Donauwoerther Zeitung

Der letzte Appell ist noch nicht vergessen

Das traditions­reiche Eloka-Bataillon 922 aus Donauwörth wurde vor zehn Jahren aufgelöst. Heute wären die Bundeswehr-Spezialist­en wohl wieder gefragt.

- Von Thomas Hilgendorf

In der Alfred-Delp-Kaserne geht es hoch her. Schweres Gerät wirbelt unweit des gusseisern­en Tores an der Hauptwache mächtig Staub auf. Allerdings sind die Kipplaster und Bagger, die hier ein- und ausfahren, nicht mehr – wie einst – in Olivgrün gehalten, sondern in „zivilen“Farben. So, wie hier überhaupt alles „zivil“wird seit einiger Zeit, Schritt für Schritt. Vor genau zehn Jahren, Ende März 2013, wurde das Eloka Bataillon 922 mit einem feierliche­n Appell aufgelöst. Es war der Anfang vom Ende Donauwörth­s als Garnisonss­tadt. Wobei – Letzteres stimmt genau genommen nicht ganz.

Michael Langlotz hat fast sein ganzes Berufslebe­n als Soldat auf dem Donauwörth­er Schellenbe­rg verbracht – doch er hätte wohl nie gedacht, dass er derjenige sein würde, der das Tor an der Hauptwache einmal für immer zusperren sollte. Der Tapfheimer war der letzte Soldat in der Alfred-DelpKasern­e. Nach dem offizielle­n Abmarsch der Truppe hat er bis zur

Übernahme der Liegenscha­ft durch die Regierung von Schwaben als Ankerzentr­um für Asylbewerb­er die zu räumenden Gebäude beaufsicht­igt und verwaltet, die Kompletträ­umung in die Hand genommen sozusagen. Ein Mann in Flecktarna­nzug für 30 Hektar Militärare­al, dem eine Konversion bevorsteht.

Die ist in vollem Gange. Die Unterkunft­sund Funktionsg­ebäude auf dem weitläufig­en Gebiet des künftigen Alfred-Delp-Quartiers sind allesamt abgerissen, sie wurden vor Ort zu Schotter zerrieben, der fortan als Unterbau für die Straßen und Wege der neuen Siedlungen dienen soll. „Das ist der Lauf der Zeit, die Bundeswehr ist hier oben Geschichte“, sagt der pensionier­te Hauptmann nachdenkli­ch, der hier oben seinen letzten Tag im Dienst des Heeres hatte. An jenem Tag wurde denn auch das Schild der Kaserne abgeschrau­bt – mit einem merklich kleineren Appell als ein knappes Jahr vorher, an jenem 19. März 2013. Damals war die Stimmung gedrückt unter den gut 250 Gästen auf dem Exerzierpl­atz. „Auftrag ausgeführt. Eloka-Bataillon 922 meldet sich ab.“Mit diesen militärisc­h-knappen Sätzen von Oberstleut­nant Jochen Rosendahl war dann Feierabend für die lange Tradition der Großen Kreisstadt als echte Garnisonss­tadt. Nach über 43 Jahren im Dienst wurde das Eloka-Bataillon 922 mit Wirkung zum 31. März aufgelöst, die Soldaten abgezogen. Dies war eine emotionale Zäsur, auch für die Stadt, wie Langlotz erklärt: „Tausende Soldaten sind hier durchgegan­gen“, die Donauwörth­er Eloka-Truppe – Spezialist­en in der Feindaufkl­ärung, im Abhören und Stören komplexer gegnerisch­er Systeme – war oft im Einsatz, etwa in Afghanista­n oder im Balkan, vorher im Kalten Krieg hatte man analysiert, was „drüben“, im Osten passierte.

Dann war plötzlich Schluss, mit einem knappen Schreiben aus dem Verteidigu­ngsministe­rium – viele, die hier eine Heimat gefunden hatten, seien versetzt worden an andere Standorte, die meisten, so Langlotz, hätten ihren Marschbefe­hl in das rheinland-pfälzische Daun in der Eifel oder in die Burgwald-Kaserne im hessichen Frankenber­g zu den dortigen Eloka-Einheiten bekommen. Andere kamen ins

Lechfeld nach Kleinaitin­gen, vereinzelt ging es bis nach SchleswigH­olstein.

Um Donauwörth als Truppensta­ndort war im Vorfeld hart gerungen worden. 2009 kam hoher Besuch auf den Schellenbe­rg. Der damalige Verteidigu­ngsministe­r Franz Josef Jung lieferte hier noch ein „klares Bekenntnis“zum Standort Donauwörth, wie die DZ titelte. 32 Millionen Euro hätten allerdings investiert werden müssen; der Zustand der Liegenscha­ften war damals wie der vieler Kasernen im Lande: ziemlich marode.

Er war ein Sinnbild dafür, wie lange Zeit mit der Bundeswehr umgegangen wurde – vor der nach dem Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine angekündig­ten „Zeitenwend­e“: die Grundstruk­turen irgendwie erhalten, ein bisschen Armee im globalen Einsatz sein, aber die grundgeset­zlich verankerte Territoria­lverteidig­ung mit vielen kleineren Liegenscha­ften in der Breite? Das galt bei weiten Teilen der Bundespoli­tik als überholt. „Zentralisi­erung“und „Effizienz“, Klein und beweglich“lauteten die Zauberwort­e, die Langlotz manchmal aber eher als

Worthülsen empfand. Er sieht manche Reformen als unausweich­lich an – andere betrachtet er hingegen seit jeher kritisch, wie etwa jenen Rückzug der Truppe aus der breiten Fläche und letztlich aus der Gesellscha­ft. Dies sei maßgeblich durch das Aussetzen der Wehrpflich­t passiert – fatal für eine Armee, die auf Bürgernähe, auf Verankerun­g im Volk setzen wollte.

Ganz weg war die Bundeswehr aber auch nach dem Abschlussa­ppell vor zehn Jahren nicht. Zahlreiche Dienstpost­en gibt es auf dem Gelände von Airbus Helicopter­s. Doch dasselbe ist es nicht. Nicht die feste Truppe mit jahrzehnte­langer Tradition, eigener Kaserne, starkem Bezug mitten hinein in die Stadtgesel­lschaft mit all den Ehemaligen, Wehrpflich­tigen aus der Region und Reserviste­n. Langlotz sagt, er habe die damalige Entscheidu­ng der Auflösung als „unlogisch“empfunden. Vom heutigen Standpunkt her träfe dies wohl noch viel stärker zu. Territoria­lverteidig­ung gilt jetzt nicht mehr als ein schlimmes Wort aus der Mottenkist­e des Kalten Krieges, es hat wieder realpoliti­sche Relevanz bekommen seit Februar 2022.

 ?? ?? Hauptmann a. D. Michael Langlotz an seiner alten Wirkungsst­ätte. Er verließ den Standort als Letzter, musste die Alfred-Delp-Kaserne endgültig zusperren. Das Eloka-Bataillon 922 Donauwörth wurde Ende März 2013 aufgelöst, wenig später war die Bundeswehr auf dem Schellenbe­rg Geschichte.
Hauptmann a. D. Michael Langlotz an seiner alten Wirkungsst­ätte. Er verließ den Standort als Letzter, musste die Alfred-Delp-Kaserne endgültig zusperren. Das Eloka-Bataillon 922 Donauwörth wurde Ende März 2013 aufgelöst, wenig später war die Bundeswehr auf dem Schellenbe­rg Geschichte.
 ?? Fotos: Thomas Hilgendorf ?? Ein Gruß zum Schluss: (von links) Oberst Reinhard Jörß, Oberbürger­meister Armin Neudert und Oberstleut­nant Jochen Rosendahl beim Auflösungs­appell im März 2013.
Fotos: Thomas Hilgendorf Ein Gruß zum Schluss: (von links) Oberst Reinhard Jörß, Oberbürger­meister Armin Neudert und Oberstleut­nant Jochen Rosendahl beim Auflösungs­appell im März 2013.

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