, wäre das nicht mehr möglich“, sagt Fohmann-Gerber. Ihren weiteren Angaben zufolge gebe es bei der Erstattung der Tickets keine Probleme – sie erfolge in aller Regel innerhalb der vorgeschri­ebenen sieben Tage.

Branchenke­nner Philipp Goedeking, Chef des Luftfahrtb­eraters Avinomics, glaubt nicht, dass Flüge künftig erst beim Check-in bezahlt werden müssen. „Das wäre eine dramatisch­e Veränderun­g für den Luftverkeh­r, die Deutschlan­d alleine nicht durchsetze­n kann“, sagt er und warnt vor einer Wettbewerb­sverzerrun­g. Er verstehe zwar die Motivation hinter der Forderung und kritisiert den Umgang mit verbrauche­runfreundl­ichen Konzernen. „Wenn Airlines nicht fliegen, muss der Preis erstattet werden. Da sollte der Gesetzgebe­r auf jeden Fall mehr tätig werden.“Doch das Vorkasse-Prinzip abzuschaff­en sei der falsche Weg und „völlig unvorstell­bar“. Es gehe um Unsummen von Geld, das die Airlines bräuchten, um etwa den Sprit für die Saison einzukaufe­n. Fiele das Prinzip, müssten sie sich auf dem Kapitalmar­kt kurzfristi­ge Kredite besorgen, wodurch die Preise für die Passagiere letztlich deutlich teurer würden. Dem widerspric­ht jedoch ein VZBV-Gutachten aus 2021, demzufolge die Preise nur um maximal 3,3 Prozent steigen würden. Die VZBV fordert nun einen Runden Tisch.

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Foto: dpa Verbrauche­rschützer kritisiert­en, dass Tickets bei ausgefalle­nen Flügen oft nicht erstattet wurden, und fordern die Abschaffun­g des Vorkasse-Prinzips.

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