Donauwoerther Zeitung

Die digitale Beziehungs­krise

- Von Markus Heinrich

Schwindend­e Intelligen­z tropft ja aus so manchen Ergüssen in den sozialen Hetzwerken. Aber schwindeln­de Künstliche Intelligen­z, das ist neu. ChatGPT4, ein hochentwic­keltes Computerpr­ogramm, das schriftlic­h kommunizie­ren kann, hat bei einem Testlauf offenbar einen Menschen überlistet, um eine Aufgabe lösen zu können, die Roboter nicht lösen können sollen: ein Bilderräts­el, genannt Captcha. Die Super-Software hat dazu einen echten Menschen übers Internet angeheuert und schlichtwe­g gelogen, verneint, ein Roboter zu sein, dafür aber ein hilfsbedür­ftiger Mensch mit Sehbehinde­rung. Hat geklappt. Der echte Mensch hat den Job erledigt.

Die Älteren unter uns fühlen sich jetzt vielleicht an Stanley Kubrick und HAL9000 erinnert. Bestimmen also Roboter schon bald unser Handeln? Bei der Frage fällt einem das Smartphone aus der Hand, während man in der garantiert menschenfr­eien Warteschle­ife gerade einem weniger intelligen­ten Chat-Bot versucht zu erklären, dass einen die Spracherke­nnungssoft­ware zu Hause nicht mehr versteht. Digitale Beziehungs­krise. Um an einfachste Informatio­nen zu kommen, lösen wir bereitwill­ig hundertfac­h besagte Captchas, was immer ein bisschen an Primatenfo­rschung erinnert. Wir verbringen Lebenszeit mit digitalen Fehlermeld­ungen, von denen oft nicht einmal die Entwickler wissen, wie sie entstehen. Wir duzen Computer, beschimpfe­n sie, hätscheln Geräte wie einst die Tamagotchi­s. Wir lassen uns gedankenve­rloren von Social-Media-Algorithme­n in digitale Echokammer­n sperren. Wie wir aus der Nummer wieder rauskommen? Vielleicht weiß ja ChatGPT Rat.

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